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Medien: „Protestschrei der Generation Schule“

Jahrelang sank die Auflage von „Bravo“. Zum 50. Geburtstag will Tom Junkersdorf sie zum Leben erwecken

Sehen Sie sich imstande, alle Ihre Vorgänger seit 1998 aufzuzählen?

Natürlich, so viele sind es nun auch nicht.

Sie sind der Fünfte. Wie hoch ist die Halbwertzeit eines „Bravo“-Chefredakteurs?

Der Markt entwickelt sich so schnell, dass sich jeder Chefredakteur einmal im Jahr fragen muss – ja, auch die Frage stellen lassen muss, ob er mit seinem Konzept richtig liegt. Die Antwort liefert der Kiosk. Liege ich richtig, verkaufe ich viele Blätter, liege ich falsch, verkaufe ich wenige.

Im Moment scheinen Sie richtig zu liegen.

Wir haben die Auflage im letzten Quartal um knapp 75 000 auf 530 000 Exemplare gesteigert. Jetzt marschieren wir auf die 600 000 zu, die Richtung stimmt also.

Was machen Sie richtig?

Ich bin seit fast 20 Jahren in diesem Job und glaube zu wissen, was Menschen berührt.

Es heißt, die Jugendlichen heute seien zu heterogen, um alle Zehn- bis 17-Jährigen mit einem einzigen Magazin erreichen zu können. Sie hören unterschiedliche Musik, haben verschiedene Erwartungen ans Leben, folgen unterschiedlichen Stars und Moden. Was eint die Jugendlichen von heute?

Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit, die Sehnsucht, ernst genommen zu werden, die Sehnsucht, am Leben teilnehmen zu können, Spaß, Erfolg und Freiräume zu haben. Sie wollen es nicht mehr hinnehmen, dass zum Beispiel im TV-Duell zwischen Schröder und Merkel kein einziges Mal über Jugendliche geredet wurde und ihre Lebenswirklichkeit in der Erwachsenenwelt keine Rolle spielt. „Bravo“ versteht sich als Anwalt der Generation Schule, und wenn es sein muss sogar als Protestschrei der Generation Schule.

Das hört sich ja richtig politisch an.

Es ist politisch.

In „Bravo“ finde ich nichts von all dem.

Wir fangen ja auch erst an.

„Bravo“ entwickelt sich also weg von der …

… nein. „Bravo“ konzentriert sich weiterhin auf Stars und Aufklärung, auf Stars und Doktor Sommer: Das sind die beiden Säulen, die die ganze Statik tragen. Dazwischen können wir schrauben und justieren. Dabei müssen wir zusehen, dass wir den elfjährigen Jungen aus Paderborn genauso ansprechen wie die 17-jährige Berlinerin. Diesen Spagat muss jedes Massenblatt beherrschen.

Was haben Sie seit Ihrem Amtsantritt am 1. August unternommen?

Tausend Kleinigkeiten. Wir haben die Schlagzeilen prägnanter gemacht, die Geschichten sind exklusiver und relevanter, die Optik opulenter. Wir machen große Storys groß und kleine Storys klein. Ich habe der Redaktion gesagt: Vergesst das Fernsehen, vergesst, was im Internet steht. Fragt euch: Was wollt Ihr wissen? Welche Geschichte würdet Ihr gern erzählen? Wir müssen an unsere Themen glauben! Wir haben „Bravo“ aus dem Korsett befreit, dass die Geschichten im Heft nur zwei Seiten haben dürfen, weil Jugendliche angeblich nicht mehr lesen. Das sehe ich anders: Wenn Geschichten spannend sind, die Stars etwas zu erzählen haben und wir die besten und persönlichsten Neuigkeiten aus ihnen herauskitzeln, laufen die Jugendlichen zum Kiosk. Eine „Bravo“-Titelgeschichte kann heute auch sechs Seiten lang sein. Das Beispiel Harry Potter hat es vorgemacht – Jugendliche lesen durchaus. Allgemein haben wir das Heft heller, freundlicher und positiver gemacht. Wer „Bravo“ kauft, soll sich auch bravo fühlen.

Sparen Jugendliche beim Kauf von Zeitschriften?

Unsere härtesten Konkurrenten sind das Internet und das Handy. Durch teure SMS und Downloads fehlt oft das Geld, sich jede Woche für 1,30 Euro eine „Bravo“ leisten zu können. „Bravo“ muss sich sehr viel mehr als andere Zeitschriften dem Kampf am Kiosk stellen. Deshalb legen wir so viel Wert auf die Schlagzeilen, exklusive Fotoshootings und emotionale Interviews.

Ihre Vorgänger begründeten Auflagenverluste damit, dass es zu wenige Stars gebe.

„Bravo“ leidet nicht unter Stararmut. Es gibt genug Stars, man muss sie nur erkennen, zulassen, und man muss Stars machen.

Tokio Hotel ist derzeit die angesagte Teenie-Band. „Bravo“ nimmt für sich in Anspruch, sie entdeckt zu haben. Wie macht man das?

Indem man an sie glaubt. Jede Woche kommen Bands zu „Bravo“, präsentieren sich und singen vor. Bei Tokio Hotel waren wir sofort von ihrer ehrlichen, handgemachten Musik und von ihrem Style begeistert und haben ihnen mit „Bravo“ eine Bühne gegeben. Erst eine Seite, die Woche drauf eine Doppelseite. Wir schickten Tokio Hotel ins Fotostudio und inszenierten sie, als seien sie schon große Stars. Im August waren sie erstmals auf dem Titel, da wusste in Deutschland noch niemand, wer das ist. Und es hat funktioniert. Wir haben für jeden der vier Band-Mitglieder eine Freundin gesucht, es kamen 56 000 Liebesbriefe, zum Teil seitenlang, mit Küssen und Teddybärchen drauf. Von wegen Jugendliche simsen nur noch!

Wenn man Ihre Editorials liest, könnte man vermuten, Sie werden danach bezahlt, wie oft Sie es schaffen, das Wort „Bravo“ unterzubringen. Nervt das nicht eher, als dass Sie damit die Marke in die Köpfe der Leser einhämmern?

Wir haben in den letzten vier Monaten ein so hohes Auflagenplus erzielt, dass ich nicht den Eindruck habe, dass sich irgendwer genervt fühlt. Im Gegenteil. Die Leser fühlen sich angesprochen. „Fühl dich bravo“ – das ist ein Claim, den ich extrem wichtig finde. Er demonstriert: Komm her, hab Spaß, schalte ab – und auch wenn es zu Hause mal nicht läuft und du Probleme hast: „Bravo“ ist immer für dich da!

Wie jung ist die Redaktion?

Wir haben 50 Mitarbeiter, der Altersdurchschnitt ist etwa 34.

Sie suchen jetzt junge Mitarbeiter, weshalb Sie das „Talenthouse“ gegründet haben.

Die Idee entsprang unserem Wunsch nach ungefilterter Kreativität. Die Schülerzeitungen, in denen wir jetzt per Anzeige nach jungen Talenten suchen, um sie auszubilden, sind so unverbraucht und frech – davon wollen wir profitieren. Die Macher dieser Zeitungen stecken in der Lebenswirklichkeit unserer Leser. Sie schreiben zum Beispiel, wie das ist, wenn man als Schüler Dutzende von Bewerbungen verschickt und trotzdem keinen Ausbildungsplatz bekommt. Das ist gefühlte Wirklichkeit.

„Bravo“ wurde 1956 von Peter Boenisch gegründet. Seither prägte sie Generationen von Jugendlichen, die sich von Dr. Sommer aufklären ließen und mit Star- schni tten ihre Zimmer tapezierten. Nach Jahren sinkender Auflagen scheint die Wende zu gelingen. Seit August steht der frühere „Bild“-Unterhaltungschef Tom Junkersdorf an der Spitze des Bauer-Titels. Sein Rezept: Exklusives wie Hochzeitsfotos von Christina Aguilera, Originelles wie der Papst als Poster und eigene Stars wie Tokio Hotel.

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