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© dpa

Neue Biografie: Mehr als Schwarzbrot

Unter dem Spitznamen "Heinrich Pumpernickel" mischte der Engländer Chris Howland die deutsche Radiolandschaft auf. Seine Liebe zum „Funk“ ist auch mit über 80 ungebrochen.

Gibt man in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia „Heinrich Pumpernickel“ ein, landet man automatisch bei Chris Howland. Denn Jahrzehnte zuvor, als man von einem weltumfassenden Informationsnetzwerk wie Wikipedia nicht mal in Science-Fiction-Romanen fantasierte, war der Name Howland vielen seiner Fans nicht geläufig. Sie kannten ihn unter dem Namen „Heinrich Pumpernickel“, ein Spitzname, den sich Howland in einer seiner Radiosendungen „Spielereien mit Schallplatten“ selbst gegeben hatte. Noch heute ist der legendäre Moderator sicher, dass ihn die Mehrzahl der Radiohörer unter diesem Namen kennt.

2008 ist Howland achtzig Jahre alt geworden, mehr als sechzig Jahre davon lebt er nun schon in Deutschland. Bei jedem anderen würde man sich wundern, warum er nach so langer Zeit immer noch nicht richtig Deutsch kann – aber der starke britische Akzent ist ebenso sein Markenzeichen wie seine kessen Sprüche. Howlands Stimme klingt deshalb noch immer exakt so, wie man sie von einst im Ohr hat.

In diesen Tagen erscheint nun Howlands Autobiografie „Yes, Sir!“ (Rowohlt Verlag, 316 Seiten, 16, 90 Euro). Darin beschreibt er, wie seine Karriere angefangen hat in jenen Aufbruchjahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1948 hatte Howland für den britischen Soldatensender British Forces Network (BFN) gearbeitet. Mit seiner modernen Musik machte BFN dem braven deutschen Radio die Hörer abspenstig. Als sich Howlands Zeit bei BFN dem Ende zuneigte, hatte er wenig Lust, in seine Heimat zurückzukehren, denn in London hätte er wieder ganz unten, als Botenjunge, anfangen müssen. „Da habe ich mein Glück lieber beim NWDR probiert, habe mir mit zwei Gin-Tonics Mut angetrunken, bin da reinmarschiert und habe gesagt: ‚Sie haben auf mich gewartet!’“, sagt Howland.

Derlei wäre im heutigen Zeitalter der Marktforschung, die nichts dem Zufall überlässt, undenkbar. 1952 aber konnte Howland dem damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk in Hamburg keck ankündigen, er werde die Zuhörer zurückholen, wenn man ihn nur gewähren ließe.

Während viele von Howlands britischen und amerikanischen Kolleginnen und Kollegen es in jenen Jahren als obersten Auftrag betrachteten, Deutschland zu demokratisieren, setzte der Engländer ganz andere Prioritäten: „Damit hatte ich nichts am Hut. Mein Wunsch war es immer schon, die Leute happy zu machen.“

Und das gelang ihm auf Anhieb auf eine Art und Weise, die ihn vermutlich selbst verblüfft hat. Dabei war das Unternehmen durchaus riskant. Howland konnte nur wenige Brocken Deutsch und musste sich seine Moderation in eine Art Lautschrift übersetzen lassen („Sitzen Sie bekwäm? Dann fangar ish arn“). Außerdem besaß der NWDR keine geeigneten Apparate für Howlands Schallplatten, die Geräte mussten ausgeliehen werden. Übers Scheitern habe er aber gar nicht nachgedacht. Er habe „die Dinge nie geplant, sondern sie einfach ausprobiert, ganz egal, wie verrückt sie waren; erst beim Radio, dann beim Fernsehen, schließlich beim Kinofilm. Ich hätte nie gedacht, dass ich in Deutschland so populär werden und hier den Rest meines Lebens verbringen würde.“

Für die deutsche Radiolandschaft sei er der richtige Mann zur richtigen Zeit gewesen: „Mein größtes Glück war das riesige Bedürfnis der Deutschen nach Humor, gerade in der Nachkriegszeit. Hier wurde Radio bis dahin im Smoking gemacht, da hatte ich mit meinem Jeansfunk leichtes Spiel. Ich fand es schon immer viel interessanter, etwas zu versuchen, was nicht auch alle anderen machten. Der Zuspruch der deutschen Hörer war und ist fantastisch.“ Ähnlich erfolgreich wie Howland war in jenen Jahren auch ein anderer „Einwanderer“, der Amerikaner Bill Ramsey. So unterschiedlich die beiden Typen waren, eins einte sie aus Sicht des Briten: „Wir gingen lockerer an die Sache ran, wir waren ‚relaxed’ und haben uns nicht verstellt. Das kam einfach gut an.“

Dabei klingt Howlands Credo für das Sprechen im Radio durchaus nach alter Schule: „Man muss immer daran denken, dass man zu einer älteren Dame spricht, die etwas schwerhörig ist. Deshalb redet man deutlich und mit Respekt und erzählt keine schmutzigen Witze. Das wissen heute viele Radiomacher nicht mehr.“

Chris Howland wurde am 30. Juli 1928 in London geboren, seit über 60 Jahren arbeitet er in Deutschland: erst für BFN, ab 1952 als „Schallplatten-Jockey“ für den damaligen NWDR („Rhythmus der Welt“), ab 1961 auch fürs Fernsehen („Musik aus Studio B“). Er importierte unter anderem die Idee, Menschen Streiche zu spielen und dies mit versteckter Kamera aufzuzeichnen („Vorsicht Kamera!“, 1961 bis ’63). In den Sechzigern machte Howland auch als Kinostar Furore, unter anderem in fünf Karl-May-Verfilmungen. Noch heute moderiert Howland, der in der Nähe von Köln lebt, für WDR 4 die Radiosendung „Spielereien mit Schallplatten“. tpg

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