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Anne Will

© ddp

Porträt: Wer ist Anne Will?

Ist doch nur Fernsehen - das war einmal ihr Motto. Kontrolle, nicht Spontaneität, ist jetzt ihre Stärke, und "professionell" ihre Lieblingsvokabel. Wie professionell sie ist, wird sie in ihrer ersten Sendung am Sonntagabend zeigen.

WIE HAT ANNE WILL ES IN DER EINST VON MÄNNERN DOMINIERTEN FERNSEHWELT GANZ NACH OBEN GESCHAFFT?

Die Wende in den Geschlechterverhältnissen auf dem Bildschirm hat längst vor ihr stattgefunden. Bei den Nachrichten, als Auslandskorrespondenten, selbst im Sport haben die Frauen ungefähr Parität erreicht – sie dominieren den ernsten Talk und die Politikmagazine. Zwei Domänen bleiben den Männern: die Macht, also die Führungspositionen in den Hierarchien der Sender und der Witz, also zahlreiche Comedysendungen. Günter Struve, oberster ARD-Programmchef, der gelegentlich auch komisch sein kann, hat es einfach formuliert: Anne Will ist eine schöne Frau und kluge Journalistin, da sei alles wie selbstverständlich auf sie zugelaufen. Der Durchbruch fand 1999 statt, als sie als erste Frau die letzte ARDMännerdomäne, die „Sportschau“ erstürmte. Dass bei diesem Lebenslauf neben Können und Akribie auch Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen mitspielen, darf man aber getrost annehmen.

WAS HAT SIE GEPRÄGT?

Wenn es um Privates geht, bleibt Anne Will stets ein wenig zugeknöpft. Das ist ihr gutes Recht. Gerne aber betont sie ihre Prägung durch die Heimatstadt Köln, deren Frohsinn und Optimismus. In einem Interview mit der ähnlich geprägten Alice Schwarzer sprach sie einmal von ihrer Sehnsucht, im Rosenmontagszug von einem großen Wagen aus Pralinenschachteln in die begeisterte Menge zu werfen. Außerdem betont sie stets die früh erlebte Harmonie in der katholischen Familie und die Bewunderung für ihren Bruder Martin, dem sie auch die Fußballbegeisterung abgeschaut habe. Für Rebellion sah sie nie einen Anlass. Nach dem Studium volontierte sie im SFB, entflammt für den Sport und das Medium Hörfunk. Ihr Mentor, der inzwischen pensionierte Sportchef Jochen Sprentzel, hat sie ein wenig ins Fernsehen geschubst. Am 27. September 1992 debütierte sie als Live-Reporterin vom Rande des Berlin-Marathons, der sich dort, wo sie zu kommentieren hatte – am „Wilden Eber“, wo Menschen jubeln und Sambatrommler wirbeln – ohnehin als eine Mixtur aus Sport und Karneval darbot. Das kam ihr entgegen. Fast naiv geradlinig hieß ihre erste Talksendung dann „Mal ehrlich“. Etwas schwerer tat sie sich anfangs mit Showelementen, die das von ihr moderierte WDR-Medienmagazin „Parlazzo“ aber unbedingt aufbieten wollte. Bisher waren große Räume nicht ihre Stärke. Sie, allein mit der Kamera – da entfaltet Anne Will ihr kommunikatives Talent und spielt charmant mit einem Bedeutungsspektrum, das von sehr ernst bis ironisch-distanziert reicht.



WAS MACHT SIE ALS MODERATORIN AUS?

Über die Augenbraue wurde ja genug gesprochen. Nehmen wir sie als Hinweis auf kommunikative Kompetenz. Anne Will hat genügend Routine, um auch in einem längeren Gespräch mit mehreren Gästen einen Spannungsbogen zu halten. Wer die „Tagesthemen“ moderiert, ist Brückenkopf im Mahlstrom der schnellen News und Zeitläufte, gestützt von einem eingespielten Team. Das ist für jedwede weitere journalistische Tätigkeit die denkbar beste Vorbereitung. Hier hat sie den letzten Schliff bekommen für eine präzise und verständliche Sprache, für Nuancen der Intonation von Themen – und für zugespitzte Interviews. Bei Preisverleihungen, Podien und Aids-Galas hat sie aber auch schon gemerkt, dass sie vor Fehltritten nicht gefeit ist. Sie hat also genügend Respekt vor der Aufgabe. Gut vorbereitet wird sie selbstverständlich sein. Kontrolle, nicht Spontaneität ist ihre Stärke; „professionell“ ihre Lieblingsvokabel. Besonders interessiert ist sie an den Eigenheiten ihrer Gäste und Interviewpartner: Aus dem Arbeitermilieu stammt Franz Müntefering und hat kein Abitur; Ulla Schmidt studierte Psychologie und Angela Merkel zeigt sich fasziniert vom Schweigen. In den letzten Wochen hat sie sich gerne loben lassen für das Interview damals mit Gerhard Schröder, der in Washington stand und – wie dies international üblich ist – nicht über die deutsche Innenpolitik, also die Neuwahlen sprechen wollte. Ihre Penetranz wurde als Hartnäckigkeit gefeiert. Dass sie in ihrer Talkshow nicht kuscheln wolle, ergänzte sie flugs und ahnt doch, dass dieser Lorbeer noch etwas billig erschlichener Mut war. Erst jetzt kommt es auf die richtige Mischung von „suaviter in modo und fortiter in re“ an. Pünktlich erhält sie im Oktober den „Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis“ für ihre „unabhängige Haltung“ und nicht zuletzt für die Interviews, die sie „charmant, aber frei von Gefälligkeiten“ führe. Anne Will weiß, dass Kommunikation etwas anderes ist als Klugheit, Intelligenz oder Ehrgeiz. Man muss daran arbeiten, durch eine künstliche Situation hindurch wieder bei sich selber anzukommen. Da ist sie jetzt.

WIE POLITISCH IST ANNE WILL?

Selbstverständlich ist sie politisch genug. Aber politisch sind ja auch die befragenden Chefredakteure im Presseclub. Nur ist dies die Nischensendung für primär Interessierte. Anne Will hat die schöne Aufgabe, eine große Brücke zu schlagen und die Massen, die gerade aufatmen, weil der Tatort-Täter wieder einmal überführt wurde, mitzunehmen auf eine Reise ins Reich des öffentlichen Verhandelns wichtiger Fragen unseres Zusammenlebens, auch Politik genannt. In Zeiten der großen Koalition – in denen sich Politiker eher als Sachwalter denn als Charismatiker präsentieren; allenfalls geachtet, nicht geliebt werden; das Land nicht spalten oder in Erregung versetzen – ist das nicht einfach. In der Regel neigen die auf Masse zielenden Journalisten heutzutage dann zu jenem Populismus, den sie anschließend den Politikern anklagend vorwerfen. Der betroffene Bürger wird umschmeichelt. Dennoch bleibt der eloquente Politiker konzeptwidrig interessanter. Da lauert eine Falle. Nur wenige Jahre vor ihr kamen viele über die Politik zum Journalismus. Bei ihr war es bereits umgekehrt. Früh stand der Berufswunsch fest, er zog das politische Interesse nach sich. Auch deswegen wird sie von jungen Journalisten inzwischen geradezu als Ikone einer pragmatischen Neutralität bewundert. Dem Notar aber fliegen keine Herzen zu.

SCHAFFT SIE ES?

Leicht gesagt, aber das beste Rezept heißt Gelassenheit. „Ist doch nur Fernsehen!“ Das war einmal Anne Wills Motto. Dahin muss sie wieder zurück. Es geht ja nur darum: entweder ist ein Gespräch strukturiert oder durcheinander, spannend oder langweilig, interessant oder ermüdend. Aktuell hat sie ein Problem: Sie kann die geschürten Erwartungen nicht übertreffen. Obwohl sie es bestimmt vorhatte, hat sie den Ball vor dem Sendungsstart nicht flach genug gehalten. Sie vertraue „voll auf das Gespräch als Quelle politischer Willensbildung“, wolle nicht weniger als „zu einem neuen Politikverständnis beitragen“. So lässt sie sich zitieren. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Eine Kabinettsumbildung ist ja heutzutage nichts gegen die Neubesetzung einer Talkshow. Selbst die simple Vorstellung des „Cappuccino-Studios“ wurde zum Staatsakt. Anne Will musste ein Motto erfinden: „Politisch denken, persönlich fragen.“ Es ist banal. „Ich höre zu und hake nach“ – ach so! Sie will die Politik mit der Realität konfrontieren – gute Idee! Bei jeder Sendung gibt es anfangs ambitioniertes Getue. Selbst in Möbel (weiche Sitze für die Bürger; hartes Gestühl für die Politiker) und Bewegungen (die Moderatorin geht zum Bürger, holt ihn ab; aber konfrontiert die Politiker) wird allerlei Überhöhung hineingeheimnist. Dann purifizieren sich die Sendungen. Erst von da an ist Kritik sinnvoll. Auf jeden Fall hat Anne Will das Zeug dazu, das zu erwartende erste Hoch und sich bald anschließende Tief zu überstehen. Sie beherrscht ihr Handwerk, ist erfahren und zäh.

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