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Die einen erwischt es ganz, die anderen müssen sparen. Vor allem die Pleiten der renommierten Rundschau und der Financial Times Deutschland haben für Aufsehen gesorgt.

© dpa

Online-Journalismus: Digitale Potenziale

„You get lousy pennies on the web“, hat der Verleger Hubert Burda einmal gesagt. Gibt es im Netz wirklich nur mickrige Beträge zu verdienen? Wir zeigen in welche digitalen Weiten die Reise des Journalismus derzeit geht.

Eine Bezahlwand rund um das Online-Angebot:

Die am meisten diskutierte Methode zur Refinanzierung des Journalismus im Internet ist die Paywall, also die Bezahlschranke. Sie galt wegen des großen kostenlosen Angebots in Deutschland lange als unrentabel, weil die geringen Einnahmen in keinem Verhältnis zur niedrigeren Reichweite stehen würden, von der wiederum die Höhe der Anzeigenerlöse abhängt. Was die „harte Paywall“ angeht, also das Verschwinden sämtlicher Inhalte hinter einer Schranke, hat sich daran auch nichts geändert. Schließlich sind der Branche noch negative Beispiele wie das der traditionsreichen „Times“ im Gedächtnis, die nach der Einführung der Bezahlmauer zwischenzeitlich mehr als die Hälfte ihrer Nutzer verloren hatte. Ein Modell, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut, ist dagegen die „sanfte Bezahlschranke“.

Als einer der Vorreiter gilt die „New York Times“. Mit nur zehn kostenlosen Artikeln pro Nutzer und Monat, Bezahlinhalten sowie Texten, die nur kostenlos sind, wenn sie aus sozialen Netzwerken wie Facebook angesteuert werden, hat das Blatt nach eigenen Angaben nicht nur die Online-Einnahmen erhöht, sondern auch die Zahl der klassischen Abonnements. Viele Experten bezweifeln jedoch diese Angaben. In Deutschland ist vor allem Springer vorgeprescht. Während eine Verlagssprecherin die „positiven Erfahrungen“ betont, entsteht bei einem Blick auf die Zahlen ein ambivalentes Bild.

Nach Einführung der Paywall Ende 2009 wurde der vorherige rasante Anstieg der Nutzerzahlen beim „Hamburger Abendblatt“ gebremst, die Zahl stagnierte lange bei circa sechs Millionen Nutzern im Monat. Nach zwischenzeitlichen Höhenflügen sind es aktuell knapp 10 Millionen. Wobei das „Abendblatt“ als lokale Qualitätszeitung in Hamburg praktisch konkurrenzlos ist, nach wie vor zahlreiche Artikel umsonst anbietet und eigentlich eine „falsche Paywall“ betreibt: Kostet ein Artikel Geld, kann man diesen dennoch kostenlos lesen, wenn man ihn statt über die Seite selbst über Google News ansteuert.

Noch schwieriger sieht es bei der „Berliner Morgenpost“ aus, die sich in der Hauptstadt gegen zahlreiche Konkurrenten behaupten muss. Nachdem im März 2009 mit 3,7 Millionen Besuchern ein eigener Rekord gebrochen wurde, stürzte die Zahl nach der Paywall-Einführung um mehr als eine Million ab. Seither konnte sie stabilisiert werden, im letzten Monat verzeichnete die Seite 4,7 Millionen Besucher. Die meisten Konkurrenten, auch der Tagesspiegel, sind jedoch im gleichen Zeitraum deutlich schneller gewachsen. Trotzdem will Springer noch in diesem Jahr Welt Online kostenpflichtig machen, die „Bild“ folgt 2013.

Seit einer Woche begrüßt auch die „taz“ ihre Leser mit einer Bezahlschranke. Die Nutzer können zahlen – oder sich mit einem „nein, danke“ kostenlos weiterklicken. Bereits 2011 führte die „taz“ unter dem Motto „Kultur der Fairness“ das freiwillige Bezahlen ein. Die Idee war, Nutzer per Mausklick jeweils so viel zahlen zu lassen, wie ihnen ein Text wert war. Seither wurden über diese von der „taz“ selbst als „Pay-Wahl“ bezeichnete Methode allerdings gerade einmal 70 000 Euro eingenommen. Yahoo-Chefin Marissa Meyer hat einmal auf einer Konferenz gesagt: „Die atomare Konsumeinheit verändert sich. Früher war es ein Album, jetzt ist es ein Song. Früher war es eine ganze Zeitung, heute ist es ein einzelner Artikel.“ Experten bezweifeln jedoch, dass sich der Kauf einzelner Artikel im Netz langfristig durchsetzen kann.

Auch wenn sich die meisten Verlage über die Höhe der Einnahmen durch Paywalls in Schweigen hüllen und diese bislang ziemlich klein ausgefallen sein dürften, ist die sanfte Bezahlschranke im Kommen. Aktuell kündigten die „FAZ“ und die „Süddeutsche Zeitung“ ihre mögliche Einführung an. Branchenriese Spiegel Online hat diese Woche beschlossen, für einzelne Inhalte, besonders für exklusive Geschichten und Analysen, künftig Geld zu verlangen

Hyperlokalität - Helden von nebenan

Hyperlokalität - Helden von nebenan:

Die besten Geschichten sollen einer alten Journalistenweisheit nach auf der Straße liegen, direkt vor der eigenen Haustür. Das will sich der hyperlokale Journalismus zunutze machen: Online-Zeitungen, die über und für eine Region berichten, einen bestimmten Bezirk oder auch nur einen einzelnen Kiez. Der große Vorteil liegt dabei in der Exklusivität, denn nicht nur überregionalen, sondern auch lokalen Blättern fehlen oft die Kapazitäten, um wirklich jeden Winkel einer Großstadt auszuleuchten.

Allerdings sind schon zahlreiche Projekte gescheitert, bei denen traditionsreiche Zeitungen auf den hyperlokalen Zug aufspringen wollten. Das „Hamburger Abendblatt“ setzte freiwillige Stadtteilreporter als Blogger ein, eine ähnliche Idee hatte die „New York Times“. Beide Versuche wurden schnell abgebrochen. Noch aufsehenerregender – zumindest für den US-Markt – waren die Probleme der 2010 gestarteten Plattform tbd.com. Bis zu 50 fest angestellte Journalisten und dreimal so viele Blogger sollten Lokalnachrichten fürs Land aufbereiten und moderieren. Ein Multimedia-Konzern, der sonst lokale TV-Sender betreibt, finanzierte die groß angelegte Plattform. Schon nach sechs Monaten waren die meisten Mitarbeiter arbeitslos.

Einen Überblick über die sehr verschiedenen hyperlokalen Webseiten im deutschsprachigen Netz zu behalten ist schwer, ihr Niveau unterscheidet sich zum Teil ebenso beträchtlich wie ihre finanzielle Ausstattung – die meisten dieser Seiten funktionieren nach wie vor nach dem Prinzip der enthusiastischen Selbstausbeutung. Hardy Prothmann, der das Netzwerk istlokal.de aus seinem lokaljournalistischen, vielfach gelobten „Heddesheimblog“ heraus gründete, beschreibt seine finanzielle Situation offen auf seiner Seite: „Mein bester Monat 2012 brachte rund 10 000 Euro Umsatz, der schlechteste genau Null. Die Personalkosten liegen bei rund 3000 Euro.“

Die Online-Zeitung „Prenzlauer Berg Nachrichten“ mit ihren monatlich circa 20 000 Unique Usern, also Besuchern, hat im vergangenen Jahr laut Philipp Schwörbel „noch einen kleinen Verlust“ eingefahren, für 2012 ist der Geschäftsführer zuversichtlich, ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen. Ein Gehalt gönnt sich Schwörbel bislang nicht. Auch fest angestellte Mitarbeiter haben die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ keine, die meisten Journalisten schreiben auch für andere Medien und werden auf Tagesbasis entlohnt. Einnahmen werden mit klassischen Anzeigen und mit einem Partnerprogramm für kleine Lokalunternehmen generiert. Außerdem zahlen Leser, die Mitglied in einem „Freundeskreis“ sind, jährlich einen Betrag, dessen Höhe sie selbst festlegen.

Eine Rolle spielt die Hyperlokalität auch für den „Liquid Journalism“. Dieser ist bislang eher eine in Blogs diskutierte Idee als ein angewandtes Modell. Gemeint ist, dass Journalisten durch die Interaktion mit fleißigen Kommentatoren und lokalen Experten ihre Inhalte neu bewerten, ausbalancieren und in ständigen Austausch treten. Der Journalist würde damit zu einem allzeit vernetzten Moderator des öffentlichen Diskurses, der Teile seiner bisherigen Pflichten an Nutzer delegiert und zwischen verschiedenen Interessen sowie „Bürgerjournalisten“ vermittelt. Wie diese Art von Journalismus allerdings Geld einbringen soll, ist bislang nicht geklärt. Einer der Vorschläge ist die Kulturwertmark, eine für alle Netznutzer verpflichtende Abgabe, die über die Internetrechnung eingezogen wird.

Ritterliche Mäzene

Ritterliche Mäzene:

Freilich könnten sie sich noch mehr Autos, Häuser und ein Flugzeug kaufen von all den Milliarden, die sie mit ihren Bank- und Immobiliengeschäften gemacht haben. Lieber aber stecken Herbert und Marion Sandler ihr Geld in etwas, das ihnen von viel größerem Wert erscheint: in den Journalismus.

Zehn Millionen US-Dollar spendet das amerikanische Ehepaar jährlich der Stiftung ProPublica, die 2007 mit ihrer Hilfe gegründet wurde und sich dem investigativen Journalismus verschrieben hat. „Den Reportern von heute fehlt es an Zeit und an Mitteln“, heißt es auf der Homepage von ProPublica. „Immer mehr Nachrichtenorganisationen sehen diese Art von Arbeit als Luxus an. Deshalb müssen wir neue Wege finden, um die wichtige Arbeit des Journalismus im Dienst der Öffentlichkeit zu betreiben, die ein zentraler Bestandteil unserer Demokratie ist.“ Mäzenaten als Finanziers von Journalismus? Das Modell der Zukunft?

Viele Zeitungen haben noch ein funktionierendes Geschäftsmodell, sie finanzieren sich durch Anzeigen und Vertrieb. Doch dass Unternehmen ihre Werbebudgets anders verteilen und sich das Leseverhalten verändert, setzt die Presse unter Druck. Deshalb will nun auch die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den Journalismus mit einer Stiftung unterstützen. „Partizipation und Vielfalt“ soll diese heißen. Die Politik dürfe die Medienschaffenden „wegen ihrer großen Relevanz für unser demokratisches Gemeinwesen“ nicht alleinlassen mit den Herausforderungen des digitalen Umbruchs, begründet die für Medien zuständige Ministerin Angelica Schwall-Düren die Idee. Einen einstelligen Millionenbetrag will die Regierung für das Projekt geben, das 2014 starten soll. Doch sowohl bei der Opposition als auch in der Branche stößt die Idee auf wenig Begeisterung, denn im Gegensatz zu Initiativen wie ProPublica wird die Stiftung „Partizipation und Vielfalt“ nicht mit privaten, sondern mit öffentlichen Mitteln finanziert.

Die Stiftung sei ein „Angriff auf die Unabhängigkeit der Presse“, kritisierte der Medienbeauftragte der CDU-Landtagsfraktion, Thorsten Schick, in dieser Woche und betonte: „Wir brauchen keinen Staatsjournalismus in NRW.“ Dass sich die Opposition empört, verwundert nicht. Wohl aber der laute Ton. Schließlich musste erst gerade der bayerische CSU-Sprecher gehen, weil er per Anruf in der Redaktion des ZDFs offenbar versucht hatte, einen Bericht über die SPD zu verhindern. Doch auch den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) begeistert die Idee aus NRW nicht. „Bei einem durch die Politik geförderten Journalismus wird es immer einen Verdacht auf Wohlverhalten geben, auf beiden Seiten. Am Ende würde Qualitätsjournalismus nicht gefördert, sondern geschädigt“, sagt BDZV-Sprecherin Anja Pasquay. Es sei kaum vorstellbar, dass eine solche Stiftung Recherchen zum Haushalt der Landesregierung oder zu Reisen von Ministern und Abgeordneten fördere. Marc Jan Eumann, nordrhein-westfälischer Staatssekretär und Medienpolitiker widerspricht: „Natürlich muss ausgeschlossen werden, dass es keinen Einfluss auf die Recherche gibt. Kein Thema wird aus politischen Gründen ausgeschlossen sein“, versichert er.

Schon ein Blick ins Nachbarland Frankreich zeigt allerdings, dass politisch geförderte Zeitungen nicht die freiesten sind. Mit etwa 900 Millionen Euro subventioniert der Staat jährlich seine Presse, auch große Blätter wie „Le Monde“ oder „Le Figaro“. Immer wieder wurden Fälle publik, wo Politiker versuchten, direkt oder indirekt Einfluss auf deren Berichterstattung zu nehmen – und wer am Tropf hängt, kann sich schwer wehren.

Sicher bedeutet private Förderung nicht automatisch Freiheit. Allein die Tatsache, dass es einer Förderung bedarf, um etwas zu ermöglichen, bedeutet Abhängigkeit. Die Frage ist deshalb, wie dieses Abhängigkeitsverhältnis gestaltet wird. Bei ProPublica geben die Sandlers lediglich ihr Geld, thematisch arbeiten die 34 Journalisten völlig frei. Mit Erfolg. Zwei Pulitzerpreise haben sie bereits gewonnen.

Journalisten als Eier legende Wollmilchsau

Journalisten als Eier legende Wollmilchsau:

Neulich entdeckte Edmund Stoibers Enkelin ihren Opa auf der Seite eins der „Süddeutschen Zeitung“. Sie tippte mit ihrem Finger auf den Kopf des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden, nichts passierte. „Opa kaputt!“, sagte sie enttäuscht, weil sich das Bild nicht bewegte, kein Video startete, keine Galerie aufpoppte.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG („Welt“, „Bild“), erzählt die Geschichte gern, um zu zeigen, dass der Journalismus das Beste noch vor sich hat. Tatsächlich bieten mobile Geräte wie Tablet-PCs oder Smartphones die Chance, über Nachrichten noch schneller zu informieren, Hintergründe noch besser zu vermitteln, Reportagen noch spannender aufzubereiten, denn mit einem einzigen Gerät ist heute das möglich, wofür früher eine Vielzahl von Geräten notwendig war. So dient ein Handy heute als Telefon, Computer, Fernseher und Lesegerät. Wer beispielsweise per Smartphone auf der Webseite einer Zeitung liest, kann in den einzelnen Artikeln auf weiterführende Links klicken, um mehr über die Geschichte oder Nebenaspekte des Themas zu erfahren. Videos zeigen, was der Reporter vor Ort erlebt hat. Eine interaktive Grafik veranschaulicht Fakten. Und über die eigenen Portale der Zeitungen und Fanseiten sozialer Netzwerke können Leser mitdiskutieren. Gefällt oder missfällt ihnen etwas, schicken sie ihren Kommentar gleich in die Redaktion.

Das Bedürfnis nach dieser Art von Journalismus wächst. Fast alle Zeitungen und Zeitschriften verzeichnen stetig steigende Nutzerzahlen über mobile Geräte – nicht nur, weil die Angebote immer attraktiver werden, sondern alleine schon dadurch, weil es immer mehr solcher Geräte gibt. 22,9 Millionen Smartphones wurden 2012 in Deutschland verkauft, 31,5 Millionen werden es 2015 sein, zeigen Erhebungen des Branchenverbandes Bitkom. Der Verkauf von Tablet Computern wird von 3,2 Millionen Geräten bis Ende dieses Jahres auf voraussichtlich 5,3 Millionen Stück im Jahr 2015 zulegen, ein Plus von 66 Prozent.

Doch geht mit den neuen Geräten auch ein Risiko einher. Hersteller wie Apple behalten sich vor, Inhalte zu zensieren, wenn beispielsweise nackte Brüste zu sehen sind oder über sexuelle Inhalte geschrieben wird. Erst kürzlich gab es viel Aufregung darum, dass Apple Naomi Wolfs neues Buch „Vagina: eine neue Biografie“ in seinem iBookstore als „V****a“ anbot. Erst nach heftigen Protesten wurde der Original-Titel wieder genannt, schrieb der Netzkritiker Evgeny Morozov in der „New York Times“ und listete noch weitere Beispiele auf. Unternehmen wie Apple oktroyieren damit ihre Wertvorstellungen und nehmen direkt oder indirekt Einfluss auf die Presse- und Kunstfreiheit.

Verlage protestieren und fordern Regelungen, um solche Eingriffe zu verhindern. Je größer die Zahl der Anbieter von konkurrenzfähigen Geräten wird, desto mehr Alternativen haben Nutzer und Verlage.

Dass Print und digitale Welt künftig noch mehr miteinander verschmelzen, steht außer Frage. Die Chancen, die ihnen die neuen Geräte bieten, werden Journalisten noch besser auszunutzen wissen, um eines zu tun: gute Geschichten zu erzählen. Denn das Bedürfnis diese zu lesen – egal ob auf Papier oder auf einem mobilen Gerät – wird es immer geben.

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