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Nicht vergessen! An Geburtstage und alle erdenklichen anderen wichtigen Termine erinnern uns heute unsere Handys und Computer - und das oft zu oft und zu aufdringlich.

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Netzkolumne: Erinnerungsmanagement ist das neue Zeitmanagement

Es piepst, es schrillt, es summt. Andauernd erinnern uns Smartphones an Dinge, die wir nicht vergessen sollen: Geburtstage, Deadlines, Senf. Automatische Erinnerungen sinnvoll zu organisieren, ist eine große Kunst. Wenn man es nur immer selbst in der Hand hätte!

Von Anna Sauerbrey

Mein Großvater mütterlicherseits pflegte an seinem Geburtstag immer eine Liste aller Gratulanten zu führen, um abends zu kontrollieren, ob ihn jemand vergessen hatte. Ich war leider immer ziemlich schlecht mit Geburtstagen und stand deshalb auf der Liste immer ziemlich weit hinten, sogar noch hinter meinen Cousins. Wie das eben so ist: Man denkt an den Geburtstag, aber da sitzt man gerade in einer Konferenz und dann fällt es einem erst spät abends wieder ein, wenn der Opa schon im Schlafanzug ist. Glücklicherweise war es für die Opa-Gunst relativ gleichgültig, auf welchem Platz der Liste man stand, Hauptsache, man stand überhaupt drauf. So war das, damals, bevor ich ein Smartphone gekauft und mich auf Facebook angemeldet hatte.

Gestern hatte ein besonders netter Kollege Geburtstag, und es war unmöglich, das zu vergessen. Beim Frühstück piepste das Smartphone. Bei der Zeitungslektüre auf dem Ipad rief der Google-Kalender das Ereignis brummend aus dem Hintergrund ins Bewusstsein. Und beim Einloggen auf Facebook wurde es mir ein drittes Mal mitgeteilt. Als ich endlich die Nachricht an die Pinnwand des Kollegen tippte, spürte ich eine völlig unangemessene Aggressivität zwischen den Buchstaben: „Happy! birthday! Johannes!“

„Reminder“ heißen die Erinnerungen auf Neudeutsch, und ich glaube, dass „Reminder-Management“ bald ein extrem erfolgreiches Standardseminar im Bereich der beruflichen Weiterbildung wird. Der Umgang damit fordert so viel Fingerspitzengefühl wie die Zubereitung einer Hollandaise. Nimmt man nur ein bisschen zu viel oder zu wenig Butter oder Temperatur, entsteht statt einer gehaltvollen Crème ein ausflockender Störfaktor.

In meiner anfänglichen Begeisterung darüber, Teile meines Hirns an Algorithmen auslagern zu können, habe ich sehr viele Erinnerungen angelegt, für jede Frist, jedes Konzert, jeden Termin und für „Senf ist alle“. In der Folge wurde ich dauernd aus tiefschürfenden Gedanken gerissen, weil irgendein Gerät piepste, surrte, vibrierte oder schrillte. Aus Verlässlichkeit wurde Unerbittlichkeit. Ich sah mich gezwungen, auszumisten.

Leider hat man nicht alle Erinnerungen in der Hand. Wegen einer Veranstaltung bekommt man inzwischen oft vier Mails: Erst die „Safe-the-date-Mail“, dann die eigentliche Einladung, dann den ersten „Reminder“ und dann, am Tag selbst, den zweiten „Reminder“. Zwischen der Häufigkeit der Erinnerungen und der Bedeutung des Ereignisses scheint es ein umgekehrt proportionales Verhältnis zu geben – je weniger attraktiv die Einladung (der Stellvertreter des Referenten des Informationsministers von Kamerun spricht bei der Soundso-Stiftung in Bad Leißingen über die Problematik des Netzausbaus in Tropengebieten), desto häufiger wird man daran erinnert. Mein Opa hätte diese Leute nie, nie, niemals auf seine Liste gesetzt, da hätten die noch so oft klingeln können. Ach, süßes Vergessen.

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