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Gefängniskluft statt Abendkleidung. Professor Boerne (Jan Josef Liefers, links) in ungewohnter Rolle. Aber seine Freunde halten zu ihm.

© WDR

Neuer Tatort aus Münster: Boerne im Büßergewand

Neue Töne in Münster: Statt lautem Klamauk bestimmt die große Politik den „Tatort“. Die Fans des Duos Liefers/Prahl fragen sich derzeit allerdings, wie lange es den Krimi aus der westfälischen Provinz noch geben wird.

Es war, wie sich später herausstellte, ein Versehen und keine Absicht. Allerdings könnte es durchaus falsch verstanden werden, dass der WDR in der Chronik der „Tatort“-Folgen aus Münster ausgerechnet den umstrittensten Film vergessen hat. Der „Tatort“ aus der westfälischen Provinz, häufig genug eine Krimipersiflage, war in der Jubiläumsfolge „Das Wunder von Wolbeck“ vor einem Jahr endgültig zu einer Karikatur geraten – die nun im Begleitheft zur neuen Folge komplett unter den Tisch fiel.

Die wundersame Streichung des Wolbeck-Ausrutschers aus den Annalen des Münster-„Tatort“ ist jedoch nur nebensächlich angesichts der neuen Töne, die mit der Folge „Die chinesische Prinzessin“ an diesem Sonntagabend angeschlagen werden. Nie zuvor hat man Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) so kleinlaut und verunsichert gesehen. Nach dem Hochmut befindet sich der Rechtsmediziner im freien Fall der Gefühle, nachdem er zum Hauptverdächtigen in einem Mordfall wurde. Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl), sonst zumeist unendlich genervt von Boerne, entpuppt sich als bester Freund des Snobs. Gegen alle Widerstände von Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) und übergeordneten Stellen aus Bund- und Länderministerien kämpft der Kriminalist für die Entlastung des Rechtsmediziners. Der Fall selbst lässt ebenfalls keinen Raum für den üblichen Klamauk, derbe Witze und Schenkelklopfer. Der Ermordung einer chinesischen Künstlerin und Bürgerrechtlerin und die mögliche Verstrickung des chinesischen Geheimdienstes in das Verbrechen sprechen ernste Themen an. Große Politik im kleinen Münster, heißt diesmal die Devise.

Mord in der Rechtsmedizin. Die chinesische Künstlerin und Dissidentin Songma wird auf dem Seziertisch ermordet, Professor Boerne kann sich an nichts erinnern. Immerhin glaubt Kommissar Thiel (Axel Prahl, links) an die Unschuld des Institutsleiters. Foto: WDR
Mord in der Rechtsmedizin. Die chinesische Künstlerin und Dissidentin Songma wird auf dem Seziertisch ermordet, Professor Boerne kann sich an nichts erinnern. Immerhin glaubt Kommissar Thiel (Axel Prahl, links) an die Unschuld des Institutsleiters. Foto: WDR

© WDR/Thomas Kost

Die Neuorientierung hat diesem „Tatort“ gutgetan. Und war offenbar notwendig. Elf Jahre nach ihrem ersten Aufeinandertreffen war es für das Duo Boerne/Thiel an der Zeit, die gewohnten Bahnen zu verlassen.

Für Axel Prahl ist die Zukunft des Münster-"Tatort" keineswegs sicher.

Axel Prahl hatte unlängst zum Schrecken aller Fans des Münster-„Tatort“ gesagt, dass für ihn eine Fortsetzung des Engagements nach 2014 keineswegs hundertprozentig feststehe. Es gebe viele Punkte, die beachtet werden müssten. „Mir sind gute Drehbücher wichtig“, hatte Prahl gesagt. Sein „Tatort“-Kompagnon Jan Josef Liefers hatte andernorts unterstrichen, dass die Zukunft der Reihe für ihn nur in der derzeitigen Ensembleformation denkbar sei, einschließlich der nikotinsüchtigen Staatsanwältin, der kleinen Alberich, dem kiffenden Taxifahrervater, aber vor allem Axel Prahl als Kommissar Thiel.

Regisseur Lars Jessen und Autor Orkun Ertener haben reichlich Erfahrung mit Kriminalfilmen, für den Drehbuchschreiber ist es bereits der achte „Tatort“. Doch für den in der Beliebtheitsskala weit oben rangierenden Münster-„Tatort“ waren beide zuvor nicht tätig. Das hat einerseits dazu geführt, dass der Prinzipalmarkt und andere Münsteraner Wahrzeichen mal wieder öfter ins Bild rücken. Vor allem aber versuchen Jessen und Ertener, neue Seiten im Verhältnis zwischen den Hauptakteuren zu finden. Das betrifft nicht nur Boerne und Thiel. Auch deren Assistentinnen Silke Haller (Christine Urspruch) und Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) bekommen mehr Raum zur Entfaltung.

Beim Mordopfer handelt es sich an diesem Sonntag um die gefeierte chinesische Künstlerin und Dissidentin Songma (Huichi Chiu), die ihre Installationen im Westfälischen Landesmuseum in Münster ausstellt. Songma ist die letzte Nachfahrin der chinesischen Kaiserlinie. Zu den Besuchern der Vernissage gehört auch Boerne, sichtlich angetan von der schönen Künstlerin. Die Sympathie wird von Songma geteilt. Zusammen mit dem Professor zieht es sie in die Rechtsmedizin, wo sie ausgestreckt auf dem Seziertisch den Tod findet. Ein blutverschmiertes Skalpell liegt neben ihr.

In der Patsche sitzt nun vor allem Karl-Friedrich Boerne, der sich nach seiner Bewusstlosigkeit an nichts mehr erinnern kann. Ein Bluttest ergibt, dass Boerne nicht nur niedergeschlagen wurde, sondern massiv unter Drogen stand. Doch es gibt auch andere Spuren. Kommissar Thiel stellt einen Mitarbeiter des chinesischen Konsulats, als dieser den Laptop der ermordeten Prinzessin klauen will.

Dass auf die dezenteren Töne in dieser Folge wieder ebenso lautstarke wie absurde Auseinandersetzungen zwischen Boerne und Thiel folgen werden, ist allerdings genauso unausweichlich wie gewünscht. Doch allein für dieses Mal hat es sich schon gelohnt, Boerne im Büßergewand eines Untersuchungshäftlings zu sehen.

„Tatort: Die chinesische Prinzessin“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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