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Pläsierliche Abende: Der „Onkel“ vom „Zwiebelfisch“

Vor 20 Jahren starb Michael Stone, Autor und Kritiker des Tagesspiegels. Seine Fernseh-Rückschauen gaben zugleich einen Überblick über das Welttheater.

Seine Kritiken waren gefürchtet wie begehrt. Als der damals 51-jährige Michael Stone 1974 begann, für den Tagesspiegel die tägliche Fernsehrückschau zu schreiben, wussten Verleger Franz Karl Maier und Feuilleton-Chef Heinz Ohff von Stones marxistischer Gesinnung. Zu dieser fand der 1922 in Berlin geborene Michael Kuh im Internierungslager in Großbritannien, wohin er 1938 geschickt worden war. Helmut hieß sein Mentor, ein deutscher Kommunist, der wie alle feindlichen Ausländer nach Kriegsbeginn interniert wurde und ihm nun die absurde Welt der 30er Jahre erklärte, die den nicht einmal 18-Jährigen vom Kontinent vertrieben hatte.

Michael war der Spross einer böhmischen Journalistenfamilie. Großvater Emil Kuh war Chefredakteur des Neuen Wiener Tageblatts gewesen. Michaels Mutter Marianne („Mizzi“) Kuh traf Alexander Solomonica in Berlins Romanischem Café, wo auch Bruder Anton Kuh verkehrte. Nach der Etablierung der NS-Diktatur 1933 dann die erste Flucht mit den Eltern nach Wien. Nach dem Krieg kommt der gegen Unrecht sensibilisierte Emigrant als Michael Stone in britischer Uniform zurück.

1963 ist Stone wieder in Berlin – in West-Berlin. Damals lebten viele der Schriftsteller noch, die vor der NS-Diktatur geflohen waren, und einige davon auch in Ost-Berlin. Als Marxist im westlichen Teil der gespaltenen Stadt zu leben, kam damals einer Zerreißprobe gleich, wurden Karl Marx’ Anhänger doch zumeist mit dem „Pankower Ostzonenregime“ identifiziert. Dass nicht alle Marxisten nachplapperten, was im „Neuen Deutschland“ stand, zeigte sich erst mit den Studentenunruhen 1967.

Vielleicht war es auch ein Zeichen der Entspannungspolitik, dass Stone am Ende der Kanzlerschaft von Willy Brandt am 3. April 1974 im Tagesspiegel unter dem Rubrum: „Auf dem Fernsehschirm West“ zum ersten Mal seinen „pläsierlichen Abend“ vor dem Bildschirm wiedergab. Schon damals beklagt er den Verlust von Unschuld: „Es gibt Sendungen, aus purem Schwachsinn bestehend, denen man sich hingibt wie einem Schaumbad.“ Ach, säße er heute vorm Bildschirm!

Die kommenden 19 Jahre legte der professionelle Fern-Seher Wert darauf, nicht nur Einblick in einzelne Sendungen, sondern auch einen Überblick über das Welttheater zu geben. Seine Bildung hatte sich der Theaterrezensent und Feuilletonist selbst erarbeitet. Stones „Romanisches Café“ hieß „Zwiebelfisch“, in dem er fast täglich Schach spielte und nach Entdeckung weitläufiger Verwandtschaft mit dem Wirt bald „der Onkel“ genannt wurde. Erzählungen wie „Das Blindeninstitut“ oder „Die Bulgaren“ sind heute vergriffen.

Seine Fernsehkritiken, als „Ansichten – Einsichten“ im Buchdeckel verlegt, bleiben uns als Preziosen Tucholsky’scher Qualität erhalten, deren sich der Tagesspiegel schmücken durfte. Michael Stone erlag am 20. April 1993 einem Herzinfarkt. Er ruht auf dem Jüdischen Friedhof an der Heerstraße. Leon Chamé

Zu einer Lesung ausgewählter Texte Michael Stones laden Freunde und Hinterbliebene zum 20. Todestag alle Interessierten am kommenden Sonntag, 21. April, um zwölf Uhr auf den Jüdischen Friedhof am Scholzplatz, Heerstraße 141.

Leon Chamé

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