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Wie lange noch „Väterchen“? Der weißrussische Präsident Lukaschenko. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Politik: „Lukaschenko soll zertreten werden“

Von wegen Brudervolk: Ein Medienkrieg zwischen Minsk und Moskau nimmt heftige Formen an.

Alexander Lukaschenko, der weißrussische Präsident mit dem markanten Schnurrbart, gilt als letzter Diktator Europas. Er lobt öffentlich Hitler. Kritiker werfen ihn vor, an der Ermordung mehrerer oppositioneller Politiker und Journalisten beteiligt zu sein. Sein Land, die letzte Planwirtschaft Europas, ist nicht untergegangen, weil es mit 52 Milliarden Dollar von Russland subventioniert wurde. Im Juli nun sahen die Russen plötzlich auf dem staatlich kontrollierten Sender NTW den Zweiteiler „Väterchen und Pate“, in dem zum ersten Mal all das gesendet wurde, was westliche Medien Lukaschenko vorwerfen. „Der Film ist so gemacht, als wollte jemand Lukaschenko zertreten“, sagt der weißrussische Journalist Pawel Scheremet. Die Filme seien ein gesteuerter Generalangriff auf das „Väterchen“, wie ihn die Weißrussen nennen. Im Frühjahr 2011 stehen in Minsk Präsidentschaftswahlen an. Russische Kommentatoren vermuten, dass Russland den lange protegierten, aber immer unberechenbaren Lukaschenko loswerden will.

Die dortige Opposition nutzt den Film als Steilvorlage. Zwar wurde „Väterchen und Pate“ in der weißrussischen Übertragung zensiert, aber laut Opposition haben sich den Film über zwei Millionen Weißrussen im Netz angesehen. Für den 16. August wurde zu einer Großdemonstration in Minsk aufgerufen. Die Opposition fordert, die im Film geäußerten Anschuldigungen zu untersuchen.

Dieser Medienkrieg ist die letzte Zuspitzung eines ostslawischen Hahnenkampfes, dessen Protagonisten Wladimir Putin und Lukaschenko heißen. Schon 2004, als der heutige Premier Putin noch Präsident war, hatte Lukaschenko die Kreml-Politik als „Terrorismus auf höchstem staatlichen Niveau“ bezeichnet. Der Kreml hatte dem viel beschworenen „Brudervolk“ seit Beginn der Wirtschaftskrise mehrfach das Gas abgestellt. Und jedes Mal schimpfte Lukaschenko ohne jede Rücksicht auf Brudervolksrhetorik lauter. Putin beantwortete die Anwürfe nie persönlich – dazu benutzte er sein politisches Fußvolk. Und die Medien.

Der 55-jährige Lukaschenko zeigte sich von der jüngsten Kreml-Attacke not amused: Die kompromittierenden Filme hätten seine „russischen Kollegen“ bestellt. „Dass man mich bespuckt, das werd ich schon überleben. Aber ich kann es mir nicht erlauben, vor ihnen in die Knie zu gehen“, sagte er gegenüber russischen Journalisten. „Zur gegebenen Zeit erzählen wir den Russen, was los ist, wenn sie es nicht selbst kapieren.“ Noch bevor der zweite Teil der Doku über die Bildschirme flimmerte, trat im Ersten Weißrussischen Fernsehen der Georgier Michail Saakaschwili auf den Plan, Präsident eines Landes, das sich seit der Rosenrevolution als genaues Gegenteil Weißrusslands präsentiert: ultraliberal, demokratisch, westorientiert. Ausführlich lobte der Demokrat Saakaschwili die weißrussische Führung für ihre Weigerung, die von Georgien abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien anzuerkennen. Für ihn sei es lachhaft, dass das feudalistische Russland Lukaschenko „fast des Kannibalismus“ beschuldige.

„Lukaschenko hat Saakaschwili sagen lassen, was er selbst nicht aussprechen kann“, sagt Alexej Malaschenko vom Carnegie-Institut Moskau. Nach eben diesem Prinzip druckte am Dienstag die weißrussische Zeitung „Respublika“, offizielles Organ des Ministerrats, Auszüge aus einem Anti-Putin-Buch des russischen Oppositionellen Boris Nemzow. Der zeigte sich überrascht: „Ich hätte nicht gedacht, dass mein Buch in einem hysterischen Streit zwischen zwei verrückt gewordenen autoritären Führern Verwendung findet.“ Moritz Gathmann, Moskau

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