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© RTL

Privat-TV: Migranten und Marktanteile

RTL hat ein ambivalentes Verhältnis zum Thema Integration und setzt auf eine neue Quotenerfassung.

Nein, Bad Godesberg ist kein gewöhnlicher Problemkiez. Als Bonn noch Regierungssitz war, war Bad Godesberg ein Villenviertel für Beamte und Diplomaten, ein wohlhabender Kurort am südlichen Rand der Stadt. Doch dann zogen die Politakteure nach Berlin, die Mietpreise sanken und der schicke Stadtteil veränderte sich. Finanzschwächere Einwandererfamilien kamen in die Nachbarschaft und eröffneten Döner- und Internetläden. Und sie brachten Angst und Schrecken ins bis dato unberührte Fleckchen Erde – das zumindest erklärt das RTL-Wochenmagazin „Extra“ heute Abend ganze 75 Minuten lang in einer Spezialsendung.

Die „Extra“-Macher halten nicht lange hinterm Berg mit ihrer zentralen Botschaft: „Es gibt auf jeden Fall einen Hass zwischen Deutschen und Ausländern“, sagt ein Jugendlicher mit offensichtlichem Migrationshintergrund. Dann sagt eine bedeutungsschwere Frauenstimme zu Bildern aus der Stadt: „Dies ist die Geschichte von Bonner Bürgern, die sich dort, wo sie zu Hause sind, nicht mehr sicher fühlen.“ Zum Beweis blökt noch eine betagte Grauhaarige in die Kamera, dass man hier schon für fünf Euro zusammengeschlagen wird, „das ist Fakt!“

„Angst vor den neuen Nachbarn“ heißt die Sendung, laut RTL eine „alarmierende Bestandsaufnahme aus der Perspektive aller Betroffenen“, die einmal mehr das ambivalente Verhältnis des Senders zu seiner vielfältigen Zuschauerschaft offenlegt.

Einerseits ist RTL extrem beliebt unter jungen Migranten. Ihre Zahl in der Bevölkerung ist stark gewachsen und wächst weiter. Die Chefredaktion weiß das: „Das Thema Integration beschäftigt uns seit langem“, sagt Peter Kloeppel, „auch weil wir wissen, dass sehr viele Bürger mit Migrationshintergrund die Programme unseres Senders intensiv verfolgen“. Als Medienschaffende sehe RTL sich zudem in der Verantwortung, „auf die wachsende Bedeutung von Integration hinzuweisen“. Auf der Suche nach entsprechenden Programmformaten geht Kloeppel auch mal persönlich an die Basis, besucht Schulklassen und lobt zum dritten Mal den „Com.mit-Award“ aus, für den Jugendliche Filmskripte zum Thema Integration einreichen können.

Doch da gibt es noch das Andererseits. Und andererseits spielen Migranten in den entscheidenden Fernsehnutzungsdaten bis heute keine Rolle. Also orientiert sich RTL an der Quotenmasse, die reißerische Ausländerthemen goutiert. So liest sich die Migrationsthemenliste der letzten zwei Jahre bei „Extra“ wie folgt: „Ehrenmord an schwulem Türken“, „Christen in der Türkei“, „Zwangsehen von jungen Musliminnen in Deutschland“ und „Wiederherstellung des Jungfernhäutchens aus Angst vor der Hochzeitsnacht“.

Auch in der heutigen Sendung geht es dem Reportageformat um Unterhaltung und Quote, die nicht ohne Übertreibung, Klischeereproduktion und Stereotpye auskommt. Allerdings ermöglicht das „multikulturelle RTL-Team“ einen tiefen Einblick in das Innenleben der kriminellen Protagonisten.

Dabei kommt dem Sender zugute, dass er viel Übung darin hat, Einwanderer entspannt im Programm zu platzieren. Während die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sich noch ungelenk an das Mysterium Migrant herantasten, haben Privatsender wie RTL, Sat 1, Pro Sieben und Vox die bunte Bevölkerung längst auf der Mattscheibe integriert. Etwa in den Castingshows, wo Jugendliche aus Einwandererfamilien nicht nur ständig präsent sind, sondern zu Stars und Models gekürt werden. In Spielfilmen der Privaten kommen Dragans und Fatmas auch in Rollen vor, die nichts mit ihrer Herkunft zu tun haben – anders als etwa im Tatort, wo ein türkischer oder russischer Name eigentlich immer ein Hinweis auf Zwangsheirat und Mafia ist.

So führte RTL 1999 mit „Sinan Toprak“ den ersten türkischen Kriminalkommissar in Serie ein. Moderatoren wie Nazan Eckes gab es hier lange bevor der Nationale Integrationsgipfel ARD und ZDF dazu veranlasste, Einwanderer prominent vor der Kamera zu platzieren. Und RTL experimentiert immer wieder mit bunt besetzten Serien und Dokuformaten (zuletzt: „Migranten auf Streife“).

„Medieninhalte in Mainstreammedien sind dann interkulturell integrativ, wenn sie ethnische Vielfalt als gesellschaftliche Normalität zeigen“, sagt der Soziologe Rainer Geißler. RTL gelingt dieser Schritt. Wenn in Zukunft die Quoten von Drittstaatenausländern wie Arabern und Türken erfasst werden, wie seit Jahren gefordert wird, wäre RTL schon heute ein klarer Gewinner (siehe Kasten).

Doch bis es soweit ist, muss der Sender den Spagat zwischen Quote und Medienverantwortung machen. So soll die reißerische „Extra“-Folge heute Abend durch Interviews mit Soziologen und Politikern seriös anmuten. Sie alle erklären: „Wenn wir nicht endlich etwas für die Integration tun, haben bald alle ein ernstes Problem.“ Oder mit den Worten des Intensivstraftäters Yussuf: „Ich sehe diese Leute, die immer einen Plan haben und in schicken Cafés sitzen. Und ich? Ich habe nichts. Also nehme ich mir, was ich will.“

„Extra – Spezial: Angst vor den neuen Nachbarn! Woran die Integration von Ausländern in Deutschland scheitert“, RTL, 22 Uhr 15

Ferda Ataman

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