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Tom Strohschneider (38) ist seit 1. August Chefredakteur des „Neuen Deutschland“. Der gebürtige Ost-Berliner folgt auf Jürgen Reents, der den Posten seit 1999 inne hatte.

© Thilo Rückeis

"Neues Deutschland": "Vielleicht sind wir Revolutionäre"

Die Zeitung "Neues Deutschland" hat einen neuen Chefredakteur. Im Interview spricht Tom Strohschneider über die Krise seiner Zeitung, Parteilichkeit und Oskar Lafontaine.

Von Matthias Meisner

Junger Ossi löst alten Wessi als Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ ab. Wie wichtig ist das?
Zunächst mal wird der junge Ossi die Chefredaktion mit dem alten Wessi noch eine Weile gemeinsam führen. Wichtig ist vor allem, dass eine Zeitung kollektiv entsteht.
Das „Neue Deutschland“ war mal SED-Zentralorgan, damals Massenblatt. Welche Bedeutung hat für Sie die Tradition?
Ich sehe in der Geschichte des „Neuen Deutschland“ keinen direkten Zusammenhang zu den Herausforderungen, die wir heute bewältigen müssen. Das „ND“ ist genauso von der Krise der gedruckten Nachricht betroffen wie alle anderen. Wir haben aber besondere Probleme, die Altersstruktur der Leserschaft und die stark auf den Osten konzentrierte Verbreitung.
Wird das „Neue Deutschland“ mit seinen Lesern aussterben?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Natürlich müssen wir darauf reagieren, dass heute von immer mehr Menschen immer mehr im Internet gelesen wird, dafür in gedruckten Zeitungen Meinung und Hintergründe eine größere Rolle spielen müssen als früher. Dafür sind wir mit einer guten Mannschaft gerüstet.
Haben Sie eine Idee, wie Zeitungen mit dem Internet Geld verdienen können?
Eine Zeitung wie unsere wird sich nicht zuallererst darauf konzentrieren, wie im Internet Geld zu verdienen ist. Für uns ist es wichtig, die Aufmerksamkeit für ein Produkt zu erhöhen, das bisher noch zu wenig wahrgenommen wird.
Wie wird man überhaupt Chefredakteur des „Neuen Deutschland“?
Jedenfalls nicht, indem man sich bewirbt.
Hat die Linkspartei, der über eine Verlagsgesellschaft die Hälfte des Blattes gehört, Sie berufen?
Es ist kein Geheimnis, dass die Hälfte der Zeitung über eine Gesellschaft der Partei gehört. Aber ich weiß nicht mal, wann die Linken-Führung von meiner Berufung auch nur Kenntnis genommen hat.
Wie nah oder wie fern muss das „Neue Deutschland“ von der Linkspartei stehen?
Wir beantworten diese Frage mit einem sehr großen Meinungsspektrum immer wieder neu. Es geht nicht darum, die Plattform für eine Partei zu sein. Wenn wir uns sozialistische Tageszeitung nennen, dann deshalb, weil wir uns einer Idee verpflichtet fühlen, die gerade nicht von einer Partei allein gepachtet werden kann. Es geht also nicht um eine Parteilichkeit gegenüber einer Organisation, sondern bei der Sicht auf die Welt und denen darin, die keine eigene Stimme haben.
Vor drei Jahren hat Lothar Bisky, damals noch Parteichef und Herausgeber des „ND“, gesagt, die Zeitung müsse die Erfahrungen ostalgisch gestimmter Leser berücksichtigen. Würden Sie diesen Satz heute so unterschreiben?
Es ist richtig, dass viele unserer Leser ihre Biografien in der Nähe der DDR-Staatspartei entwickelt haben, nach der Wende die fehlende Anerkennung dieser Biografien beklagten. Diese Lebenswege muss man genauso ernst nehmen wie die Kritik an der Art, wie diese nach der Wende zum Teil abgebrochen wurden. Ich komme aus der DDR und habe ein kritisches Verhältnis insbesondere zur SED, die als autoritäre Partei unglaublich viel kritisches Denken an den Rand gedrängt und damit eine Weiterentwicklung in dem Land unmöglich gemacht hat. Erst die Auseinandersetzung mit den Defiziten der DDR macht es möglich, es beim nächsten Mal besser zu machen.

"Ich brenne auf den Job"

Sind Sie Parteimitglied?
Nein.
Haben Sie eine Mission?
Der Begriff gefällt mir nicht. Ich brenne auf den Job, würde aber lieber sprechen von einer Riesenherausforderung mit unbekanntem Ausgang.
Und politisch?
Wir haben nicht den Auftrag, eine bestimmte politische Konstellation möglich zu machen. Aber es wäre schon schön, wenn eine Zeitung den Parteien helfen könnte, sich aus einer Konfliktlogik zu befreien, in der die SPD die Linke immer wieder auf ihre Regierungsunfähigkeit hinweist und die Linke die SPD immer wieder an die Agenda 2010 erinnert. Da sehe ich viel Selbstblockade, welche den Chancen linker Reformpolitik schadet.
Muss Ihre Zeitung die Linkspartei in den nächsten Bundestag schreiben?
Ach wissen Sie, ich sehe das ganz realistisch: Selbst wenn wir es wollten, würde es uns allein nicht gelingen.
Wieso mag Oskar Lafontaine das „ND“ nicht so richtig?
Da müssen Sie ihn schon selbst fragen. Vielleicht liegt es an unserer späten Zustellung im Saarland. Aber im Ernst: Ich sehe dafür inhaltlich keinen Grund.
Dietmar Bartsch wiederum, der sogar mal Verlagsgeschäftsführer war, hat es dem Vernehmen nach leichter bei Ihnen.
Dahinter steckt ja die Frage, ob wir einen bestimmten Flügel der Linkspartei bevorzugen. Da kann ich nur sagen, wir sind nicht dafür da, die interne Organisationslogik einer Partei widerzuspiegeln.
Sie haben beim „ND“ volontiert, waren dann bei der Wochenzeitung „Freitag“ und zuletzt ein halbes Jahr Redakteur der „taz“. Sind das nicht zufällig auch Ihre schärfsten Konkurrenten beim Kampf um neue Leser?
Eine Konkurrenz zwischen den Blättern im linken Spektrum kann produktiv sein – inhaltlich. Zeitungen, die allesamt nicht auf einem großen Berg von Abos sitzen, sollten sich allerdings nicht noch die Leser gegenseitig abspenstig machen.
Ihre Zeitung zahlt den Mitarbeitern nicht mal zwei Drittel des Tariflohns. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihren Forderungen nach fairer Bezahlung?
Selbstverständlich ist es ein Widerspruch, mit dem wir täglich konfrontiert sind, absolut. Glauben Sie mir: Mich schmerzt das.
Die Medienjournalistin Ulrike Simon hat über Noch-Chefredakteur Jürgen Reents mal geschrieben, er wirke wie ein müde gewordener Revolutionär. Stimmt das?
Das ist ein Urteil, das mich jetzt wirklich wundert.
Müde stimmt also nicht. Aber Revolutionär. Sind Sie ein Revolutionär?
Ab wann ist man Revolutionär? Rosa Luxemburg hat einmal gesagt, die revolutionärste Tat sei, immer laut zu sagen was ist. Das ist eigentlich ein sehr journalistisches Prinzip. Insofern sind wir hier vielleicht alle Revolutionäre.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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