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Medien: Paul, Thomas und wir

100 Mal „Wetten, dass …?“ mit Gottschalk, dem allerletzten TV-Familienmoderator

Jeden Tag betet Frank Elstner, dass Thomas Gottschalk seinen Witz behält, steht jetzt schon auf den Monitoren in der U-Bahn. Der Witz des Thomas Gottschalk sei das „Wetten, dass …?“-Erfolgsgeheimnis. In dieser U-Bahn-Mitteilung stecken zwei Nachrichten. Erstens: Frank Elstner betet. Zweitens: Thomas Gottschalk ist witzig.

Heute Abend sehen wir zum 100. Mal „Wetten, dass …?“ mit Thomas Gottschalk. Aber eigentlich sehen wir „Wetten, dass …?“ zum 148. Mal. Am Anfang moderierte es noch sein Erfinder Frank Elstner. Elstner hat die erfolgreichste Samstagabendshow Europas erfunden. Man sollte mal kurz darüber nachdenken. Denn „Wetten, dass …?“ ist noch mehr. Es ist „das letzte elektronische Lagerfeuer der Nation“, hat mal jemand gesagt. Überall sonst hätte man das Lagerfeuer-Jubiläum selbst gefeiert, das ZDF feiert das Jubiläum des Zeremonienmeisters. Gut, dass Frank Elstner beten kann. Das Gebet ist oft eine hochegoistische Gesprächsform. Nur Elstner betet nicht für sich, sondern fürs Fremdwohl. Nun gut, er selbst hatte den damaligen Moderator der fast vergessenen Sendung „Na sowas“ angerufen und gefragt, ob er nicht sein Nachfolger werden wolle. Das war 1987. Nach Elstners 39. Sendung.

Ist Thomas Gottschalk witzig? Die sehr Jungen glauben das nicht. Sie finden den Showmaster der Nation eher bedenklich. Wie man eben jemanden bedenklich findet, der schon uralt ist, aber immer noch blonde Locken trägt, dazu schrecklich bunte Anzüge und am liebsten Gummibärchen isst. Alte sollten auch alt aussehen. Das ist die Grausamkeit der Sechzehnjährigen.

Hier haben wir schon das ganze Gottschalk-Problem. Er ist nun mal ein Junge. Ein großer Junge. Darum hat er auch das notarielle Vorlesen der Wetten ganz schnell abgeschafft, überhaupt das komplizierte „Wetten, dass …?“-Reglement. Er hat kein Talent zum Erwachsensein. Vielleicht hat er deshalb für die Post Werbung gemacht. Die Post ist erwachsen, ja sie ist konstitutiv alt. Thomas Gottschalk wollte wohl von ihrem Image profitieren. Aber Gottschalk bei der Post war irgendwie noch trauriger als der Gummibärchen-Gottschalk.

Die Musik hat ihn erzogen. Niemand war so jung wie er. Frech sein, ohne dass es eine Frechheit ist. Mit Paul McCartney und dem letzten Wettverlierer im Saal im selben Tonfall reden. Eben von Junge zu Junge. Paul, Thomas und wir. Dass es im Fernsehen einmal anders war – und Gottschalk ist ungefähr genauso alt wie das deutsche Fernsehen – das wissen die Sehr-Jungen nicht mehr. Sie finden die Gottschalk-Späße etwas peinlich, weil sie das Pubertäre darin spüren. Ohnehin ist ihnen nichts unangenehmer als das, was das Fernsehen stolz „eine Familiensendung“ nennt. Wahrscheinlich ist „Wetten, dass …?“ die allerletzte Familiensendung des deutschen Fernsehens. Aber sie hat noch immer soviel Zuschauer wie vor über zwanzig Jahren. Ungefähr 14 Millionen. Zwischendurch schaffte Gottschalk schon mal 20 Millionen. Wahrscheinlich ist der einstige Jugend-Radio-Mann – legendär soll er gewesen sein im Radio – auch der allerletzte Familien-Moderator des deutschen Fernsehens. Die letzte Fernseh-Ikone der Öffentlich- Rechtlichen ist er sowieso. Das zeigt uns den ewigen Jungen Thomas Gottschalk in ganz neuem Licht. Er kann mit „Big Brother“ nichts anfangen. Und nicht viel mit der neuen Musik. Er macht keinen Hehl daraus, dass für ihn die Musikgeschichte irgendwann in den Achtzigern zu ende ging. Oder doch schon um 1700? Denn am liebsten hört der James-Brown-Propagandist ja doch Barock-Musik. Der Sonnyboy als Melancholiker. Das ist rührend. Wir ehren in der großen TV-Blondine Thomas Gottschalk heute einen großen Konservativen.

Denn niemand käme auf die Idee, „Big Brother“ eine Familiensendung zu nennen. Und nicht nur, weil keiner im Container sämtliche italienischen Nachkriegsregierungen rückwärts aufzählen könnte. „Big Brother“ ist eine Zersetzungserscheinung, ein asoziales Spaltungsprodukt. Mit ihm geht das Fernsehen den Weg vom Geschmack (den schlechten eingeschlossen) zum Instinkt. „Big Brother“ und seine Nachfolger löschen das Bewusstsein von Distanz aus, das Grundlage jeder höheren Kultur ist. Also auch die von „Wetten, dass …?“ Auch wenn wir nicht immer gewusst haben, dass es einmal zur Hochkultur zählen könnte, Jogurt-Becher an ihrem Klang zu erkennen oder – wie in Gottschalks erster Sendung – Hunderassen an ihren Ohren. Es ist eben alles eine Frage der Vergleichsmaßstäbe. Über zwanzig Jahre Hundeohren- und Jogurtbecher-Wetten. Vielleicht ist es wirklich richtig, nicht zuerst die Show, sondern ihren Moderator zu feiern. Das eigentliche Wunder sind gar nicht die Wetten. Das eigentliche Wunder ist, dass wir sie noch sehen wollen. Das Fernsehen steht natürlich vor demselben Problem wie die moderne Kunst: Was kommt eigentlich, wenn alles schon gekommen ist?

„Wetten, dass …?“, ZDF, 20 Uhr 15

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