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Porträt: Der Internetevangelist

Datenskandale, Bürgerrechte, Unabhängigkeit: Markus Beckedahl betreibt Politik im Netz

Von Anna Sauerbrey

Bürgerrechtsaktivist, Blogger, Journalist, Lobbyist, Berater. „Ich habe so viele verschiedene Rollen“, sagt Markus Beckedahl, „ich suche mir oft zielgruppenorientiert aus, als was ich gerade auftrete.“ Was der Betreiber und Chefredakteur der Internetseite Netzpolitik.org macht, passt in keine Schublade. Und vielleicht ist gerade das ein Grund für seinen Erfolg. Zuletzt machte Beckedahl Schlagzeilen, als er auf Sicherheitslücken bei dem Onlinebuchhändler Libri.de aufmerksam machte. Kurz zuvor hatten ihm junge Cracker eine Million Datensätze zugespielt, die aus dem sozialen Netzwerk Schüler VZ entwendet worden waren. Beckedahl, der die Seite Netzpolitik.org mit Unterbrechungen seit 2003 betreibt, schrieb das alles in seinem Blog auf, sachlich, aber auch persönlich, indem er seine Recherchen schilderte.

Die Website Netzpolitik.org wird inzwischen täglich rund 40 000 Mal aufgerufen. Wenn er nicht bloggt, ist Markus Beckedahl unterwegs. Er wird gehört. Die Bundeszentrale für politische Bildung lud ihn zu einem Seminar am Comer See, er redet mit auf universitären Podien. Er berät Politiker, hält Kontakte zu Verbänden und auch in die Privatwirtschaft. Er macht Lobbyarbeit für die Idee vom freien Netz. Auch die klassischen Medien sind inzwischen auf den freundlichen Blogger aufmerksam geworden, der die Netzwelt so gut erklären kann. Nach dem Schüler- VZ-Skandal hagelte es Interviewanfragen aus den Redaktionen.

Dass sich die Medienaufmerksamkeit bei Fragen zur Netzpolitik gleich auf Beckedahl konzentriert, liegt nicht nur an den jüngsten Datenskandalen. Es liegt auch daran, dass Beckedahl mit seinen exklusiven und politischen Geschichten noch ziemlich allein im Netz ist. Während viele Blogger Nachrichten lediglich diskutieren, schafft Markus Beckedahl sie selbst. Zwar sieht er sich als Teil einer Bewegung für digitale Bürgerrechte. Eine Bewegung, die seit 2006 mit den Protesten gegen Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren auch der breiteren Öffentlichkeit ein Begriff ist. Doch politische Blogger wie Beckedahl haben die Proteste seither nur wenige hervorgebracht.

Allzu verwunderlich ist das nicht. Die Recherchen für Netzpolitik.org sind ein Vollzeitjob, mit dem sich nichts verdienen lässt. Zwar hat auch die Werbewirtschaft schon Interesse an der Seite signalisiert. Doch Beckedahl winkte ab: keine Konzernwerbung, keine Google-Adds. Der Blogger will unabhängig und damit glaubwürdig bleiben, das ist sein größtes Kapital. Seine Quellen ebenso wie seine Leser, so glaubt der Blogger, zeichnen sich durch großes Misstrauen aus, gegenüber den etablierten Medien ebenso wie gegenüber Behörden.

Finanziell leisten kann Beckedahl sich Netzpolitik nur, weil er gleichzeitig eine Agentur betreibt. „Newthinking“ berät Organisationen und Unternehmen beim Umgang mit neuen Medien und entwickelt Portale auf der Basis von Open- Source-Software.

Bevor sich sein Rollenspektrum aufzufächern begann, hat Markus Beckedahl mal IT-Kaufmann gelernt. Auch in der Politik hat er sich versucht und war Mitglied im Bundesvorstand der Grünen Jugend. Doch das Leben als Parteimitglied war ihm unheimlich. „Ich wollte lieber zivilgesellschaftlich arbeiten“, sagt er. Für das, was er jetzt macht, fehlen deutsche Begriffe. Auf seiner Visitenkarte zum Beispiel steht „Evangelist“. Im angelsächsischen Sprachraum ist das auch außerhalb des Konfirmationsunterrichts ein Begriff. Ein „evangelist“ ist jemand, der sich für eine Sache einsetzt. Auf vielen Wegen.

www.netzpolitik.org

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