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Netzneutralität: Zero Rating: Geschenkt, nicht umsonst

Beim Kampf um neue Märkte in Entwicklungsländern bieten Google, Facebook und Twitter ihre Dienste gratis an. Doch Zero Rating gefährdet das freie Netz – auch in Europa.

Von Anna Sauerbrey

Gute Nachrichten verkündete in dieser Woche die Breitbandkommission der Vereinten Nationen: Bis zum Ende dieses Jahres werde die Zahl der Internetnutzer auf 2,9 Milliarden ansteigen. In drei Jahren könne die Hälfte der Weltbevölkerung online sein. Doch die Zahlen der UN belegen auch die digitale Spaltung der Welt. Während in manchen Industrieländern heute fast alle Menschen Zugang zum Internet haben, sind es etwa in Äthiopien nur 1,9 Prozent. „Trotz des phänomenalen Wachstums bleiben nach wie vor zu viele Menschen in den Entwicklungsländern vom Internet abgeschnitten“, sagte Unesco-Direktorin Irina Bokova in einer Pressemitteilung. „Um Internetanschlüsse weltweit zu verbreiten, braucht es entschiedenes politisches Handeln und Investitionen.“

Auf „entschlossenes politisches Handeln“ wollen die großen Internetkonzerne aber nicht warten. Ihre Herkunftsmärkte in den USA und Europa sind gesättigt. Es gilt, andere Regionen zu erschließen, weiterzuwachsen. Eine Strategie, um diese Märkte schnell zu erobern, heißt: Zero Rating. Doch sie ist nicht unumstritten.

Zero Rating könnte man mit „Nulltarif“ übersetzen. Tatsächlich „verschenken“ dabei große Internetdienste ihr Angebot an Kunden in den Entwicklungsländern. Bislang haben Google, Facebook, Twitter und die Wikimedia Foundation, die Stiftung hinter der Wikipedia, solche „Nulltarife“ im Angebot. Dazu haben sie Verträge mit Mobilfunkunternehmen in zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern abgeschlossen. „Wikipedia Zero“ zum Beispiel ist heute in 30 Ländern verfügbar, darunter die Philippinen, Südafrika, Nepal und der Kosovo. Das Problem in solchen Ländern sind weniger die fehlenden Netze. Zwar liegen in den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern keine Kabel im Boden, doch die Infrastruktur für mobiles Netz ist auch dort oft vergleichsweise gut entwickelt. Auch Handys sind in diesen Ländern verbreitet, nur nutzen viele Menschen sie nicht, um damit zu surfen. Sie können es sich schlicht nicht leisten, einen Vertrag zu buchen. Mobilfunkanbieter, die mit Google, Facebook, Twitter oder der Wikimedia-Stiftung Verträge abschließen, ermöglichen deshalb den Zugang zu deren Seiten, ohne dass die Nutzer einen entsprechenden Tarif abgeschlossen haben. Oder sie verpflichten sich, den Datenverkehr für die Vertragsdienste nicht vom gebuchten Datenvolumen abzuziehen.

Zero Rating könnte die Netzneutralität gefährden

Allerdings hat Zero Rating mit einem echten Internetzugang wenig zu tun. Es ermöglicht eben nicht den Zugang zum Internet, sondern nur zu einzelnen Diensten. Kritiker sehen deshalb das Prinzip der Netzneutralität in Gefahr, also dem bislang weitgehend gültigen Prinzip, dass Zugangsanbieter keine Webseite oder keinen Dienst privilegieren, sondern alle Daten gleichermaßen und in gleicher Qualität über ihre Autobahnen leiten.

In manchen Ländern ist das Prinzip der Netzneutralität bereits gesetzlich festgeschrieben, etwa in Chile. Chile ist es auch zu verdanken, dass das Thema „Zero Rating“ bei Netzaktivisten und Internet-Interessenverbänden zuletzt vermehrt Aufmerksamkeit bekam. Die oberste Telekommunikationsbehörde des Landes hat Zero-Rating-Angebote unter Berufung auf die Netzneutralität verboten und damit eine Debatte ausgelöst, die Anfang September auch auf dem jährlichen Internet Governance Forum in Istanbul Wellen schlug.

„Prinzip versus Pragmatismus“: So fasst Emma Llanso die Debatte dort zusammen. Llanso arbeitet für das Center for Democracy and Technology (CDT), eine amerikanische Non-Profit-Organisation, die sich für freies Internet einsetzt und von vielen Stiftungen, Spendern, aber auch von der US-IT-Branche finanziert wird. CDT hat auf dem Internet Governance Forum Befürworter und Gegner des Zero Rating zu einer Podiumsdiskussion zusammengebracht.

Zuckerberg nennt Paraguay als positives Zero Rating-Beispiel

Zu den Pragmatikern zählten vor allem Vertreter von Entwicklungshilfeorganisationen. „Sicher, das Prinzip der Netzneutralität ist heilig“, sagte etwa Helani Galpaya von LIRNEasia, einer Entwicklungshilfeorganisation, die vor allem in Südostasien tätig ist. Doch Zero Rating könne den Menschen verdeutlichen, was das überhaupt heiße: ein digitales Leben führen. Sie zitierte aus einer repräsentativen Umfrage ihrer Organisation in Indien. Demnach wissen zwar inzwischen rund zwei Drittel der Inder, dass es das Internet gibt – nutzen es aber nicht, weil sie nicht können oder sich ihnen der Nutzen nicht erschließt. Josh Levy, ein Vertreter der US-Organisation „Access“, hielt dem entgegen: „Wenn wir jetzt einen Präzedenzfall schaffen, kommen wir davon nie wieder weg.“ Kritik erntete das Modell auch als neue Form der digitalen „Kolonisierung“. Es sei wichtig, sagt Emma Llanso, dass die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern auch auf lokale Angebote zugreifen könnten, „nicht nur auf das, was Hollywood oder Silicon Valley ihnen bringen“.

Eine abschließende Bewertung des Zero Rating wird nach Ansicht von Llanso auch davon abhängen, ob es funktioniert. Für sie hieße Funktionieren, dass es die Leute tatsächlich dazu bringt, auch das „Vollinternet“ zu nutzen. Zahlen hierfür fehlen laut Llanso aber bislang. Ein Erfolgsmodell scheint Zero Rating aber zumindest für jene Dienste zu sein, die es erfunden haben. Carolynne Schloeder von der Wikimedia Foundation in San Francisco nennt auf Anfrage das Beispiel Nepal. Dort habe sich seit dem Start von Wikipedia Zero im Mai die Zahl der Seitenaufrufe von 2,3 auf 6,8 Millionen gesteigert. Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, zieht eine ähnlich positive Bilanz. 2013 hat Facebook die Allianz „Internet.org“ gegründet, die Strategien bündeln soll, um mehr Menschen ins Netz zu bringen. Dazu zählt auch das Zero-Rating-Modell, das Facebook seit 2010 anbietet. Im Zuge der Gründung von Internet.org nannte Zuckerberg in einem Strategiepapier Paraguay und die Philippinen als positive Zero-Rating-Beispiele. Die Zahl der Verträge mit den Partneranbietern „Globe“ und „TIGO“ sei auf den Philippinen um 25 Prozent, in Paraguay um 50 Prozent gestiegen. Das entspräche drei Millionen neuen Internetnutzern, schreibt Zuckerberg.

Auch in Deutschland gibt es Zero Rating

Und wie es so ist – Modelle, die Erfolg haben, verbreiten sich auch. Auf dem Umweg über die Schwellen- und Entwicklungsländer ist Zero Rating auch in der westlichen Welt angekommen. „Viele Anbieter in den USA experimentieren zur Zeit mit diesen Modellen“, sagt Llanso. Im Januar dieses Jahres etwa startete der große US-Internetanbieter AT&T ein Programm, das Anbietern von Apps ermöglicht, ihre Dienste im Rahmen von AT&T-Verträgen kostenlos anzubieten. Auch in Deutschland gibt es vereinzelte Mobilfunktarife, die das Modell aufgreifen. Wie in den USA kooperiert T-Mobile in Deutschland mit dem Musikdienst Spotify. In verschiedenen Tarifmodellen kann man Spotify unterwegs hören, ohne dabei gebuchtes Datenvolumen zu verbrauchen. Seit 2010 bietet Eplus einen Tarif an, mit dem man Facebook aufrufen kann, ohne dass der Datenverbrauch angerechnet wird. Seit April 2014 kooperiert das Unternehmen auch mit dem Kurznachrichtendienst WhatsApp. Wer die „WhatsApp Sim“ von Eplus kauft, kann WhatsApp auch nutzen, wenn das Prepaid-Guthaben aufgebraucht ist – oder die Karte gar nicht aufgeladen ist. Ein Netzneutralitätsgesetz hat Deutschland – anders als Chile oder die USA – zwar noch nicht. Eine entsprechende Regulierung nimmt gerade erst ihren Weg durch die Brüsseler Institutionen. Doch auch hierzulande gilt wie überall: In Wahrheit ist nichts umsonst.

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