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Wollte eigentlich Spion werden. Normalerweise gibt sich Siegfried Lenz eher zugeknöpft. Nicht ganz so in diesem Porträt vom Filmemacher Adrian Stangl. Foto: Arte

© NDR/Adrian Stangl

Porträt über Siegfried Lenz: Der Publikumsautor

„Feuerschiff“, „Deutschstunde“: Ein Arte-Porträt würdigt den sonst eher zugeknöpften Schriftsteller Siegfried Lenz zum 85. Geburtstag.

Als Siegfried Lenz Mitte der siebziger Jahre einen Essay über die Entstehungsgeschichte seines ersten Romans schrieb, bekannte er darin trotz seiner stupenden Kenntnis der Weltliteratur, trotz der „erdrückenden Sammlung von Welterfahrung“ in der Literatur, trotz der Klassiker, die ihn seinerzeit „warnend umstellten“: „Mit dreiundzwanzig hielt ich es für nötig, mein erstes Buch zu beginnen, und zwar im Vertrauen darauf, dass die Erfahrungen, die ich in Krieg und Nachkrieg gemacht hatte, exemplarisch und deshalb mitteilenswert waren.“ Anderthalb Jahre später, 1951, erschien sein Debütroman „Es waren Habichte in der Luft“, für Siegfried Lenz verbunden mit einem „unerwarteten Existenzgefühl“.

„Ich hatte Fischer werden wollen“, sagt er in Adrian Stangls Filmporträt „Mein Leben“ , das aus Anlass seines 85. Geburtstages entstanden ist. „Oder Spion, ein berühmter natürlich, und später auch Admiral. Aber ich bin all das nicht geworden.“ Stattdessen wird er zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte, zu einem „der besten und vorzüglichsten deutschen Geschichtenerzähler“, wie Marcel Reich-Ranicki sagt, „mit Tausenden von Manuskriptseiten, weit über hundert Erzählungen, mehreren Theaterstücken und 14 Romanen“, wie Adrian Stangl weiß.

Was Stangl nicht weiß, was auch seine Gewährsleute, Lenz-Freunde wie Günter Grass, Ulla Hahn, Amos Oz oder Helmut Schmidt, nicht wissen: Wie Siegfried Lenz seine Kindheit und Jugend in Lyck, „der Perle Masurens“ bis kurz vor Kriegsende verbracht hat, wie seiner Beziehung zu den Eltern war: die zum Vater, der die Mutter, ihn und seine Schwester früh verlässt. Und die zur Mutter, die mit der Schwester nach der Trennung vom Vater ebenfalls wegzieht, so dass Lenz in Lyck bei seiner Großmutter aufwächst.

Über all das hat Siegfried Lenz nur wenig Auskunft gegeben; all das aber scheint ihn, wie man einem seiner wenigen autobiografischen Texte entnehmen kann, eine tiefe Demut vor dem Leben überhaupt gelehrt zu haben: „Alles war schon da, als ich geboren wurde, ich hatte strenggenommen keine Daseinsberechtigung, ich war überflüssig, entbehrlich, ein fahrlässiger Luxus“.

Obwohl oder vielleicht gerade weil Lenz sich in dieser Hinsicht immer sehr zugeknöpft gezeigt hat, weist Adrian Stangl in seinem Film genau darauf hin und lässt Lenz in einem Interview aus den sechziger Jahren sagen, dass sich „ein Schriftsteller in allem zu erkennen gibt, was er schreibt“.

Nachdem das geklärt ist, geht es weitgehend chronologisch durch Lenz’ Leben. Da fehlt die charakteristische Pfeife genauso wenig wie sein Engagement in den sechziger und siebziger Jahren für die SPD oder die Heirat 2010 mit seiner dänischstämmigen Lebensgefährtin Ulla auf der dänischen Insel Fünen, wo Lenz seit dem Tod seiner 57 Jahre ihm treu zur Seite stehenden Ehefrau Liselotte im Jahr 2006 ständig lebt. Dass der Blick auf sein Werk ein eher unscharfer bleibt, liegt in der Natur eines solchen Filmporträts. Natürlich wird Lenz’ endgültiger Durchbruch 1968 mit „Deutschstunde“ erwähnt, seine Geschichtensammlung „So zärtlich war Suleyken“ und auch die Wiederentdeckung des Schriftstellers Siegfried Lenz 2008 mit der Liebesnovelle „Schweigeminute“, nachdem er insbesondere in den neunziger Jahren mit einigen schwachen Romanen wie aus der Zeit gefallen schien.

Aufschlussreich dabei: Wie Lenz zu Zeiten der „Deutschstunde“ in einem Interview (bei ein paar Flaschen Beck’s und vielen Zigaretten, so war das damals!) sich fragt: „Was habe ich falsch gemacht? Was für ein Malheur ist mir da passiert, einen Bestseller zu schreiben?“ Schließlich hatte es Ende der Sechziger auch immer ein „Geschmäckle“, ein Bestsellerautor zu sein. Siegfried Lenz ist bis heute ein Publikumsautor, der zu „einem merkwürdigen Fall in der deutschen Literatur“ geworden ist, wie es der Großkritiker Fritz J. Raddatz einmal analysiert hat: „Einerseits ungeheuer erfolgreich, andererseits von der Kritik ungeheuer gezaust.“

Wie erfolgreich Lenz ist, zeigt auch die große Zahl der Verfilmungen seiner Erzählungen und Romane: von „Deutschstunde“ über die – dreimal verfilmte – Erzählung „Feuerschiff“ bis zu der des eher schwachen Lenz-Romans „Die Auflehnung“ aus dem Jahr 1994, die Arte am heutigen Sonntag mit dem Lenz sehr verbundenen Schauspieler Jan Fedder in der Hauptrolle des um seine Existenz kämpfenden Fischers Frank Wittmann zeigt.

Doch selbst hier zeigt sich die immerwährende Sympathie von Lenz für seine oft melancholieumflorten Figuren; zumeist kleine Leute, die hin- und hergerissen sind zwischen der gängigen Moral, Pflichtgefühlen und dem Wunsch nach Liebe, nach existenziellen Aufbrüchen, nach einem anderen, besseren Leben.

Melancholie sei ein „sehr inspirierender Zustand“, sie sei ein „Anlass zur Bescheidenheit, zur Vorläufigkeit, zum Eingeständnis, vorläufig zu leben“, sagt Siegfried Lenz, der am kommenden Donnerstag 85 Jahre alt wird. Spätestens als er das sagt, versteht man, warum Günter Grass ihn einen „wunderbaren Kollegen“ nennt und Helmut Schmidt seine Freundlichkeit, Behutsamkeit und Fähigkeit zur Einfühlung rühmt. „Mutlos wird man erst später“ – mit diesem Satz begann Lenz seinen Essay „Mein erster Roman“ 1974. In Kenntnis des Lebens und Werkes von Siegfried Lenz lässt sich aber genauso getrost sagen: Mutlos ist dieser Schriftsteller noch nie gewesen.

„Die Auflehnung“, 14 Uhr 55. „Mein Leben - Siegfried Lenz.“, 16 Uhr 30, beides auf Arte.

Die ARD zeigt zum Geburtstag von Siegfried Lenz am kommenden Mittwoch um 20 Uhr 15 „Das Feuerschiff“ mit Jan Fedder.

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