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Neue Verbreitungswege: Fernsehen zum Abschalten

Kein Hertha-Spiel über Antenne, Zusatzgebühren für schärfere Bilder – das digitale Fernsehen lässt den Zuschauer ratlos zurück.

So bitter kann der Abstieg sein. Statt Bayern München und Borussia Dortmund heißen die Gegner von Hertha BSC in der zweiten Bundesliga nun Greuther Fürth oder Erzgebirge Aue. Und dann wird vielen Fans auch noch die Chance genommen, ihrem Verein per TV-Übertragung die Treue zu halten. Der Sender Sport1 hat seine Ankündigung tatsächlich wahr gemacht und die Ausstrahlung seines Programms in Berlin via DVB-T eingestellt. Und dass, obwohl Berlin nicht nur die Stadt Deutschlands ist, in der das digitale Antennenfernsehen seinen Ursprung hat, sondern mit 25,5 Prozent zugleich die Region mit der höchsten DVB-T-Quote in der Bundesrepublik ist. Da kann man nicht nur den Glauben an seinen Verein, sondern auch noch an die ganze digitale Technik verlieren. Immerhin können sich die Hertha-Fans mit den Anhängern des FC Union sowie mit den Füchsen und Alba Berlin gegenseitig trösten, die vom DVB-T-Verzicht des Münchner Senders – dem ehemaligen Deutschen Sportfernsehen – gleichermaßen betroffen sind.

Für Sport1 stellte die seit 2003 laufende „testweise“ Ausstrahlung über DVB-T am Ende nur noch eine „teuer erkaufte Reichweite“ dar. Berlin-Brandenburg war übrigens die einzige Region, in der Sport1 auch über Antenne empfangen werden konnte. Sender-Geschäftsführer Zeljko Karajica will mit der Entscheidung gegen diesen Verbreitungsweg allerdings kein Grundsatzurteil über DVB-T abgeben. „Aber für einen Spartensender standen die Kosten in keinem Verhältnis zum Reichweitengewinn“, sagte er dem Tagesspiegel. Das letzte Montagsspiel von Hertha gegen Alemannia Aachen, das bei Sport1 live zu sehen war, haben Karajica zufolge auch ohne DVB-T über eine Million Zuschauer verfolgt. Um die Reichweite zu erhöhen, setzt Sport1 auf Kabel, Satellit und Internet-TV, große Hoffnungen verbindet Karajica vor allem mit dem zusätzlichen Pay-TV-Angebot Sport1+. Aber auch ohne Kabel, Satellit und T-Home können die Berliner die Livespiele von Hertha und Union Berlin sowie die von Sport1 ausgestrahlten Begegnungen im Handball und Basketball verfolgen – „wir sind nach wie vor auch über den Internet-Streamingdienst Zattoo zu sehen“, sagte der Sport-1-Geschäftsführer. Doch auch wenn die technische Verbreitung von Sport1 selbst nach dem Aus der DVB-T-Übertragung mit 86 Prozent nur vier Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt liegt, bleibt ein schaler Beigeschmack. Ist das nun das Ende von DVB-T?

Quasi im Nachhinein bestraft werden die DVB-T-Zuschauer in Nürnberg. Dort hat die Kölner Senderfamilie um RTL von ihrem Sonderkündigungsrecht beim digitalen Antennenfernsehen Gebrauch gemacht. Zum Monatsende wird die Ausstrahlung über die Antenne eingestellt. Als Grund dafür wird der Wechsel auf einen anderen Kanal angegeben. Dies war im Zusammenhang mit der Breitbandversorgung des ländlichen Raums über die neue Mobilfunktechnik notwendig geworden. Die Entscheidung der Kölner hat sich jedoch inzwischen zum Politikum ausgewachsen. Die Nürnberger Grünen-Abgeordnete Christine Stahl wirft dem Sender Missbrauch seiner Medienmacht vor. Der Zuschauer schaut in die Röhre.

Dabei kann niemand den TV-Konsumenten Technikverdruss oder Kaufzurückhaltung vorwerfen. Selbst die Krise konnte der Kauflust bei Flachbildfernsehern nichts anhaben. Und neue Techniken wie Digital-TV, HD-Schärfe oder die TV-Zusatzangebote aus dem Internet weiß der Verbraucher zu schätzen – solange die Versprechungen von Industrie und Sendern gehalten werden.

Einem regelrechten Streit der Systeme ist der Zuschauer derzeit beim hochauflösenden Fernsehen der Zukunft ausgesetzt. ARD, ZDF und Arte sind inzwischen sowohl über Satellit als auch über Kabel unverschlüsselt in High Definition (HD) zu sehen. Jeder HD-ready-Fernseher mit einem HD-Empfangsteil kommt damit klar. Die RTL-Gruppe und ProSiebenSat1 wollen einen anderen, kostenpflichtigen Weg gehen und setzen auf HD plus. Derzeit wird der neue Standard nur über Satellit übertragen. Der Zuschauer muss sich neue Empfangsgeräte mit besonderen Modulen für die HD-Plus-Karten anschaffen. Inzwischen gibt es zwar immer mehr Fernseher oder Dekoder, die mit HD plus zurechtkommen, aber der springende Punkt ist ein anderer: Für HD plus muss der Zuschauer nach zwölf kostenlosen Probemonaten extra zahlen – 50 Euro im Jahr beträgt die zusätzliche HD-Gebühr, vom Betreiber als „Service-Pauschale ohne vertragliche Bindung, Registrierung oder Abonnement“ bezeichnet.

Im November laufen für die ersten HD-plus-Zuschauer die Kostenlos-Monate ab. Dann wird sich zeigen, wie viel dem Verbraucher die zusätzliche Schärfe Wert ist. Erfüllen sich die Vorstellungen der Privatsender nicht und HD plus wird zum Flop, wird erneut eine Zukunftstechnik beschädigt. So lange der Streit um den nächsten Standard anhält, muss sich niemand wundern, wenn der Zuschauer beim herkömmlichen Bild und bei seinem 30 Jahre alten Videotext bleibt.

Ohnehin gehört Deutschland im europäischen Vergleich bei der Digitalisierung mit einer Quote von 56 Prozent zu den Nachzüglern. Das unabgestimmte Verhalten vieler Marktteilnehmer sowie die ständigen Verunsicherungen der Verbraucher haben ihren Anteil daran. Dabei rechnen Experten damit, dass selbst im Kabelsektor die analoge Ausstrahlung spätestens in fünf Jahren beendet sein wird.

Ein weiteres bestimmendes Thema der letzten Funkausstellung war das Hybrid-Fernsehen, also die Kombination von Fernsehen und Internet. Dazu gehört auch ein neues digitales Videotextangebot mit dem sperrigen Namen hbbTV. Dafür nötig ist wiederum ein spezieller Empfänger oder ein Fernseher mit Zugang zum Internet. Zu den Vorteilen des „Hybrid Broadcast Broadband TV“ gehört, dass der Zuschauer mit einem roten Knopf auf der Fernbedienung in das Programm eingreifen kann, denkbar wäre dies bei „Wer wird Millionär?“ oder „Wetten, dass …?“. Aber auch beim Hybrid-TV geht jede Sendergruppe einen eigenen Weg. Anders als beim klassischen Videotext mit seiner Klötzchengrafik gibt es bei hbbTV keine festen Regeln für den Aufbau der Bildschirmseite. Viele Ifa-Besucher fanden das bereits sehr anstrengend. Selbst das System mit vier farbigen Knöpfen hilft nur begrenzt. Denn was nutzt es, dass der gelbe Knopf zur Mediathek führt, man sich aber dann aber nochmals zwischen mehreren Angeboten eines Senders entscheiden muss.

Am Computer kann eine verpasste Sendung bereits heute komfortabel über die Mediatheken abgerufen werden. Doch während der PC-Nutzer weniger Probleme damit hat, für beinahe jeden Sender eine andere Mediathek aufzurufen, die dann auch noch mit einem anderen Media Player arbeitet, ist dies Couchpotatoes nicht zuzumuten. Die neuen auf der Funkausstellung vorgestellten Hybrid-Fernseher, die klassisches TV mit den Vorteilen des Abruffernsehens aus dem Internet verbinden, müssen auf unkomplizierte Weise mit der Fernbedienung genutzt werden können. Für den Zuschauer wäre ein einzige Mediathek, in die alle Sender ihre Angebote einstellen, darum der beste Weg. Die Realität sieht anders aus, wie das ZDF gerade gezeigt hat. Die Mainzer wollen zusätzlich zur bestehenden Mediathek eine zweite Abrufseite aufbauen.

Zum Hintergrund: Die Privatsendergruppen von RTL und ProSiebenSat1 haben unlängst ihre Pläne für eine gemeinsame Mediathek bei den Kartellwächtern angemeldet. Die eigenen Plattformen sollen erhalten bleiben, in die gemeinsame Mediathek sollen nur die kostenlosen Angebote gelangen. Die kostenpflichtigen werden weiter über RTLnow oder Maxdome vermarktet.

Das ZDF will nun den umgekehrten Weg gehen. Das normale Programm bleibt in der ZDF-Mediathek, kostenpflichtige Lizenzproduktionen werden auf die neue Plattform ausgelagert. Bislang muss das ZDF solche Produktionen bei Maxdome einstellen. Die gegenseitigen Beteuerungen, die eigene Plattform stehe auch für Dritte offen, will man da nicht so recht glauben. Aus dem Spannungsfeld zwischen öffentlich-rechtlichem Gebührenfernsehen und werbefinanziertem Privatfernsehen sind das verständliche Überlegungen. Für den Zuschauer werden sie – wie so vieles rund ums Digitalfernsehen – zum Ärgernis.

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