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"News of the World"-Skandal: Rupert Murdoch: Der taumelnde Riese

Ende einer Legende: Bis zu 4000 Personen soll die britische Boulevardzeitung „News of the World“ abgehört haben – sogar Prinz Harry war dabei. Nun wird das Blatt von Medienmogul Murdoch geschlossen, und der Skandal weitet sich zur Staatsaffäre aus.

Andy Coulson scheute sein Leben lang die Schlagzeilen. Als Chefredakteur der „News of the World“ (NOTW) drang sein Name kaum je über die Cliquenwelt der Londoner Journalisten hinaus. Er zog die Fäden im Hintergrund. Später, als Kommunikationsstratege von Premier David Cameron, stand er bei den Pressekonferenzen ganz hinten und zupfte sich nachdenklich am Kinn, als wäre er ein distanzierter Beobachter, der mit all dem nichts zu tun hat. Auch gestern, als er um 10 Uhr zum Verhör in ein Londoner Polizeirevier schlüpfte, blieb er unerkannt.

Cameron sucht währenddessen das Scheinwerferlicht. Zum gleichen Zeitpunkt, als sein ehemaliger engster Mitarbeiter von der Polizei verhaftet wird, steht der Premier im eichengetäfelten Pressezimmer der Downing Street am Pult und hält eine eilends einberufene Pressekonferenz ab. Schadensbegrenzung ist angesagt. Die Krise schwappt in die Downing Street, und kein Andy Coulson kann dem Premier nun helfen.

Neue Enthüllungen über die schockierenden Aktivitäten der Zeitung NOTW und ihre Lauschangriffe, Beweise von korrupter Zusammenarbeit der Zeitung mit der Polizei, Bestechungszahlungen, dann die schockierende Entscheidung der globalen Mediendynastie der Murdochs, das strauchelnde Traditionsblatt einzustellen, die Rufe der Opposition nach neuen Wachhunden für die Presse, die Blockade von Murdochs Medienambitionen – das alles braut sich zu einem Skandal-Tsunami zusammen und macht die Nähe zwischen dem Premier und dem Murdoch-Imperium immer brenzliger. Oppositionschef Ed Miliband schoss seine Salve gleich morgens ab, als die Briten noch beim Frühstück saßen. Der Premier muss sich für die Einstellung Coulsons als Berater in der Downing Street entschuldigen. Es sei eine krasse Fehleinschätzung gewesen. „Das kann der Premier nur richtigstellen, wenn er diesen erschütternden Irrtum zugibt und sich entschuldigt, dass er Andy Coulson ins Zentrum der Regierungsmaschinerie brachte.“

Nun holt Cameron in der Downing Street tief Luft und sagt: „Andy war mein Freund und ist mein Freund.“ Aber er lässt keine Zweifel, wo die Freundschaft aufhört. „Mordopfer, Terroropfer, Familien, die ihre Liebsten im Krieg verloren, manchmal, weil sie unser Land verteidigten – dass die Telefone dieser Menschen abgehört wurden, nur um Storys für eine Zeitung zu haben, ist ekelhaft.“ Dann kündigt er die umfassende Untersuchung des Skandals durch einen unabhängigen Richter an: Überhaupt soll die britische Presseethik auf den Prüfstand kommen. Labour fordert neue Regulierungsmechanismen und eine Verschärfung der bisher eher lockeren Presseaufsicht, die im Falle der Hackerangriffe schmählich versagt hätten, und Cameron kann dem wenig entgegensetzen. Auch der Polizei stärkt er den Rücken, die scharf gegen alle Übeltäter vorgehen müsse – vor allem in den eigenen Reihen. „Die Polizei muss wissen, dass sie überall hingehen und jeden befragen kann, um dieser Sache auf den Grund zu gehen.“ Auch im Hauptquartier der Murdochs oder gar in der Downing Street?

An diesem Morgen gehen in Großbritannien alte, tiefe Freundschaften zu Ende. Nicht nur die zwischen Coulson und dem Premier, dem 43-jährigen Aufsteiger aus den Kleinbürgervierteln von Essex, der stolz auf seine Herkunft und seinen Akzent ist, und dem Absolventen der Aristokratenschule Eton, der die Selbstsicherheit und, sagen viele, Arroganz der Mächtigen hat. Zu Ende geht aber auch die lange, komplizierte Freundschaft zwischen den Regierenden in Großbritannien und dem britischen Boulevard, den Zeitungsleuten, die glauben, die Stimme des Volkes besser zu formulieren als die Institutionen des Landes. Die so viel auf sich halten, dass sie Wahlen zu entscheiden behaupten, wie 1997, als Rupert Murdochs „Sun“ am Morgen nach der Wahl schrieb: „Es war die Sun, die gewann.“ Oder im September 2009, als die gleiche Zeitung nach 14 Jahren treuer Labourgefolgschaft die Seiten wechselte und auf der Titelseite schrieb: „Labour hat sie nicht mehr alle.“

Für Coulson ist der Gang in die Polizeiwache das dritte Mal, dass er über eine Affäre der „News of the World“ stolpert. 2007 war es die Sache mit Prinz Harrys Knie. Hofreporter Clive Goodman und Privatdetektiv Glenn Mulcaire hatten ein bisschen zu viel über die abgerissene Sehne gewusst. Im Palast dachte man nach und merkte, dass jemand Harrys Handy abhörte. Goodman bekam vier Monate Gefängnis, Mulcaire sechs, Coulson trat zurück. Als Chefredakteur übernahm er die Verantwortung, bestritt aber, dass er etwas wusste. Die Polizei hatte, wie sie behauptete, „keinen Stein auf dem anderen gelassen“ und gefolgert, dass Goodman aus eigenen Stücken ohne Wissen seiner Chefs handelte, so das Untersuchungsergebnis. Cameron, die Presseaufsicht, die Murdochs – alle hielten sich an diesen Polizeibefund. Alle anderen im Land, vor allem der „Guardian“, schüttelten ungläubig den Kopf.

Mit seinem Rücktritt 2007 verhinderte Coulson, dass die Sache an die britische Presseaufsicht weitergegeben wurde – und schützte seine Chefs, die Murdochs. Doch 2009 veröffentlichte der „Guardian“ Beweise, dass Goodman und Mulcair keine Einzelfälle waren und der Verleger der Zeitung, Rupert Murdochs Sohn James, 750 000 Pfund Entschädigungen an Opfer von Hackerangriffen bezahlt hatte. James hatte gehofft, mit dieser Zahlung den Skandal „in die Flasche zurückstopfen“. Zu viel stand auf dem Spiel – vor allem der Plan der Murdochs, den lukrativen Bezahlsender BskyB in Alleinregie zu übernehmen. „Es war ein Fehler“, gab James Murdoch nun zu. Denn nun war noch unglaubwürdiger, dass Coulson von all dem nichts wusste. Niemand glaubte mehr, dass die Polizei ihre Aufgabe ernst nahm. Ein neues Ermittlungsteam wurde angesetzt – das gestern mit Coulson auch Goodman erneut in Haft nahm. Nur Cameron hielt bis zuletzt eisern an seinem Glauben an Coulson fest. Bis dieser im Januar 2011 als Kommunikationsberater doch zurücktreten musste: Ein NOTW-Redaktionsleiter war verhaftet worden. Der Schlagzeilen scheue Fadenzieher war zur Story, seine Arbeit in der Downing Street unmöglich geworden.

Während Coulson verhört wird, während der Premier in der Downing Street Schadensbekämpfung betreibt, beginnt in den Redaktionsräumen der „News of the World“ im Murdoch-Hauptquartier hinter der Tower Bridge die Arbeit an der letzten Ausgabe. Sonntag ist der letzte Erscheinungstag der Traditionszeitung. Selten wohl machen Zeitungsredakteure eine Zeitung mit so viel Wut und Tränen. „Die letzte Ausgabe der NOTW ist nun unsere wichtigste Aufgabe“, erklärt James Murdoch und wehrt damit Fragen nach seiner eigenen Zukunft und der seiner Mitarbeiterin Rebekah Brooks ab. Mit dem Bauernopfer der Zeitung will James den Skandal noch bremsen. Aber der Kurzhaarige mit der runden Nickelbrille, der als Mustersohn des Vaters die Geschäfte in Europa leitet und der berühmteste Rotschopf Großbritanniens, Rebekah Brooks, Chefin der Murdoch Holding News International, sind nun die Einzigen, die noch zwischen dem Skandal und dem Murdoch-Empire stehen.

Was Brooks wohl gefühlt haben wird, als sie am Donnerstagnachmittag in der NOTW-Redaktion die Bombe platzen ließ? „Ihre Stimme zitterte. Sie war unheimlich nervös“, berichten Redakteure. Nicht viele waren zu der Redaktionskonferenz gekommen. Niemand hatte eine blasse Ahnung, was kommen würde. Die meisten glaubten, Brooks würde ihren Rücktritt bekanntgeben. Denn sie steht ja mitten in dem Skandal: Sie selbst war vor Coulson NOTW-Chefredakteurin und leitete die Zeitung in den Jahren, als die Lauschangriffe um sich griffen und die Eltern von ermordeten Mädchen abgehört wurden oder Angehörige von Opfern der Londoner U-Bahn-Anschläge. 4000 Namen, heißt es, standen auf der Liste der Privatdetektive im Solde der NOTW.

Sicherheitsbeamte stehen neben Brooks. Sie spricht kurz, aggressiv und versucht, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. „Der ,Guardian’ wollte uns niedermachen und hat es geschafft“, sagt sie. Zweimal habe sie ihren Rücktritt angeboten, doch James und Rupert hätten abgelehnt. „Wir nehmen den Rücktritt an“, ruft ein Redakteur dazwischen. Als Brooks nach dem Meeting das Gebäude verlässt, ist ihr Gesicht hart, gespannt und wächsern. Niemand glaubt, dass sie noch lange auf ihrem Posten bleiben kann. Sogar Premier Cameron deutet in seiner Pressekonferenz an, dass ein solcher Rücktritt eine gute Sache wäre – auch hier ging eine Freundschaft in die Brüche: Brooks ist Nachbarin in seinem Oxforder Wahlkreis und gelegentlich bei den Camerons zum Dinner eingeladen.

Was wird der 80-jährige Vater Rupert gedacht haben, als er in Sun Valley im amerikanischen Idaho, wo er an einer Medienkonferenz teilnahm, nach hektischen Telefonkonferenzen das grüne Licht für die Schließung der NOTW gab? Als junger, aus Australien nach London gekommener Verleger hatte Murdoch die Zeitung 1969 seinem erbitterten Gegner Robert Maxwell abgejagt. Die NOTW war der Goldesel, mit dem Murdoch den Ausbau seines Zeitungsimperiums finanzierte – und bis heute die defizitäre „Times“ am Leben hält. Murdoch ist ein Zeitungsmann durch und durch. Niemand kann sagen, die NOTW hätte in den letzten 40 Jahren seiner Verlagsleitung nicht glorreichen Journalismus gemacht. Die NOTW war Großbritanniens führende „Kampagnenzeitung“. Sie deckte nicht nur Sexskandale von Prominenten auf, sondern setzte durch, dass Pädophile in öffentlichen Registern geführt werden und die britische Nation besser für die Soldaten sorgt, die ihr Leben opfern. Erst vor ein paar Monaten bekam die Zeitung den „Scoop of the Year“ Preis für ihre Aufdeckung von Korruption im Weltcricket.

Es war ein riskanter, aggressiver, aber nicht nur ein von niedrigen Instinkten angetriebener Journalismus. Oft ging die Zeitung zu weit, und viele Prozesse gingen verloren – etwa gegen FIA Präsident Max Mosley, dessen sexuelle Neigungen die Zeitung 2006 zum Schlagzeilenstoff machte und dafür wegen Verletzung seiner Privatsphäre 60 000 Pfund Bußgeld zahlen musste. In die Wut der NOTW-Redakteure über die Schließung mischte sich auch trotziger Stolz auf 168 Jahre oft brillanten Journalismus. „Die letzten vier Jahre haben wir einen Qualitätsjournalismus gemacht, der nichts mit der Zeitung zu tun hat, über die jetzt berichtet wird“, sagte Entertainment-Redakteur Dan Wootton. „Diese Storys, die Kampagnen die wir machen, wie wir unsere Leser in wichtigen Fragen repräsentieren, darauf können wir stolz sein. Boulevardzeitungen in Großbritannien tun mehr für die Menschen als irgendwelche andere Zeitungen in der Welt“ – das sagte Andy Coulson, nicht gestern in der Polizeizelle, sondern vor ein paar Jahren dem „Guardian“.

Bis zuletzt war die NOTW die auflagenstärkste englischsprachige Zeitung der Welt. Aber die Auflage ist von 6 Millionen in den 1990er Jahren auf 2,7 Millionen gesunken. Mit Bezahlfernsehen kann man nun mehr verdienen. Das sieht auch der alte Zeitungsfuchs Rupert ein. Die Übernahme von BSkyB ist wichtiger. Die NOTW war als Markenname vielleicht schon am Ende, weil Leser und Anzeigenkunden dem Blatt den Rücken kehrten, angeekelt und entrüstet von den illegalen Attacken, in einer Kampagne, die ausgerechnet im Internet angetrieben wurde, dem großen Konkurrenten der Presse. Aber mit der Schließung haben die Murdochs im Handstreich auch ein bisschen Rationalisierung in ihrem Zeitungsreich betrieben. Wenn die NOTW demnächst durch eine siebte Sonntagsausgabe der „SUN“ ersetzt wird, dem zweiten großen Boulevardriesen im Murdoch-Angebot, kann man verlorene Marktanteile im Sonntagsmarkt leicht wieder zurückerobern – mit viel geringeren Kosten.

Wie es für Coulson weitergeht, der vielleicht des Meineids angeklagt wird, oder für Brooks, deren Posten als Statthalterin in Murdochs Zeitungsreich gefährdet ist, ist nun fast nebensächlich. Nicht nur eine Zeitung ist untergegangen, Murdochs ganzes Reich ist in Gefahr.

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