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Medien: „Psycho“ in der Provinz

Mord im Dorf: Der neue „Tatort“ mit Maria Furtwängler lässt die Idylle platzen

Als das Kind aus dem Wasser gefischt ist, sagt die Kommissarin zur Dorfpolizistin: „Ich kann ihre Idylle nicht retten, Katharina.“ Und Katharina mit der fülligen Ponyfrisur, die mehr Seelsorgerin als weiblicher Sheriff ist, schaut mit treuen Kuhaugen ihre Kollegin an.

Doch, es kann sein, dass dein Nachbar – der Jäger mit dem ordentlichen Garten und der schüchternen Frau – der Mörder ist. Wirklich. Auch wenn du ihn seit deiner Kindheit kennst. Etwa so rückt Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) immer wieder das naive Weltbild von Dorfpolizistin Katharina Lichtblau (Johanna Gastdorf) zurecht. Gemeinsam suchen sie im „Tatort: Pauline“ den Mörder eines zwölfjährigen Mädchens. Paulines Leiche wird am Morgen nach einem Dorffest an einem Bachlauf gefunden. Das Gesicht liegt im Wasser, der tote Körper auf einer Sandbank. Zwölf Jahre ist sie alt, und die Obduktion befindet: Dieses Mädchen ist keine Jungfrau mehr – und hat eine seltsame münzgroße Wunde an der Schläfe.

Dieser „Tatort“, der neunte mit Maria Furtwängler, spielt in einem norddeutschem Dorf bei Jesteburg. Stets nasser Asphalt, kahle Äste und ein grauer Himmel, der die kleine Welt wie Watte abschließt, so sieht es hier aus. Fast parodistisch sind die Menschen gezeichnet: Die Drei-Generationen-Familie Paulines, die unter der altdeutschen Schwere ihres holzvertäfelten Bauernhauses auseinanderbröckelt. Oder der Jäger, der stockend-stolz erzählt: „Wie gesagt, ich hatte einen drin, wie man hier so sagt.“ Dazu gibt es noch die ach so freudige Familie aus Dorfpolizistin, Pfarrer und deren behinderter Tochter. Sogar die Teekannen sind in ihrer Welt gemütlich bauchig. Nur, dass der gute Ehemann der attraktiven Kommissarin Avancen macht. Die kontert: „Glauben Sie nicht, dass Sie mich unter ihrem pastoralen Deckmäntelchen anmachen können. Ehemänner wie Sie finde ich zum Kotzen.“

Wer Dorfstrukturen kennt, findet sie hier konzentriert wieder. Aufgedeckt und grandios auf den Punkt gebracht ist das Beziehungsgeflecht inklusive der tolerierten Lügen. Verdächtig ist zunächst der Freund der großen Schwester Paulines, doch bald sind es alle Männer im Umkreis – Opa, Patenonkel, Nachbar und Nachbarsjunge. Auf der Suche nach der Lösung, die viel naheliegender ist als gedacht, baut Regisseur Niki Stein immer wieder köstliche Nebenszenen ein, wie Karten spielende Damen, die in nur drei Sätzen Komik in den Krimi holen. Oder er zeigt makaberen Humor: „Lasst euren Nächsten nicht ins Bodenlose fallen“, sagt etwa der Pfarrer in einer Predigt. Schnitt. Nächste Bildeinstellung: die baumelnden Füße des frisch erhängten Opas. Ein anderer, fast unverschämter Gag: Die Anfangsszenen zitieren die Duschsequenz aus Hitchcocks „Psycho“. Und zwar fast identisch, mit den Wasser-Verwirbelungen am Abfluss, der Brausekopf-Naheinstellung. Das ist so dreist unverfremdet, dass es schon wieder gut ist. Allerdings wird an anderer Stelle ebenso mutig zusammengeschustert: Weshalb muss der Mitbewohner der Kommissarin die Mutter des Opfers (Corinna Harfouch) in einer anderen Stadt beim Schwimmen treffen? Er als Reha-Sportler, sie als idyll-flüchtige Putzfrau? Das holpert mächtig und wirkt nicht sorgfältig gearbeitet.

„Pauline“ erzählt vom zähflüssigen Leben im Dorf, in nasskalter Landschaft und ebenso kühlen Bildern. Der Film hat einen herrlich trockenen Humor und eine große Präzision im Dialog (Drehbuch: Martina Mouchot). Der einzig störende Nachgeschmack ist, dass nicht alle Details zum Mordopfer Pauline aufgeklärt werden. Wie genau etwa ihre Beziehung zu den drei schlussendlich Verdächtigen war, erfährt man nicht. Das mag postmodern gemeint sein – aber wer schaut schon einen Krimi, um danach weiter in Unsicherheit zu schweben?

„Tatort: Pauline“, ARD, 20 Uhr 15

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