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Zerstörtes Lebensglück. Holbrecht (Marcus Mittermeier) erleidet in seiner neuen Wohnung einen Nervenzusammenbruch – Szene aus der „Schuld“-Folge „Kinder“.

© ZDF und Julia Terjung

Neue "Schuld"-Folgen im ZDF: Glücksspiel Kindheit

„Schuld“: Das ZDF verfilmt weitere Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach. Alle drehen sich um Kinder und Kindheit.

Schreibt so ein Weiser? Ein Zyniker? Ein Einsamer? „Ich weiß nicht, ob es eine sorglose Kindheit gibt, ich glaube es nicht, zu kompliziert ist das meiste, was wir als Kinder erleben.“

Der Satz stammt von dem Rechtsanwalt und Schriftsteller Ferdinand von Schirach aus dem Jahr 2010. Es geht in dem Artikel um Kindesmissbrauch an Internaten. Schirach, der von 1974 bis 1984 die Jesuitenschule St. Blasien im Südschwarzwald besuchte, hatte Glück gehabt, keine Übergriffe erlebt, nur die dort üblichen strengen Erziehungsmaßnahmen. Aber auch positive Bildungserlebnisse. Glück muss der Mensch haben, besonders als Kind. In diesem Lebensabschnitt muss er aber auch kämpfen, nicht jammern und nicht auf pädagogische Erlösung hoffen. Schirachs Erkenntnisse über die Jesuiten-Jahre: „Das Merkwürdige war, dass es eigentlich keine Erziehung durch die Patres gab,... die Kinder erzogen sich selbst.“

Der dunkle Gott (oder Teufel) des Zufalls hinterlässt seine Spuren auch dort, wo Aufklärung Licht verbreiten will. Ursachenforschung, wieso das eine Kind Erziehungsglück hat und ein anderes nicht – fragen Sie nicht den Psychologen, sondern den Mann, der das Glücksrad dreht.

Das unschuldige Kind ist nur ein Klischee

Gleich in der ersten der vier neuen Schirach-Folgen mit dem Titel „Kinder“ wird aufgeräumt mit dem Klischee vom unschuldigen Kind. Herr Holbrecht (Marcus Mittermeier) ersehnt nichts mehr, als Vater zu werden. Seine Frau, die Lehrerin Miriam (Natalia Belitski), möchte lieber mit dem Kinderkriegen noch warten und ihre Grundschulklasse zu Ende führen.

Das gemeine Schicksal will es anders. Kindliche Mädchenintrigen der Schülerinnen von Frau Miriam, deren kurze Affäre mit einem Schülerinnenvater, versagen Holbrecht das Glück. Ungerechte Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs bringen den Lehrerinnengatten ins Gefängnis. Ausgerechnet die Sehnsucht nach einem Kind wird von Kindern zerstört. Und dazu das Leben eines unschuldigen Mannes. Gott würfelt und zeigt einen höllischen Humor dabei.

Die nächste Abrechnung gilt einer heiligen Kuh der Erziehung, der Mutterliebe. Dieses Stück heißt „Anatomie“ (22. September). Klingt nicht nur nach Messer. Es ist Messer. Was passiert, wenn sich der beruflich erfolglose Sohn Nico Hellmann (Samuel Schneider) einer alleinstehenden Mutter (Iris Berben) zum Monster entwickelt. Wenn Katzen und Hunde im Sezierkeller der Wohnung zerlegt werden? Wenn alles Blut der Verwandtschaft so dick wird, dass sich eine Mutter nach Wasser sehnt und den plötzlichen Unfalltod des Kindes als Erlösung begreift?

„Das Cello“ (29. September) ist die düsterste Folge aus der Kinderhölle. Dabei beginnt alles so hoffnungsfroh. Die ohne Mutter aufwachsende Theresa Tackler (Josefine Preuß) spielt begabt das Instrument des Serientitels. Der reiche, amoralische Vater Max (Jürgen Maurer), ein düsterer Patriarch, ewig auf Reisen, vor Inzest nicht zurückschreckend, ist zufrieden. Doch leider hat die „Cello“-Schwester den sich zum Totalausfall entwickelnden Bruder Leonhard (Louis Hofmann). Ein Opfer der schwarzen Pädagogik des Vaters. Der Bruder wird nach einem Unfall zum Pflegefall, Theresa muss ihn töten, der Vater erschießt sich, die Tochter begeht Selbstmord. Da hilft auch das Bach-Cello-Solo nichts, das als Hintergrundmusik (verantwortlich für die insgesamt sparsam-kluge Filmmusik der vier Folgen: Richard Ruzicka) zur Tröstung des Trostlosen zu hören ist.

Schöne Filme, unschöne Botschaften

Bleibt noch „Familie“ (6. Oktober) – das Dementi des Gleichnisses vom verlorenen Sohn. Da sind der erfolgreiche Manager Waller (Jürgen Vogel) und sein Halbbruder Fritz Meinering (Lars Eidinger), ein Taugenichts mit einer Knasterfahrung nach der anderen. Bei Jesus verzeiht der Vater dem Loser, Schirach misstraut diesem himmlischen Happy End. Waller erwägt, seinem Halbbruder Versöhnung zu gewähren, wie der Vater aus der Bibel. Aber Gnade gibt es bei Waller nicht für lau. Rechtsanwalt Kronberg (Moritz Bleibtreu), der in allen Folgen wie ein Ecce-Homo-Stifter auf mittelalterlichen Gemälden verwundert, aber willig durch die Schirach-Hölle führt, muss den Knasthalbbruder moralisch überprüfen.

Keine schönen Botschaften, aber lauter schöne, elegante Filme. Blumen des Bösen. Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes schneidend komisch: wenn der Monstersohn seine Leichenwerkstatt liebevoll zu Hause im Keller aufbaut und Mutter Berben mit säuerlicher Miene auf die Grabhügel des Gartens schaut.

Produzent Oliver Berben, Regisseur Hanu Salonen, Kameramann Wolf Siegelmann sind auch in diesen neuen vier Episoden der unsentimentalen Weltsicht des Schicksalsforschers Schirach gefolgt. Nur in der „Cello“-Episode macht das Spiel von Josefine Preuß unerwünschte Tränen des Mitleids möglich.

„Schuld“, ZDF, Freitag, 21 Uhr 15

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