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„Nachhaltig verängstigend“. Der Münchner Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt, hinten) sitzt dem sterbenden Attentäter (Sebastian Urzendowski) zur Seite.

© BR

"Polizeiruf 110": Achtung, Spannung! Vorsicht, Jugendschutz!

Terroristen und Bomben, Menschen, die unter Schutt begraben werden. Zu viel Gewalt für die ARD am Krimi-Sonntag. Nun läuft der "Polizeiruf 110" am späten Freitagabend - und ist durchaus preiswürdig.

Über das Erfolgsgeheimnis der „Tatort“- und „Polizeiruf“-Reihen ist oft geschrieben worden. Regelmäßig sieben, acht Millionen Zuschauer, das muss tiefere Gründe haben. Ein Erklärungsmuster hat die ARD jetzt selber vorgelegt: Spannungsfreiheit, Entspannung, über weite Strecken in diesen Krimis. So lässt sich die Diskussion um den umstrittenen „Polizeiruf“ des Bayerischen Rundfunks (BR) mit dem neuen TV-Kommissar Matthias Brandt auch deuten. Eigentlich sollte dessen zweiter Fall „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ über einen Bombenanschlag in einem Münchner Fußgängertunnel wie gewohnt am Sonntag in der Primetime laufen und nicht schon heute am späteren Abend, ab 22 Uhr. Wegen der vielen schrecklichen Bilder nach dem Anschlag aber und der „durchgängig gehaltenen Spannung ohne entspannte Momente“ erschien dieser Krimi den Jugendschützern für den Termin um 20 Uhr 15 am kommenden Sonntag unpassend.

Zugegeben, die Geschichte ist ein Albtraum, ein Horrorszenario. Zwei Terroristen, anscheinend islamistischer Hintergrund, am Münchner Abend unterwegs mit Bus und Bahn, wollen offenbar ein Attentat auf ein Stadion verüben. Zehntausende Menschen in Gefahr. Die Polizei ist nicht Herr der Lage. Ein Sprengsatz geht im Fußgängertunnel zur Allianz Arena hoch. Dutzende Menschen sterben oder liegen schwer verletzt unter Schutt. Mittendrin Kommissar Hanns von Meuffels alias Matthias Brandt, der Neue, der den Tätern auf der Spur war und nun an der Seite des sterbenden Attentäters versucht, ein zweites Inferno in München zu verhindern.

Über die Zumutbarkeit dieser Bilder ist vorab viel diskutiert worden, auch vor dem Hintergrund, dass andere Primetimefilme mit äußersten gewalttätigen Darstellungen wie neulich im ARD-Mittwochsfilm „Sie hat es verdient“ mit Veronica Ferres, Stichwort rohe Jugendgewalt, offenbar vom BR nicht beanstandet worden sind. Von den ganz normalen Unglücksbildern und Toten in den täglichen Nachrichtensendungen oder Sturmflut-Katastrophenfilmen ganz zu schweigen. Die Bilder im „Polizeiruf“ seien kein Selbstzweck oder Effekthascherei, sondern dramaturgisch sinnvoll eingebettet, sagte Matthias Brandt neulich im Tagesspiegel-Interview.

Zensur, rufen gar Kritiker der BR-Entscheidung. Fakt ist zum anderen: Der mediale Jugendschutz unterliegt gesetzlichen Vorgaben. So dürfen laut Rundfunkstaatsvertrag von 1987 Sendungen, die Kinder oder Jugendliche in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen oder gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigen könnten, nur dann ausgestrahlt werden, wenn sichergestellt ist, dass Kinder der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. BR-Fernsehdirektor Gerhard Fuchs bestätigte nochmals, dass er nicht anders konnte, als der ARD vorzuschlagen, diesen Krimi aus der Primetime zu verlegen. Der Film setze sich mit einer anderen Gewalt-Kategorie auseinander als die meisten anderen Krimis. „Die Anschlagsgefahr im öffentlichen Raum ist eine abstrakte, permanente und kaum beherrschbare Gefahr. Die eindringliche Weise, in der der Film diese Gefahr ohne Entspannungsmomente darstellt, kann aus Sicht der Jugendschutzbeauftragten Kinder nachhaltig verängstigen.“

Schade nur, dass dieser ausgezeichnete Krimi, von Hans Steinbichler mit grandiosen Protagonisten (Brandt, Sebastian Urzendowski, Anna Maria Sturm) als bedrückendes Kammerspiel inszeniert (Kamera: Bella Halben, Buch: Christian Jeltsch), so lediglich wohl von drei Millionen Zuschauern gesehen wird, statt von acht am Sonntag in der Primetime. Sicher, da sind die Schreie der Opfer im Tunnel, die mit Staub und Blut bedeckten Menschen im Lichtgeflacker. Verstörende Bilder, die umso nachdrücklicher wirken, als in Deutschland die Angst vor einem solchen Attentat umgeht. Man muss sich nur die Vorsichtsmaßnahmen beim Papst-Besuch in Berlin anschauen.

Matthias Brandt wendet ein: „Man kann ein Attentat nur dadurch zeigen, indem man auch zeigt, was es anrichtet. Denken Sie an Norwegen. In dem Moment, wo es die Dinge wie Terror gibt, sind sie thematisierbar im Rahmen eines solchen Films.“ Und, ob nun Terror, Bankraub oder Beziehungstat im Krimi, es ließe sich sowieso fragen, warum Eltern ihre zwölfjährigen Kinder um viertel nach acht üblicherweise so etwas gucken lassen sollten, gar alleine.

Die Grimme-Preis-Jury wird diesen Film wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Und zur Entspannung gibt’s am Sonntag wieder „Tatort“, um 20 Uhr 15.

„Polizeiruf 110 - Denn sie wissen nicht, was sie tun“, ARD, 22 Uhr

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