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Der „News of the World“-Skandal erschüttert die Regierung von Briten-Premier David Cameron. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit wachsender Kritik zu kämpfen.

© dpa

Probleme mit der Glaubwürdigkeit: Vertrauen ist gut, Kritik ist besser

Ob in Großbritannien oder in Deutschland: Wie die Medien der Politik helfen können, wieder glaubwürdig zu werden. Ein Plädoyer von Klaus Bresser, Ex-Chefredakteur des ZDF.

Medien und Politik haben eines gemeinsam: Sie sind auf das Vertrauen des Publikums angewiesen. In Großbritannien geht dieses Vertrauen derzeit vor die Hunde. Der „News of the World“-Skandal erschüttert nicht nur das Imperium des Rupert Murdoch. Er beschädigt auch die britische Regierung. Zu eng waren die Beziehungen der Politik zu dem mächtigen Medienmogul. Das kostet jetzt Glaubwürdigkeit, setzt Premierminister David Cameron unter Druck. Weltweit wirft der Fall die Frage auf, was die Medien in einer Demokratie dürfen und was nicht mehr hinnehmbar ist.

Kann Vergleichbares auch in Deutschland geschehen? Dass Zeitungen zu Spionage-Agenturen gemacht, hochrangige Polizeibeamte bestochen und Tausende Handys und Mailboxen abgehört werden – darunter die einer 13-Jährigen, während sie ermordet wurde? Dass eine Regierung die immer schon zweifelhaften journalistischen Praktiken eines Zeitungskonzerns toleriert, aus purer Angst vor seiner Medienmacht? Dass ein Regierungschef sich von einem PR-Mann beraten lässt, der als Journalist selbst für das schlimmste Revolverblatt der Murdoch-Presse nicht mehr tragbar war?

Verglichen mit den britischen Boulevard-Zeitungen wirken, so ist zu Recht gesagt worden, „Bild“, „BZ“, „Express“ und „Abendzeitung“ wie Bistumsblätter. Die englische Klatschpresse ist von jeher rüder und rücksichtsloser als die deutsche. Es gibt in der Geschichte der bundesdeutschen Presse einzelne Tiefpunkte – die Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher gehört dazu. Die „Bunte“ hat eine Foto- und Presse-Agentur beauftragt, das Privatleben von Franz Müntefering, Oskar Lafontaine und Horst Seehofer zu dokumentieren. Von den unlauteren Methoden, die dabei angewandt wurden, will die Redaktion nicht gewusst haben.

Aber das ändert nichts daran, dass in Deutschland selbst die buntesten Blätter es nicht so bunt treiben wie die PeoplePresse in England. Die Abhängigkeit der Regierung von einzelnen Medienhäusern geht dort sehr weit, die Verfilzung von Politik und Presse ist offenkundig. In Großbritannien ist dem greisen Murdoch von der Politik geholfen worden, seine Geschäfte weit auszudehnen. In Deutschland ist ihm das so nicht möglich gewesen. Der Medien-Patriarch scheiterte auf dem freien Markt mit der „Super“-Zeitung, verkaufte seine Beteiligungen an Vox und TM 3, verlor ein paar hundert Millionen mit dem Pay-TV-Anbieter Premiere, den er in Sky umbenannte.

Journalisten nehmen sich auch bei uns zu wichtig

Dass Murdoch in Deutschland nicht richtig Fuß fassen konnte, ist gewiss kein Beleg dafür, auf dem deutschen Medienmarkt wäre nun alles in Ordnung. Auch hier haben Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen Glaubwürdigkeitsdefizite – aufgrund von oft ungenauer, manchmal übertriebener und gelegentlich falscher Berichterstattung. Es gibt keinen Grund, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Auch hier nehmen sich Journalisten zu wichtig, setzen selbstherrlich Themen und Trends, entscheiden über das Schicksal von Menschen, jubeln hoch, machen nieder, spielen Schicksal mit Schlagzeilen. Daran hat sich nicht viel geändert in den letzten Jahren. Neu ist in Deutschland etwas anderes. Es betrifft das Verhältnis von Medien und Politik. Wenn es um das Vertrauen des Publikums geht, muss sich nicht die Presse, sondern die Politik die größeren Sorgen machen.

Das heißt nicht, dass es in Deutschland zwischen den Medien und der Politik keine Probleme gäbe, und dass beide nicht jeweils ihre eigenen Schwächen hätten. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen haben Glaubwürdigkeitsdefizite – aufgrund von oft ungenauer, manchmal übertriebener und gelegentlich falscher Berichterstattung. Und doch: Wenn es um das Vertrauen des Publikums geht, muss sich neuerdings nicht die Presse, sondern die Politik die größeren Sorgen machen.

Nach Umfragen glauben 80 Prozent der Deutschen der Bundesregierung nicht, dass sie die jetzt diskutierten Steuersenkungen auch durchsetzen wird. Als die schwarz-gelbe Koalition den Atomausstieg beschloss, saß das Misstrauen noch tiefer. Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten führte den Kurswechsel nicht auf höhere Einsicht, sondern auf die Sorge vor weiteren Wahlniederlagen zurück. Wenn es sich ums Geld dreht, traut eine große Mehrheit den Regierungen in Europa nicht mehr zu, die Euro-Krise bewältigen zu können. Die Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem wie kaum je zuvor. Die sinkende Wahlbeteiligung ist dafür das eindeutige Indiz. Eine zunehmende Anzahl von Bürgern vertraut den Parteien nicht mehr, will deshalb auch nichts mehr von ihnen wissen.

Welche Rolle spielen die Medien in einer solchen Situation? Können sie etwas tun gegen die wachsende Skepsis in der Bevölkerung? Wir brauchen gewiss keinen Journalismus, der den Politikern mit Zuspruch oder gar Propaganda zu Hilfe eilt. Das würde die eigene Glaubwürdigkeit zunichtemachen.

Wir brauchen ganz im Gegenteil einen Journalismus, der Abstand hält zu den Mächtigen, jene professionelle Distanz wahrt, die Kritik erst möglich macht. Auf kritischen Journalismus kommt es an, auf einen Journalismus, der Fragen stellt, Zweifel äußert und Widerspruch wagt. Damit sich nicht weiter ausbreitet, was die Folge von mangelnder Information und Diskussion, fehlender Kritik und Kontroverse ist: Desinteresse, Vertrauensverlust, Abkehr von der Politik.

Das Publikum will weiterhin umfassend und zuverlässig informiert werden

Schafft der Journalismus das? Journalisten haben das Richtige vom Falschen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie sind nicht verpflichtet, den Leuten das zu geben, was ihnen schmeckt. Sie haben zu berichten, was wesentlich, nützlich, im Wortsinn lebenswichtig ist. Sie haben Auskunft darüber zu geben, was passiert in Politik, Kultur, Sport und gerade auch in der Wirtschaft, was also mit den Preisen, den Steuern, den Renten geschieht. Journalismus muss nicht jeder Sensation hinterherhecheln, nicht den Schwachsinn, Schwall und Schrott verbreiten, an den wir uns im Fernsehen und in der Boulevard-Presse zu gewöhnen scheinen.

Die Jagd nach Auflagen und Quoten hat zu einer großen Anzahl von flachen, ja geradezu dämlichen Medienangeboten geführt. Die Gefahr wächst, dass die zunehmende Banalisierung der Massenmedien Wirkungen zeitigt und große Teile des Publikums heruntermanipuliert zu einer stumpfen und dumpfen, an den öffentlichen Dingen uninteressierten Menge.

Können die Medien diese Entwicklung bremsen, womöglich aufhalten? Die rasante Ausbreitung des Internets hat die Zeitungsauflagen und Anzeigenerlöse vieler lokaler und regionaler Blätter und auch die Werbeeinnahmen mancher Sender schrumpfen lassen. Verleger und Senderchefs sparen. Weniger Geld bedeutet aber weniger Zeit für die Recherche, weniger Sorgfalt und Gründlichkeit. Dabei sollte im immer hektischeren Medienbetrieb Entschleunigung das Ziel sein. Genauigkeit muss vor Schnelligkeit gehen. Qualität braucht Zeit. Es muss Medien geben, die sich auf die existenziellen Fragen dieser Welt konzentrieren: Wie leben wir in einer globalen Gesellschaft? Wie reagieren wir auf Hunger und Elend, Unfreiheit und Unterdrückung in Teilen der Erde? Wie sichern wir die überall bedrohten natürlichen Lebensgrundlagen? Wer garantiert uns Wachstum und Wohlstand, wenn die Alten immer mehr werden und die Jungen, die für sie aufkommen müssen, immer weniger?

Für solche Themen wird es ein Publikum geben. Ein Publikum, das interessiert bleibt an der Wahrheit. Ein Publikum, dem wichtig ist, was für alle wichtig ist. Das umfassend und zuverlässig informiert werden möchte. Das die einfachsten Regeln des Anstands, der Achtung von Privatheit und Menschenwürde gewahrt wissen will.

Der Abhörskandal in England zeigt, dass sich auch eine tolerante Gesellschaft nicht jede Unverschämtheit gefallen lässt. Ein Pressekonzern bekommt die Quittung für seine menschenverachtenden, kriminellen Methoden. Eine Regierung spürt die Verachtung, sich mit Ganoven eingelassen zu haben. Die Glaubwürdigkeitslücke der Politik muss die Politik am Ende selber schließen. Journalisten können dabei helfen, dass das Vertrauen in Politik und Politiker nicht weiter Schaden nimmt. Indem sie nicht verklären, sondern aufklären, die alltäglichen Versuche der Vernebelung und Irreführung aufdecken, Fehlentwicklungen und Missstände benennen. Unvoreingenommen, sachlich und kritisch zu berichten – dazu sind Journalisten da. Nicht zum Spionieren, Abhören, Bestechen und Betrügen.

Klaus Bresser war von 1988 bis 2000 Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens in Mainz. Der gebürtige Berliner feiert am Freitag seinen 75. Geburtstag.

Klaus Bresser

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