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7 aus 49. Erst waren es 26.875 Kandidaten, in den acht Shows treten 49 davon an, aus deren Mitte heraus am 31. Januar der Millionär gewählt wird. Klar schon jetzt: Mehr Männer als Frauen sind geldgeil.

© Pro 7

Pro 7 startet „Millionärswahl“: Eine Million für den Sex in Deutschland?

Bei der „Millionärswahl“ wird’s demokratisch: Kandidaten, Onliner und Publikum bestimmen den Gewinner. Einen Favoriten gibt es bereits: Den Youtube-Kanal "61 Minuten Sex".

Der größte Vorzug an der Demokratie ist, dass wesentliche Fragen durch Mehrheit entschieden werden. Das weniger Wunderbare an dieser Entscheidungsfindung ist, dass dadurch auch der Dümmste Millionär werden kann. Der neuen Castingshow bei Pro 7 und Sat 1 ist das herzlich egal. Die „Millionärswahl“ belohnt das Absonderliche, nicht die besondere Leistung.

Die beiden Privatsender setzen auf die Verschmelzung von Fernsehen und Internet – und das gegenseitige Aussieben der Teilnehmer. Etwa 27 000 Menschen hatten sich im Netz mit hochgeladenen Videos, Fotos oder Texten im Messen von „besonderen Geschichten, Talenten und kreativen Ideen“ beworben, wie in der Pressemitteilung gejubelt wird.

Das wirklich neue an dieser x-ten Castingshow ist der vorgegebene Weg zum Ruhm. Keine Jury, kein Expertenkreis entscheidet, wer von tausenden Kandidaten ins Fernsehen und wer von den 49 Auserwählten am Ende ins Finale kommt. In mehreren Wahlgängen haben die Teilnehmer gegenseitig auf ihrer Online-Plattform festgelegt, wer sich in der Runde der acht Live-Shows präsentiert. In zunächst sieben Ausgaben präsentieren sich jeweils sieben Bewerber: Das TV-Publikum, die Online-Gemeinde der 27 000 und auch die sieben unter sich bestimmen, wer in Endrunde am 31. Januar kommt. Jeannine Michaelsen und Elton moderieren; wo Elton moderiert, ist der Kindergeburtstag mit Erwachsenen-Beteiligung nicht weit.

Die Ambitionen für die „Millionärswahl“ stehen freilich hoch: Versprochen wird eine Show in der Größe wie „Schlag den Raab“. Die Rede ist auch vom „digitalen Wetten, dass..?, bei dem Zuschauer per Telefon und nicht Dieter Bohlen oder Xavier Naidoo entscheiden“, erklärt Pro-7-Sat-1-Geschäftsführer Wolfgang Link.

Das mit „Wetten, dass..?“ liegt auf der Hand, insofern kommt die Mehrheit der Möchtegern-Millionäre aus der Sport- und Actionecke. Eine athletische Akrobaten-Gruppe, die „Beast Brothers“ aus Schöppingen (NRW), will das Publikum mit ihren Mucki-Bergen und Turneinlagen beeindrucken. Daniel Moesl aus Lans in Österreich ist Snowboardlehrer und Freedropper. In seinem Bewerbungsvideo stürzt er sich aus 50 Metern2 auf ein Luftkissen und landet weich. Aber auch jene, die beim „Supertalent“ von RTL (noch) nicht berücksichtigt wurden, bekommen bei der „Millionärswahl“ eine neue Chance: Natürlich gibt es mit Benedikt Mordstein den Breakdancer mit Guiness-World-Record im Rücken, in einem weiteren Video hüpft eine exzentrische Balkan-Braut als Putzfrau-Verschnitt durch einen Musikclip. Schon erstaunlich, womit der Mitbürger seine Freizeit füllt.

Manche Bewerber drücken auf den Herzmuskel der Kandidaten und des Publikums. Ralf Zanders möchte für die weitere Behandlung seines Patenkindes, das am Wolf-Hirschhornsyndrom leidet, gewinnen, Herz-Schmerz-Heiratsanträge finden sich, andere „Millionäre“ versprechen den vollen Gewinn an gemeinnützige Einrichtungen zu spenden; ein geschäftsführender Gesellschafter einer Schweißtechnikfirma will seine Wähler aktiv bestechen. 600 000 Euro der Gewinnmillion würde er für Geschenke an seine Fans ausgeben, mit dem Rest auf Kreuzfahrt gehen.

„Ich hoffe, dass die Leute vor den Fernsehern mitdiskutieren: Wem von ihnen gönne ich die Million?“, sagt Senderchef Wolfgang Link.

Medienwissenschaftler tun das, was Medienwissenschaftler gerne tun: Sie sind skeptisch, was die Erfolgsaussichten des neuen Formates angeht. Bislang seien alle „Wetten, dass..?“-Adaptionen gescheitert, sagte Joan Kristin Bleicher (Uni Hamburg) der dpa. Für viele Zuschauer hätten Castingshows wie das „Supertalent“ durch die zunehmende Professionalisierung inzwischen ihren Reiz verloren. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen und Autor des Buches „Die Casting-Gesellschaft“, vermutete wirtschaftliche Gründe hinter der Sendung: „Deutschland ist durchgecastet, aber noch sind die Shows trotz aller Ermüdungserscheinungen und des ewig gleichen Schematismus schlicht zu quotenträchtig und zu lukrativ, um sie einfach einzustellen.“ In der „Millionärswahl“ als „Casting-Show 2.0“ sieht Pörksen ein Hybridformat. Sie kombiniere die Gesetze klassischer Castingshows mit den Prinzipien des Internets: Jeder könne mitmachen und sich zunächst ohne Filter-Prozess präsentieren. „Die selbstproduzierten Videos der Teilnehmer zeigen, dass der Kampf um Aufmerksamkeit Alltag geworden ist.“

In diesem „Survival of the Fittest“ taugen Jan Winter und Gianna Chanel als Favoriten. Sie betreiben den Youtube-Kanal „61 Minuten Sex“, eine Mischung aus Fischer-Baukasten, Sexualpolitik und psychologischem Rüstzeug fürs große Thema. Gewinnt das Duo, will es die Million in den Ausbau des Kanals stecken. Das ist gut für den Sex in Deutschland und damit gut für die Demokratie. Also.

„Millionärswahl“, Pro 7, 20 Uhr 15

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