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Das ist nicht Mehmet Scholl. Bei YouTube wurden die Videos der von der Dachterrasse moderierten Late-Night-Show mit Chris Guse mehr als eine halbe Million Mal abgerufen.Foto: RBB

© rbb

Neue Late-Night-Show im RBB: Eins aufs Dach

Moderator Chris Guse soll dem RBB mit einer Late-Night-Show zu mehr jungen Zuschauern verhelfen. Gesendet wird von einer Kreuzberger Dachterrasse.

Ein junger, zappeliger Mann mit Baseballkappe, der auf einer Kreuzberger Dachterrasse sitzt, dauernd auf eine kleine Quietschente haut, Bananen aufsägt, bei Angela Merkel die Fenster putzt, mit seiner genervten Redakteurin hinter der Kamera quatscht und am Ende in der Show twittert – das also ist eine der neuen Sendeideen, mit denen der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) sein Programm auf Trab bringen will. Der Mann heißt: Chris Guse. Die Show: „GuseBerlin“, Start am späten Donnerstagabend. Ein paar Tage vorher sitzt der neue Hoffnungsträger des RBB im Kreuzberger Café. Der Mann sieht mit seiner Kappe ein bisschen so aus wie Mehmet Scholl, der kecke TV-Experte, der gerne aneckt. Wer Guse mal eine Stunde beim Frühstück in Kreuzberg erlebt und dabei RBB-Lieblinge wie Ulli Zelle im Kopf hat, kann sich jedenfalls gut vorstellen, warum das immer nicht so einfach ist mit dem flotten, frechen Programm im RBB.

Der Reihe nach. Der Letzte, der beim Hauptstadtsender (Durchschnittszuschaueralter: 62) die Geschmacksgrenzen auszuloten versuchte, hieß – Ken Jebsen. Der RBB hatte die Zusammenarbeit mit dem teils sehr beliebten, aber auch sehr umstrittenen RadioFritz-Moderator im November 2011 nach vermeintlicher antisemitischer Äußerung – samt anschließender „Nichteinhaltung der verbindlichen Vereinbarungen“ – nach zehn Jahren beendet. Das muss jetzt nichts bedeuten: Die Medienkarriere von Chris Guse, 32, begann bei Radio Fritz. Vorher Zivildienst, Studium der Germanistik (nicht abgeschlossen), Start einer Rockband, mit der Guse 2008 zu Gast in der Sendung von Ken Jebsen war. „Ich erzählte ihm von den Comedysachen, die wir privat machen“, sagt Guse. „Ken Jebsen meinte: Bringt das mal raus. Wir bekamen eine Rubrik bei ,KenFM’.“ Irgendwann fragte Fritz Chris Guse, ob er nicht ein „Radiofritze“ werden würde. Mittlerweile hat Guse dort eine eigene Sendung, zweiwöchentlich am Nachmittag.

Nun also „GuseBerlin“, eine Innovation beim RBB Fernsehen. Mit einem jener jungen Wilden wie Jan Böhmermann, Joko Winterscheidt oder Klaas Heufer-Umlauf, die alle mit „Schmidteinander“ groß geworden sind und derzeit das eingeschlafene öffentlich-rechtliche Fernsehen rocken. Dabei mag Guse das Wort „Innovation“ gar nicht. Und das Thema Jebsen ist für Guse auch kein Thema. Das rührt er lieber weg, wie seinen Joghurt beim Frühstück. Er müsse keine Tabus um ihrer selbst brechen. Und, Zensur? „Ich habe keine Schere im Kopf. Ich verlass’ mich auf mein Bauchgefühl.“ Man muss nicht provozieren, um aufzufallen. „Anecken und Provozieren ist doch Marketing geworden.“ Das hieße aber nicht, dass „GuseBerlin“ nicht auch politisch sein kann, wie beim Videogag mit Claus Kleber und Irans Präsidenten Ahmadinedschad, wo Guse sich genauso frech hat dazwischenschneiden lassen wie beim Sommerinterview mit Merkel.

TV-Schnipsel klauben, Selbstversuche mit Chemikalien, über Außenreporter herziehen, Fiona Erdmann als ersten Gast für fadenscheinige Interviews auf der Dachterrasse einladen, ein bisschen erinnert „GuseBerlin“ an die Anfangsanarchie eines Kurt Krömer. Das tut dem RBB ganz gut. Da stört es auch nicht, dass manches „Berlin-Gefühl“ überstrapaziert wird, und dass Ulli Zelle in der neuen Show eine Rubrik bekommt. Für Guse ist Ulli Zelle eh’ „der Johnny Cash des RBB“.

Ob das den Zuschaueraltersdurchschnitt des RBB radikal senken wird, sei dahingestellt, zudem erst mal nur vier Ausgaben geplant sind. Der Kreuzberger nimmt’s locker. Als Guse der Programmdirektorin Claudia Nothelle im Frühjahr zusagte, habe er von der Programmreform, der Diskussion drumherum nichts gewusst. Und dieser große Sprung, vom Radio ins Fernsehen? Jörg Thadeusz, Marco Seiffert, das Ganze birgt Chancen und Risiken. Guse rückt seine Kappe zurecht. „Das mag sein, aber ich empfinde es nicht so. Wir machen diese Show seit Monaten im Internet.“ Seine Kollegen von Radio Fritz, Su Holder und Sebastian Simmert, und er mussten sich nicht extra überlegen, was man im Fernsehen veranstalten könnte.

Im Internet ist Guse längst ein Star. Bei YouTube wurden die Videos mehr als eine halbe Million Mal abgerufen. Wo sich Chris Guse in zehn Jahren sieht? „Mit meinem Freundeskreis habe ich verabredet: Wir machen das jetzt erst mal, bis wir 40 sind. Hat Harald Schmidt nicht gesagt: Late-Night ist Langstrecke?“

„GuseBerlin“, RBB, 22 Uhr 45

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