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Premiere: „Wer gibt schon zu, dass wir uns besser auskennen?“

Anpfiff am Sonntag im Pay-TV-Sender Sky: Christina Graf ist die erste Frau, die ein Männer-Profifußballspiel in Deutschland live im Fernsehen kommentiert.

Frau Graf, als Sie aus 1200 Frauen für den Job als erste TV-Kommentatorin für Bundesligafußball der Männer ausgewählt wurden und Marcel Reif Ihnen die Trophäe mit den Worten überreichte: „Weil es um Frauen geht, sind da Glitzersteinchen drauf“ – was haben Sie in diesem Moment gedacht?

Die Steinchen brauche ich nicht. Das ist nicht meins.

Sie sagten jedenfalls, das sei das, was Sie immer machen wollten. Wie schwierig war es, einen Traum zu verfolgen, für den es keine Vorbilder gibt?

Sehr schwierig. Fußballspiele zu kommentieren, diesen Traum verfolge ich seit ein paar Jahren. Ich habe bislang die Regionalliga im Radio kommentiert. Seitdem ist klar, dass ich das auch im Fernsehen machen will. Im Radio gab es mit Sabine Töpperwien jemanden, an den ich mich halten konnte. Trotzdem: Vorbilder finde ich generell schwierig – man kann sich immer ein bisschen was abgucken, letztlich muss man seinen eigenen Weg gehen. Sportkommentator ist ein Beruf, in dem es egal ist, wer am Mikrofon sitzt, ob Mann oder Frau.

Die Realität sieht anders aus. 1939 wurde das erste Fußballspiel in Deutschland im Fernsehen übertragen – noch immer kommentieren dort ausschließlich Männer. Warum, glauben Sie, ist das so?

Ich schätze, dass es die Gewohnheit ist. Man hat immer nur Männerstimmen gehört, an Frauenstimmen muss man sich erst gewöhnen, zumindest im Fußball. Wenn Männer in der Kneipe sitzen und Fußball schauen, möchten sie vielleicht nicht immer eine Frau dabeihaben, die ihnen das Spiel erklärt. Wer gibt schon gerne zu, dass sich eine Frau in Sachen Fußball besser auskennt?

Wann haben Sie das erste Mal ein Spiel kommentiert?

Das war vor etwa sechs Jahren.

Hatten Sie vorher geübt?

Ich hatte sehr gute Kollegen beim Radio, unter anderem Timo Latsch, der jetzt stellvertretender Sportchef bei n-tv ist. Bei dem bin ich mehrmals mitgelaufen und habe mir angeschaut, wie der das macht. Dann bin ich zu Spielen gefahren und habe trocken kommentiert, für mich, auf Tonband. Das habe ich mir danach angehört. Irgendwann wurde ich ins kalte Wasser geworfen.

Eine Aufgabe der Castingsendung bei Sky war, dass Sie live kommentieren mussten, 90 Minuten. Sie waren auf Schalke – war das so, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Die Situation war mir ja nicht fremd. In der Regionalliga war es nur immer so, dass mich die Zuschauer eigentlich auch so gehört haben, ohne Mikrofon, die Tribüne war ja nicht sehr groß. Ins Stadion auf Schalke passen rund 60 000 Zuschauer, das ist eine Masse, die einen im ersten Moment erdrückt. Die Perspektive ist eine ganz andere: Als Fan war ich auch schon bei Spielen, klar, aber das war Unterhaltung, ich war eine von vielen. Von da oben habe ich gesehen, wie viele Fans es wirklich sind. Und die hören zu. Man will alles richtig machen, jede Szene gut analysieren können. Ich denke, das ist mir gelungen.

Welchen Verein finden Sie denn gut?

Ich sympathisiere mit dem 1. FC Köln. Fan möchte ich nicht sein, das würde auch nicht zu meinem Job passen.

Für Sportjournalisten gibt es diese Bücher, in denen Fakten zu allem und jedem auf dem Spielfeld stehen. Haben Sie da vorher reingeschaut?

Ja. Es gibt diese Top-Fakten, manchmal sind es auch Informationen zu einem Spieler. Da habe ich mir das Wichtigste rausgesucht und abgeschrieben – während des Spiels habe ich aber, außer der Aufstellung, keinen Zettel gebraucht.

Als Sie fürs Casting live kommentierten, spielte Schalke gegen Werder Bremen. Sie hatten sich die Aufstellung aufgemalt, die Mannschaft von Schalke blau markiert, Werder Bremen grün. Haben Sie Angst, Spielernamen falsch auszusprechen?

Nein, das klärt man vorher eigentlich ab. Und es gibt ja diese allgemeine Aussprechliste der Liga. Das geht. Viel mehr Angst hatte ich, einen Spieler in einer hektischen Situation nicht zu erkennen.

Wie haben Sie vorgesorgt?

Während sich die Spieler aufwärmten, bin ich noch mal alle Namen durchgegangen und habe mir jeden ganz genau angeschaut. Bei einem kennt man die Schuhe, beim anderen die Gangart.

Was macht einen guten Kommentator aus?

Eine gute Mischung: angenehme Stimme, fachliche Kompetenz – die ist fast das Wichtigste. Der Kommentator muss vermitteln können, dass er das, was auf dem Feld passiert, versteht. Dann Persönlichkeit und Wortwitz. Und er sollte sich nicht wichtiger nehmen als das Spiel.

Was machen Sie während der 45 Minuten – außer reden?

Es gibt ja diese bekannte Räuspertaste, die man drücken kann – das Räuspern, Husten oder so geht dann nicht übers Mikrofon. Die habe ich bisher noch nicht genutzt.

Was bedeutet die Halbzeit für einen Kommentator?

Beim Radio sind die 15 Minuten Halbzeitpause die Zeit, in der ich was trinke, mich mit jemandem bespreche, durchatme. Beim Probekommentar auf Sky habe ich nur gedacht: Wie, jetzt ist schon die Hälfte rum? Und ich war angespannt, weil noch weitere 45 Minuten anstanden. Du musst konzentriert bleiben, habe ich mir gesagt.

Katrin Müller-Hohenstein ist die wohl bekannteste Sportjournalistin im deutschen Fernsehen. Würden Sie auch moderieren?

Zurzeit reizt mich Kommentieren mehr. Ich bin an dem Spiel, an den 90 Minuten dran, nicht an jedem einzelnen Spieler. Ich muss eine Nähe zu dem Sport haben, nicht zu einer Person. Das gefällt mir. Katrin Müller-Hohenstein hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass Frauen im Sport selbstverständlich sind. Sie musste sich beweisen, inzwischen sehe ich sie sehr, sehr gerne.

Katrin Müller-Hohenstein kommt ebenfalls vom Radio. Inwieweit mussten Sie sich umstellen – von Radio zu Fernsehen?

Ich musste mich total umstellen. Im Fernsehen kann ich nicht jede Szene detailliert beschreiben, da ist ja auch noch das Bild. Wenn ich für die Sportfreunde Siegen kommentiere, sage ich, wie er den Ball annimmt, wo er sich auf dem Feld befindet. Im Radio muss man manchmal noch stärker die Emotionen rüberbringen. Im Fernsehen muss man sich dagegen zügeln, dass man nicht durchweg redet.

Radio, Fernsehen – vor allem im Sportkommentar sind Floskeln üblich. Welche werden Sie vermeiden wollen?

Ach du grüne Neune. Ich glaube, Floskeln rutschen einem hin und wieder durch. Bei einem Probekommentar habe ich gesagt: „Da laufen sie ins offene Messer.“ Jurymitglied Matthias Brügelmann hat sich tierisch aufgeregt.

Das Interview führte

Jana Gioia Baurmann.

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