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Pfundskerle: Dicke mit dünner Haut

Zum Tode von Dieter Pfaff: Eine kurze Kulturgeschichte der Korpulenz im Fernsehen.

In den alten Zeiten, als Diäten noch nicht helfen mussten, spielte das Gewicht eines Schauspielers keine Rolle. Bei Männern jedenfalls. Dass sich Marlene Dietrich vom „Blauen Engel“ zu den Auftritten in Hollywood deutlich entpummelt hatte, war Thema, aber was scherte die Welt das voluminöse Aussehen eines Heinrich George oder die Verfettung eines Bösewichts, der man im Fall Gert Fröbe voller Ehrfurcht zusah – die Hungerjahre galten so sichtbar bewältigt, wie es mit dem braunen Erbe nicht so sinnfällig gelang.

Auch im Fernsehen, dem Nachfolger des Kinos, setzte sich die Hinnahme dicker Darsteller als gottgegebenes männliches Sonderrecht fort. Der erste „Tatort“-Kommissar Trimmel, gespielt von Walter Richter, schaute brummig aus einem gut gepolsterten Gesichtsverließ, Fritz Eckhardt als Wiener Oberinspektor Marek, versah seit 1971 von Wien aus Jahrzehnte lang „Tatort“-Dienst, und niemand machte sich aufgrund seines Fleisches Sorgen. Beim Meister Eder und späteren „Tatort“-Kriminalen, Gustl Bayrhammer, gehörte Korpulenz zu seiner alpenhaften Mannsbildhaftigkeit, niemand wäre auf die Idee gekommen, von ihm oder von Günter Strack als Onkel Ludwig aus „Diese Drombuschs“, mehr Bella Figura zu verlangen. Dass Rainer Hunhold, später Berliner Arztdarsteller ohne Diätheilerfolg bei sich selbst, Strack in „Ein Fall für Zwei“ beerbte, war, selbstverständlich, eine Pfundssache.

Irgendwann, mit dem Jahrtausendwechsel, endete das ungetrübte, sanftlebende Fleischesglück. Nur noch Wehmut kam auf, wenn man alte Schmonzetten sah, in denen Heinz Ehrhardt als Verseschmied die Damen eroberte. Dicksein wurde schauspielerisch rechtfertigungspflichtig. Der dicke männliche Darsteller bekam die Rolle des sensiblen Verstehers zugewiesen. Die Probleme und Leiden der Welt schienen den Sendergewaltigen auf Körperfett gut abgelagert, als würden sie dann verdaulicher und leichter. Der vollschlanke Mann musste maskulin abrüsten.

Ottfried Fischer, nur der Ironie nach „Bulle“ von Tölz, musste als Mamas ewig unerwachsenes Kind deren Mastkuren ertragen. Später ging der schwere Ottifried Fischer dahin, wo es keine Chance mehr auf Machismo gibt, als „Pfarrer Braun“ ins Zölibat. Ein großer Schauspieler wie Dieter Pfaff hatte diese Abwertung durchschaut und konnte kompensieren, dass das herrschende Körperideal gewichtige Männer nicht mehr als Männer ernst nimmt. Wenn „Bruder Esel“, „Bloch“ oder „Der Dicke“ sich für Frauen interessierte, musste er im Übermaß anbieten, was das Knappste im Manne ist: Einfühlung. Zorn und Wut über Ungerechtigkeit explodierten bei Pfaff aus einem schweren, eigentlich verachteten Körper heraus, durch dünne Haut hindurch, und da stand – nein, kein Kitsch – eine schöne Seele in hässlicher Gestalt.

Nach Pfaffs Tod gibt es eigentlich nur noch einen TV-Darsteller, der die Würde der Opulenz ausdrücken kann: Horst Krause, der zarte Hinterwäldler von drüben, mit dem Hund im Motorradbeiwagen. Nikolaus von Festenberg

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