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Medien: Nicht cool genug?

Ins Hauptprogramm passt Friedrich Schiller nicht. Nun kommt er ins „nachtstudio“

Einstein-Kongresse, Einstein-Sendungen, Einstein-Straßen, -Ausstellungen, -Foren, -Vorträge und -Spaziergänge. Wohin man schaut, wird das Einstein-Jahr gefeiert. Aber wo bleibt da Friedrich Schiller? Am 9. Mai jährt sich sein Todestag immerhin zum 200. Mal. Doch im Pisa-gebeutelten Deutschland beachtet das kaum jemand. Nimmt man die ZDF-Unterhaltungsshow „Unsere Besten“ als Maßstab, erreichte Schiller beim Zuschauervoting im vergangenen Jahr gerade mal Platz 68. Dabei war Schiller als Dramatiker, Philosoph, Historiker, Zeitungsgründer und Mediziner ein Universalgenie, dessen Werk und Ideen bis heute wirken. Ein Grund, warum ihm das ZDF-„nachtstudio“ eine lange Nacht widmet. Von 0 Uhr 35 an werden die Schiller-Biografen Marie Haller-Nevermann und Jörg Aufenanger sowie die Dichter Robert Gernhardt und Thomas Rosenlöcher unter der Regie von Moderator Volker Panzer über Leben und Werk Schillers diskutieren – live, fünf Stunden lang. Aufgelockert wird das Ganze von Einspielfilmen, Lesungen und musikalischen Interpretationen.

Bildungsfernsehen für Hartgesottene also. „Schiller ist weder für das Hauptprogramm noch für eine große Unterhaltungsshow geeignet“, sagt Volker Panzer. Selbst für das Nachtprogramm schien er den ZDF-Planern zu kompliziert. Panzer habe gute Gründe vorbringen müssen, damit die Redaktion „ihre Verrücktheit“ durchsetzen konnte, sagt er. So werde die Sendung sehr kostensparend produziert. Es gibt nur vier Gäste, und die Einspieler kommen zum Großteil aus dem Archiv.

Dass Schiller heute, anders als im 19. Jahrhundert, um Aufmerksamkeit kämpfen muss, liegt an der Coolness, die die Gegenwart beherrscht. So sieht es der Philosoph und Schiller-Biograf Rüdiger Safranski. Das überragende Ideengebäude der Freiheit, das Schiller entworfen hat und für das er seine Zeitgenossen begeisterte, hat heute an Bedeutung verloren. „Coolsein ist ein Ideal. Das erstaunt mich, denn cool sein ist doch halb tot sein, bevor man ganz tot ist“, sagt Safranski. Schiller kann so nicht wirken. Er war ein Enthusiast. Einer, der vor mehr als 200 Jahren Themen durchdachte, die noch heute aktuell sind: Ist der Mensch wirklich frei oder durch sein Nervensystem determiniert?

Der Enthusiasmus, der in Schiller angelegt ist, wird weder in Schulen noch am Theater, geschweige denn von der breiten Masse wahrgenommen. Safranski sieht darin nicht nur ein Bildungsproblem: „Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Traditionsbruch erleben, weil das Weitergeben dessen, was uns begeistern könnte, unterbleibt.“

Volker Panzer empfindet das als Ansporn und eine Bestätigung für sein Konzept. Das Wechselspiel zwischen Live-Diskussion und eingespielten Interviews und Beiträgen zum Begriff der Freiheit, den Vereinnahmungsversuchen zu Zeiten von DDR und Nationalsozialismus wird für einen tiefgründigen und kontroversen Austausch über Schiller sorgen, ist sich Panzer sicher. Ob das beim Publikum ankommt? „Es ist ein Experiment“, sagt Panzer. „Es kann auch schief gehen.“ Der Moderator rechnet für die Nacht mit 150 000 bis 200 000 Zuschauern – alles Enthusiasten, versteht sich.

„nachtstudio – die lange Schiller- Nacht: Von der Glocke bis zur Locke“, ZDF, Sonntag, 0 Uhr 35

Birte Hedden

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