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Medien: Ohne Anzeigen und ohne Paten

Die Satire-Zeitschrift „Pizzino“ kämpft in Sizilien ziemlich allein gegen die Mafia

Rita Borsellino, die Schwester des ermordeten Mafia-Jägers und prononcierte Anti-Mafia-Kämpferin, hat in Sizilien bei den Kommunalwahlen nur einen Achtungserfolg erringen können. Verwundert hat das Gianpiero Caldarella nicht. Er ist Journalist in Palermo, er glaubt, die Zeit sei noch nicht reif für eine so kompromisslose Auseinandersetzung mit der Mafia, wie sie Rita Borsellino verkörperte.

Sehr wohl ist in Sizilien die Zeit reif für ein Medium, das sich satirisch mit der Mafia auseinander setzt. „Pizzino“ heißt die Zeitschrift, die Caldarella mitherausgibt. Abgeleitet von „Pizzo“, dem Ausdruck für Schutzgeld, das laut Caldarella 80 Prozent aller Geschäftsleute in Sizilien an die Mafia entrichten. Vom Humor eine Mischung aus „Titanic“ und Studentenzeitung, ist der „Pizzino“ die einzige Satirezeitschrift Siziliens und die einzige, die es wagt, sich mit der Mafia zu beschäftigen. Der „Pizzino“ wird als auffaltbares Plakat produziert, das sich auch an Hauswände kleben lässt, wenn sich wieder eine Buchhandlung weigert, ihn zu verkaufen – ein solches Blatt ist nicht selbstverständlich für Sizilien. Die Nachfrage ist allerdings groß, es gibt etliche tausend Leser und immerhin schon 500 Abonnenten. In Cartoons, kleinen Texten oder Fotomontagen prangern sie die Machenschaften der Mafia an, ihre Verstrickung mit der Politik und einer Gesellschaft, die ihnen, den Jungen, die Luft zum Atmen nimmt.

Caldarella, Ende zwanzig, freier Journalist, wartet vor dem Teatro Massimo in Palermo, dort, wo die letzte Szene des „Paten“ spielt. Caldarella könnte auch aus Prenzlauer Berg kommen mit seinen Turnschuhen und dem bedruckten T-Shirt. Er hat den „Pizzino“ im vergangenen Jahr zusammen mit anderen Leuten seines Alters gegründet. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie sind jung und gebildet, sie haben die Nase von der Mafia voll, und das wollen sie einer breiten Öffentlichkeit mitteilen.

Als in Sizilien der Wahlkampf losging, haben sie ein satirisches Plakat entworfen, auf dem Bernardo Provenzano, der Pate der Paten, für eine Partei „Italia Nostra“ wirbt – seine eigene Partei. Seine Aufforderung, ihn zu unterstützen, endete mit den Worten: „Geht bitte mit dem größten Schweigen an die Urnen.“ Wenige Wochen später wurde Provenzano in einer Hütte in Corleone verhaftet, nachdem er jahrzehntelang untergetaucht war. Ob man das nicht früher gewusst haben könnte, dass sich Provenzano ausgerechnet in seiner Heimat Corleone versteckt? „Nein, das hat niemand gewusst.“ Caldarella grinst, kleiner sizilianischer Scherz. Trotzdem glaubt er, dass sich mit der Verhaftung des Paten etwas verändern wird, wenn auch nicht sofort.

Ein baufälliges Haus in der Nähe des Hafens von Palermo. In der Hausmauer sind noch die Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen, der Hinterhof ist zugewachsen und voller Katzen. Hier befindet sich die Redaktion des „Pizzino“. Um die Zeitschrift machen zu können, hat Caldarella sich Geld von Eltern und Freunden zusammengebettelt und eigenes Geld investiert. „Unabhängige Satire. Ohne Anzeigen und ohne Paten“, steht im Impressum. Monatlich kommt der „Pizzino“ heraus und liegt in Geschäften und Szenelokalen aus.

Mitherausgeber ist Francesco Di Pasquale, schwarze Lederjacke, Philosophiestudium. Er sagt, dass die Satire wahrscheinlich das einzige Instrument sei, die Mafia zu kritisieren. „Es gibt so viele Sachen, die im Geheimen ablaufen in Sizilien, die kann man eigentlich nur satirisch offen legen. Und man kann zur Not immer sagen, dass es nicht so gemeint war.“ Wobei auch „das verlogene Sprechen über die Mafia, das ständige Ableugnen“ ein wiederkehrendes Thema des „Pizzino“ ist. Inzwischen wurde der „Pizzino“ auch über die Grenzen Siziliens hinaus wahrgenommen, als Zeichen gegen die Mafia. Europäische Zeitungen haben berichtet, selbst RAI hat etwas über sie gemacht.

Es klingelt, eine Studentin und ein Grafiker kommen vorbei. Es wird Kaffee getrunken, es wird viel und heiß diskutiert, und irgendwann wird basisdemokratisch entschieden. Sie nehmen ihre Sache sehr ernst. Lebten sie in Deutschland, würden sie wahrscheinlich bei Attac mitarbeiten. Was in anderen Ländern die Anti-Globalisierungsbewegung ist, ist in Sizilien das Engagement gegen die Mafia und gegen eine Politik, die sich mit der Mafia offenbar arrangiert hat. „Seit Berlusconi scherzt man in Sizilien, dass nicht die Politik von der Mafia korrumpiert wird, sondern die Mafia von der Politik“, sagt Caldarella.

„In Sizilien sagt man: ‚Zu wem gehörst du?’ Oder: ‚Wessen Sohn bist du?’“, ergänzt Di Pasquale. Man will immer wissen, wer über einem steht. Wir wollen, dass sich das ändert. Dass Verdienste zählen und nicht nur die Abhängigkeit von jemandem.“ Ob eine kleine Publikation wie der „Pizzino“ da viel Einfluss habe? „Die Situation ist jetzt schon sehr viel anders als vor zwanzig Jahren“, meint Di Pasquale. „Früher haben die Leute in Sizilien gesagt: Die Mafia existiert nicht. Heute sagen die Leute: La mafia fa schifo, die Mafia ist scheiße.“ Das ist immerhin etwas.

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