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Nischen-Guide: Bagger, Beauty, Bambule

Ob Comedy-Sender, Krimi-Kanal oder Fernsehlabor: Was nicht für die ganz große Zuschauermasse taugt, läuft in den Spartenkanälen. Bei erstaunlich wachsenden Marktanteilen.

Immer auf die Kleinen – in Sachen TV-Einschaltquoten gilt dieser Spruch nicht mehr. ZDFneo, ZDFkultur, EinsPlus, RTL Nitro, Tele 5 & Co. werden immer interessanter, beliebter. Das belegen die neuesten Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF). Von der Einführung des neuen Quotenmesssystems namens „Audiomatching“, das auch das zeitversetzte Fernsehen via Internet (IPTV) – zum Beispiel Video on Demand – berücksichtigt, haben vor allem die neuen, jungen Nischenkanäle profitiert. Fast alle großen Sender erreichen in den IPTV-Haushalten deutlich niedrigere Marktanteile als am Gesamtmarkt. Was gibt es in den Nischen, was es woanders (noch) nicht gibt? Wo sind die Kreativen? Was macht Sinn für welche Zielgruppe? Ein Nischen-Guide.

MÄNNERFANTASIEN

Gut eingerichtet in der Sparte hat sich der Sender Dmax. Die Zielgruppe ist von den Machern klar umrissen: „Männer wollen echte Typen sehen, das bekommen sie nur bei uns.“ Wer sich mal einen Tag Dmax angeschaut hat, der weiß, besser kann man es nicht sagen. Derzeit hält Dmax einen monatlichen Marktanteilsschnitt von 1,3 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. Wie die meisten Digitalsender bietet Dmax kein Vollprogramm an, sondern spezialisiert sich auf wenige Themen. Der Sender hat ein neues Genre etabliert: Survival-Sendungen. Bagger-Fans kommen bei „Supermaschinen“ auf ihre Kosten. Online werden derartige Formate noch häufiger aufgerufen als im TV. Dmax hat bei Facebook 940 000 Fans – nur ProSieben hat mehr. Gut möglich, dass der nicht besonders kluge Uwe Wöllner (alias Christian Ulmen), einer der Protagonisten von Tele 5, auch Bagger-Fan ist. Geschäftsführer Kai Blasberg hat mit der Verpflichtung von Christian Ulmen, Benjamin von Stuckrad-Barre sowie Oliver Kalkofe sein filmlastiges Nischen-Männer-Programm aufgepeppt.

GOLDENE FRAUEN

Der Sender Sixx der ProSiebenSat-1-Gruppe richtet sich explizit an ein weibliches Publikum, insbesondere mit oder Serienwiederholungen („Desperate Housewives“) oder Daniela-Katzenberger-artigen Magazin-Formaten („4 Blondes – Das Tagebuch der Luxusfrauen“). Man könnte dieses Programm-Angebot auch für diskriminierend halten, muss man aber nicht. Im November erzielte Sixx mit 1,7 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen einen Tageshöchstwert. 2013 sollen neue Formate folgen, darunter die Doku „Die Beauty Docs“, Spielfilme und Thementage, etwa zum Weltfrauentag. Dieses Datum dürfte auch Sat1 Gold im Auge haben. Als erster Free-TV-Sender will sich Sat 1Gold mit ausschließlich deutschen Programmen an die Zielgruppe der 49- bis 64-jährigen Zuschauerinnen machen. Unter anderem bringt Privat-TV-Urgestein Ulrich Meyer einen Gesundheitsableger seines „Akte“-Formats an den Start. Sat 1 Gold geht am 17. Januar mit einer Doppelfolge des Quotenhits „Die Wanderhure“ auf Sendung. Auch mit Wiederholungen von „Edel & Starck“, „Britt“ oder „Wolffs Revier“. Verantwortlich die Frau, die Sixx etabliert hat: Managerin Katja Hofem.

JUNGE EXPERIMENTE

Einfallsreicher, experimenteller sind die digitalen Ableger der öffentlich-rechtlichen Sender. EinsPlus bietet einen Mix aus Musik und Wissen, Gaming, Lifestyle und Service, Dokumentationen und Talk-Themen „aus dem Leben der Menschen unter Dreißig“. Bestes Beispiel: Pierre M. Krauses Reportagen „Es geht um mein Leben!“ Auch die Generation darüber soll abgegriffen werden. Das Ziel von Einsfestival sei es, so ARD-Sprecher Stefan Wirtz, mit „einem an der Popkultur ausgerichteten Programm das Lebensgefühl des Publikums unter 49 zu treffen“. Zum Programm gehören Fernsehfilme, Spielfilme und Serien ebenso wie Comedyformate oder Reportagen und Dokus. Darüber hinaus verstehe sich Einsfestival als Entwicklungsplattform. Hier sollen sich junge Moderatoren jenseits von Quotenerwartungen ausprobieren, was auch eine Sabine Heinrich mit ihrem „EinsLiveTalk“ ins Blickfeld der ARD rückt. Wenn vom jungen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesprochen wird, ist vor allem aber von ZDFkultur und ZDFneo die Rede. Was an Köpfen wie Charlotte Roche und Jan Böhmermann liegt. Derer unkonventioneller Talk am Sonntagabend soll jüngere Zuschauer an den Mainzer Sender (Durchschnittsalter: 60 Jahre) heranführen. Besonders beliebt, zählbar an Online-Abrufen via Mediathek: die Open-Air-Übertragungen von Popfestivals. ZDFkultur erreicht einen Marktanteil von 0,2 Prozent im Gesamtmarkt. Die Hälfte der Zuschauer ist unter 50 Jahre alt.

ZDFneo startete bereits im Mai 2009, versucht es auch mit starken Köpfen: Sarah Kuttner, Joko Winterscheidt, Klaas Heufer-Umlauf. Einziges Manko: Stuckrad-Barre fehlt. Reportagen wie „Wild Germany“, das Magazin „Bambule“, welches das Lebensgefühl der „30somethings“ reflektieren soll, ein Versuchslabor für Fernsehideen namens „TV Lab“ oder das Magazin „neoParadise“ sind gewöhnungsbedürftig, nicht nur für den gemeinen ZDF-Zuschauer. Und bei der preisgekrönten Serie „Mad Men“ fragt man sich, warum sie das ZDF im Digitalkanal (Marktanteil: 0,7 Prozent) versteckt. Erfolgreichster Start bei den Nischenkanälen ist RTL Nitro. Der Free-TV-Sender der Mediengruppe RTL Deutschland erreichte im November einen Marktanteil von 0,7 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen und hat seinen Marktanteil seit Sendestart vor acht Monaten mehr als verdoppelt, was neben Serienklassikern an den Free-TV-Premieren „Modern Family“, „Alcatraz“ oder „Raising Hope“ liegen dürfte.

Ein Fernsehmarkt im Wandel also. Die Marktanteile der kleineren Sender werden weiter steigen. Bislang machen IPTV-Haushalte in der Quotenmessung 3,1 Prozent aller Haushalte aus, in Großstädten sind das noch mehr. Angesichts des Kundenwachstums von Entertain & Co. sowie der möglichen Erfassung anderer Video-on-Demand-Portale steigt der Anteil zum 1. Januar auf 4,3 Prozent. Bei Youtube kann von „Immer auf die Kleinen“ schon lange keine Rede mehr sein.

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