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Schwierige Annäherung. Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) und ihr neuer Kollege, Hauptkommissar Dirk Köhler (Matthias Matschke).

© MDR/Christine Schroeder

Sonntag in der ARD: Polizeiruf 110: Endstation Magdeburg

Hart, härter, Magdeburg: Der „Polizeiruf 110“ erzählt von Endstationen im Leben. Und vom Einstieg Matthias Matschkes als Hauptkommissar

„Ich habe mir das alles anders vorgestellt“, schluchzt Lara Schilchow (Paula Dombrowski). Da liegt der neue Hauptkommissar Dirk Köhler (Matthias Matschke) schon im Krankenhaus, es gibt einen zweiten Toten, Kriminalobermeister Mautz (Steve Windolf) will nicht noch kaputter enden als Köhlers Vorgänger Jochen Drechsler (Sylvester Groth). Er geht, auch er hatte sich den „Bullenjob“ anders vorgestellt.

Willkommen beim „Polizeiruf 110“, willkommen in Magdeburg, willkommen bei Deutschlands düsterstem Krimi. „Endstation“ heißt der sechste Fall für Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen), und es nimmt nicht Wunder, dass das Mordopfer ein zwölfjähriger Junge ist. Zerschlagen, zu Tode geprügelt. Marco war ein Pflegekind wie sein Bruder Sascha (Nino Böhlau) und Nadine (Luzie Ahrens). Alle drei lebten bei der Pflegefamilie Schilchow, deren Tochter Bella (Janina Fautz) Sascha verehrt, ja vergöttert, sie ist in ihn verliebt und er wohl auch in sie. Der Film berichtet davon, dass sich die Hoffnungen der Eltern nicht mit den Sehnsüchten der Kinder decken. Das, was die kleinbürgerlichen Besitzer einer Wäscherei für Glück, Familienglück halten, das passt nur wenig zum Lebensbild der Kinder. Sie alle hatten sich etwas anderes darunter vorgestellt, sie alle stellen sich darunter etwas anderes vor. Die wesentliche Frage ist, ob die Brüche bei den Schilchows Sollbruchstellen einer Durchschnittsfamilie sind oder willentliche Knack- und Konfliktpunkte bis hin zum Mord.

Wer war's ist nicht die wichtigste Frage

Drehbuchautor Stefan Rogall geht sehr geschickt vor, wie er die Fahndung mit dem gegenseitigen Kennenlernen der beiden Kommissare verknüpft und zugleich tief in die Schilchow-Familie taucht. Die Spannungsfrage „Wer war’s?“ ist nicht größer gestellt als die alle und alles umfassende Frage nach dem eigenen Weg durchs Dasein, das nicht „Endstation“ heißen soll. Denn auch Kommissarin Brasch hat liebe Mühe mit ihrem eigenen, dem ans rechte Milieu „verlorenen Sohn“ (Vincent Redetzki); Andi wird gerade aus dem Gefängnis entlassen. Brasch ist von den rebellischen jungen Männern so weit nicht entfernt, auch für sie war das Jugendamt zuständig. Der ruppige Eigensinn der Kommissarin bekommt einen Hintergrund, wie überhaupt diese Figur nach mancher Fragwürdigkeit in den vorhergehenden Folgen stabiler wird. Vielleicht ist es auch eine Art Erlösung, dass Drechsler, dieser Kaputtnix von einem Kriminaler, gegangen und Köhler gekommen ist. Der versucht es mit der Brasch auf die joviale, gut gelaunte, gut meinende, dann wieder grobe, zornige Art, schließlich tritt er eine Tür ein. Dieses Wechselspiel fordert Matthias Matschke wie auch Claudia Michelsen heraus – und es kommt sehr feines Schauspiel heraus.

Der Fall wird darüber nicht vergessen noch vernachlässigt. Es geht um was in dieser sechs-, nach dem Mord fünfköpfigen Familie, zu der, im weiteren Kreis, auch die eigentliche Mutter Manuela Siebrecht (Julischka Eichel) der beiden Brüder Marco und Sascha gehört. Ein „Scheiß-Junkie“, wie Sascha sagt, und noch ein Mensch, der es sich in seinem Leben anders vorgestellt hatte (diese Figur geht gerade noch so, dann reicht es aber auch an Beispielen für misslungene Biografien). Der Mordfall, der Fall der Kommissare und der Fall der Familie Schilchow, sie sind gut miteinander verdrahtet.

Erzählkonvention, doch keine Konfektionsware

Regisseur Matthias Tiefenbacher bewegt sich in der Erzählkonvention eines „Polizeirufs 110“. Das klingt nach Konfektionsware, ist es aber nicht. Es soll vieles stimmen, und dabei muss das Wesentliche stimmig sein. Passt, weil es verdichtet und trotzdem nicht verquast ist. Die Inszenierung weiß um die Proportionen der Handlung und der führenden Personen. Hier wird austariert und nicht ausgewogen vor sich hin berichtet. Der „Magdeburger Realismus“ im ARD-Sonntagskrimi kennt keine Freundlichkeit und keine freundlichen Farben, es ist eine bleierne Zeit und nur manchmal schaut Hoffnung um die Ecke.

Es passiert nicht oft, dass ein Krimi in einer vielköpfigen Familie spielt. „Endstation“ tut das, und „Endstation“ tut das gut, weil die Darsteller der Kinder – Nino Böhlau, Janina Fautz und Luzie Ahrens – so eindringlich von den geheimen Sehnsüchten der Teenager erzählen. Es gibt, es muss ein Leben in Liebe und Leidenschaft geben – vor jeder Verkleinbürgerlichung in einer Wäscherei. Wilde Rose Jugend.

„Polizeiruf 110: Endstation“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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