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Ein neues Werk von und mit Olli Dittrich in der ARD.

© WDR/Beba Lindhorst

Neue TV-Parodie mit Olli Dittrich: "Fragen Sie den Seelenbrecht, der sagt die Wahrheit"

Der Martin Kippenberger des Fernsehens: In seiner neuen TV-Persiflage wandelt Olli Dittrich auf den Spuren eines Enthüllungsjournalisten.

Diesel-Abgas-Skandal? Schon in den 1970er Jahren erkannt und im „Bericht aus Berlin“ vom Reporter angemahnt. Die wahre Geschichte des Problembären Bruno? Kennt nur Ex-Papst Benedikt. Doping im Spitzensport? Die Deutschen ein Volk von Ferngesteuerten? Die Perspektive für den Berliner Großflughafen BER? Man kann es bei all diesen mehr oder weniger wichtigen Fragen mit Willy Brandt halten: „Fragen Sie den Seelenbrecht, der sagt die Wahrheit.“

Sigmar Seelenbrecht, Meisterreporter – eine weitere Kunstfigur aus dem Parodien-Fundus von Olli Dittrich. In seiner siebten TV-Persiflage schlüpft der Schauspieler/Komiker/Regisseur in Lebensphasen eines weise gewordenen Enthüllungsjournalisten und bedient sich dabei gerühmter Authentizifierungsmethoden. Montiertes Archivmaterial (Brandt neben Seelenbrecht in der „Tagesschau“), ein „Exklusiv-Interview“, dazu O-Töne von Günther Jauch, Matthias Brandt, Anne Will oder Giovanni di Lorenzo.

Zunächst einmal: Man muss diese Art von komischem Fernsehen nicht mögen. Schon gar nicht, wenn man mit der jahrelang gepflegten Dittrich-Kunst der feinen Beobachtung und Anverwandlung wenig anfangen kann. Seelenbrecht fügt Dittrichs Beckenbauer-Parodie Schorsch Aigner oder Dittsche, dem arbeitslosen Imbissbuden-Besucher im Bademantel, die Dimension einer Spezies zu, die vielleicht mehr eine Sache der Medienbranche ist: der Enthüllungsjournalist, der in all seinen (scheinbaren?) Uneitelkeiten immer „an der Wahrheit interessiert“ ist.

Kommentare in den "Tagesthemen" à la Sigmund Gottlieb

So öffnet Seelenbrecht Reporter Tom Theunissen die Tür zur Berliner Altbauwohnung und blickt mit übergroßem Jackett, roter Hose und schlechtem Rücken auf Recherche-Highlights aus fünf Jahrzehnten zurück, neben sich auf dem Teetisch „Spiegel“-Cover, die Seelenbrechts Geschichten aufgegriffen haben. Seelenbrecht kommt ins Erinnern, verhaspelt sich. Von Ferne erinnert das, „nicht wahr?“, an Reporter-Legenden wie Peter Scholl-Latour und Peter Gatter. Oder an entrüstete Plattitüden-Kommentare in den „Tagesthemen“ à la Sigmund Gottlieb.

Es ist hanebüchen, welche Fäden der jüngeren Zeitgeschichte hier zusammengesponnen werden. Gelegentlich treibt es Dittrich mit der Pointe ein bisschen zu weit. Bei der Komposition des Stones-Hits „Angie“ hatte Teufelskerl Seelenbrecht seine Finger im Spiel. Und der 2006 erschossene Problembär Bruno war in Wirklichkeit „Romelius“, der Hausbär von Papst Benedikt. Ganz traurige Geschichte. Die Wege des Bären sind unergründlich. Das Lieblingstier im Vatikan hätte zwar an Fresken in der Sixtinischen Kapelle gekratzt, aber so ein Ende, Herr Stoiber, hatte der Bär nicht verdient. Das weiß nur der Meisterreporter, der selber was hat von einem Bär.

Sigmar Seelenbrecht (eine Anspielung auf Rolf Seelmann-Eggebert?) ist nicht nur Tierfreund, sondern natürlich auch eine Autorität in Sachen Verschwörungstheorien, gerade weil der 81-Jährige mit Social Media nichts anfangen kann. Als ihm der Interviewer auf dem iPad geheimdienstlich „überspielte Bilder“ zeigt, die belegen sollen, dass der scheinbar ewig junge Wladimir Putin in Wahrheit über 100 Jahre alt ist, dank modernster Einfriermethoden, sagt der Vollblutjournalist: „Dummes Zeug! Fake News!!“ Wie zum Beweis holt Seelenbrecht ein Video aus seinem Riesenarchiv. Dort steht der deutsche Meisterreporter neben dem russischen Präsidenten. Man kennt sich.

Dummes Zeug? Irrsinn? Nein, hohe Kunst der Persiflage, 45 Minuten unterhaltsame Reflexion übers öffentlich-rechtliche Fernsehen, mit konstruierten Identitäten – Olli Dittrich ist der Martin Kippenberger des Fernsehens.

„Der Meisterreporter – Sigmar Seelenbrecht wird 81“, Donnerstag, ARD, 23.30 Uhr

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