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"Polizeiruf 110" mit Matthias Brandt: Ausweitung der Kampfzone

Matthias Brandt ermittelt als Münchener „Polizeiruf“-Kommissar von Meuffels im Umfeld einer Kita. Regisseur Leander Haußmann versucht, den Schrecken mit etwas Humor zu lindern.

Der erste Ermittlungsschritt führt Kommissar Hanns von Meuffels in ein Kinderzimmer. Die weibliche Leiche draußen im Regen trug mal kein Handy, wie sonst in Krimis gerne üblich, sondern ein Babyphone in der Manteltasche, und drinnen macht sich jetzt die kleine Lara lautstark bemerkbar. Statt Ella, ihrer getöteten Mutter, steht nun ein großer Polizist im schwarzen Mantel vor ihr, gefolgt von einem Trupp schimpfender Spurensicherer in Ganzkörperanzügen. Nach einigem nervösen Hin und Her entschließen sich die Eindringlinge zu einem „Heile, heile Gänschen“-Chor. Die dreijährige Lara nimmt das erstaunlich gelassen hin. Das ist der Moment, in dem von Meuffels eine besondere Bande zu dem Kind knüpft. Im Verlaufe des Films werden die beiden noch allerhand gemeinsam erleben. Andere Leute gehen mit Kindern in den Zoo, von Meuffels muss in die Gerichtsmedizin. Ein simpler Einkauf im Supermarkt artet in eine veritable Verfolgungsjagd aus. Erleichtert, dass Lara wieder aufgetaucht ist, überreicht ihr der Kommissar seine Visitenkarte: „Wenn du mal quatschen willst.“ Immerhin kann Lara schon „Polizei“ sagen.

Es war nicht die schlechteste Idee, den Schrecken im sechsten von-Meuffels-Fall mit etwas Humor zu lindern. Laras Mutter Ella wird nach einem eher unentschlossenen Schlag des Liebhabers von einem Unbekannten mit dem Auto angefahren und überrollt. Mehrfach. Ein Gewaltausbruch, der besonders am Ende des Films übertrieben drastisch in Szene gesetzt wird. Von Meuffels ahnt das von Beginn an, nach einem Blick ins Gesicht der Leiche mit ihren verwundert aufgerissenen Augen. „Sie hat mit dieser Wut nicht gerechnet“, murmelt er vor sich hin. Einen solchen Satz würde man auch nicht jedem Fernseh-Ermittler glauben.

Woher diese Wut kommt, das wird dem Publikum zu Beginn auf dem Silbertablett präsentiert: Parallel zu dem eskalierenden Tête-à-tête zwischen Ella und ihrem Liebhaber erzählen der für seine Drehbücher mehrfach preisgekrönte Daniel Nocke sowie Co-Autor und Regisseur Leander Haußmann in seinem ersten „Polizeiruf“ von einem eskalierenden Elternabend in der privaten Kita „Kinderparadies“. Ein Kind beißt die anderen, das sorgt für Spannungen, auch wenn die Erwachsenen im Kreis zusammensitzen und einen Kinderreim proben. Manche Eltern werden bestätigen können, dass sich solche Szenen in der Wirklichkeit so oder ähnlich durchaus abspielen.

Sehr hübsch auch die Idee mit der Koreanerin, die sich als Chinesin ausgibt, weil die Eltern auf „die neue Weltsprache Chinesisch“ setzen, und die den Knirpsen neben Klavier- auch Tai-Chi-Unterricht erteilt. Auch dieses koreanisch-chinesische Täuschungsmanöver entlarvt der wundersame Einzelgänger Hanns von Meuffels, über den man wieder einige erstaunliche Details erfährt. Zum Beispiel dass sich neben Bob-Dylan-Kassetten auch „Peter und der Wolf“ im Handschuhfach findet.

Für die Eltern ist das "Kinderparadies" die Hölle

Die Überhöhung der von den Eltern selbst konzipierten Kita zu einer elitären Einrichtung stößt in der Inszenierung an ihre Grenzen. Die Kleinkinder, allen voran Lara, machen sowieso ihr Ding. Eine Hölle ist dieses „Kinderparadies“ vor allem für die Eltern. Da scheut Haußmann kein starkes Bild: Nach dem Showdown am Ende liegt das blutverschmierte Messer auf einem Buch mit dem Titel „Frühpädagogik“ – ein Stillleben, das auf seine Weise pädagogisch ist, passend zur Botschaft des Films gegen elterlichen Perfektionismus. Und dass hier gerne mal aus dem „Sommernachtstraum“ rezitiert wird, hat wohl mehr mit Haußmanns Vorliebe für das Shakespeare-Stück zu tun, als dass es tieferen Sinn ergibt.

Die Folge „Kinderparadies“ mag nicht die stärkste aus der Münchener „Polizeiruf“-Reihe sein, doch ein Matthias Brandt in der von-Meuffels-Rolle ist diese Filmreise in die elterliche Nahkampfzone allemal wert. Der Kommissar verströmt eine menschliche Wärme, die sich sonst häufig in Sympathie für Außenseiter ausdrückt, hier in der Zuwendung zu einem Kleinkind. Von Meuffels als vorübergehender Ersatzvater, ebenso unbeholfen wie entschlossen – Brandt meistert auch das mit dem ihm eigenen unpathetischen Stil. Nicht ganz unwichtig dürfte dabei gewesen sein, dass der 51-jährige Schauspieler und Vater einer Tochter einen guten Draht zur dreijährigen Lara-Darstellerin hatte, die an erstaunlich vielen Szenen beteiligt ist.

Das Fernsehen kann ja gerade gar nicht genug kriegen von Matthias Brandt. Innerhalb eines Monats überzeugte er nun im Dokudrama „Eine mörderische Entscheidung“ als Bundeswehr-General Klein, im Fernsehspiel „Eine verhängnisvolle Nacht“ als gewalttätiger Stalker und nun wieder als „Polizeiruf“-Kommissar. Gerade ist er als bester Hauptdarsteller für den Deutschen Fernsehpreis nominiert worden, als einziger gleich für vier Filmproduktionen. Ganz klar: 2013 ist das Matthias-Brandt-Jahr.

„Polizeiruf 110: Kinderparadies“,

Sonntag, 20 Uhr 15

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