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Medien: „Pulp Fiction“ fürs Wohnzimmer

Cologne Conference: Harald Martenstein über die besten TV-Produktionen des Jahres

Kinofilm? Fernsehfilm? Vor zehn, fünfzehn Jahren konnte man das in den meisten Fällen nach einer Weile erkennen. Es war nicht nur eine Geldfrage (Fernsehfilme sind in der Regel billiger). Es hing auch mit dem geringen Kunstwillen der meisten Sender zusammen. Geheimnislose Bilder. Klare Geschichten, Unterhaltungshandwerk. Das war die Regel. Natürlich: Es gab auch Sachen wie „Twin Peaks“ von David Lynch. Das waren die Ausnahmen.

Seit etlichen Jahren aber nähert sich das so genannte Qualitätsfernsehen dem Kino international an – im künstlerischen Anspruch, in der Vielfalt der Stile, im Mut bei der Themenwahl. In Deutschland ist man beim Prozess der Entbiederung noch nicht ganz so weit wie anderswo, zum Beispiel in den Niederlanden.

Die Miniserie „Mevrouw de Minister“, drei Teile, beschreibt die Politik von innen. Hauptfigur ist eine etwa 40-jährige Sozialdemokratin, die zur Ministerin aufsteigt. Gesundheitswesen und Sozialpolitik sollen reformiert, das heißt, billiger werden. Die Parteirechte und der liberale Koalitionspartner setzen im Kabinett eine Idee durch: Sozialhilfeempfänger werden im Gesundheitswesen als Hilfsarbeiter eingesetzt, wer sich weigert, bekommt keinen Euro mehr. Die Ministerin ist gegen diese Idee, muss sie aber aus Koalitionsdisziplin öffentlich vertreten. Daran zerbricht sie nach und nach. Am Ende stehen eine Art politischer Amoklauf und das Ende der Koalition.

„Mevrouw de Minister“ ist in Schwarzweiß gedreht und sieht fast wie eine Dokumentation aus, oder so billig wie „The Blair Witch Project“ – das liegt zurzeit im Trend. Die Serie versucht, ohne Klischees den Alltag der Mächtigen zu zeigen. Die allmähliche Entfremdung vom Ehemann, der sich ums Kind kümmert und ihre Politik immer weniger versteht, ein schwieriges Privatleben, das ständige Abwägen zwischen den Idealen, die man einst hatte, und dem Pragmatismus, ohne den man gar nichts erreicht, Intrigen und Drohungen, Demütigungen, Ängste und Glücksmomente. Norbert ter Hall inszeniert die öffentliche Ministerin und die private Frau manchmal so unterschiedlich, dass man glaubt, zwei verschiedene Schauspielerinnen zu sehen (es ist aber immer Marieke Heebink). Wäre so eine Serie, die ganz nahe an die Politik herangeht, auch in Deutschland möglich?

Die besten internationalen Fernsehfilme werden alljährlich in Köln bei der Cologne Conference gezeigt, gegründet unter anderem von Lutz Hachmeister. Es hat sich herausgestellt, dass man dort bei der Auswahl eine sichere Hand hat. Aus Deutschland waren diesmal „Im Schatten der Macht“ dabei, der Zweiteiler über den Sturz des Kanzlers Willy Brandt, und „Familienkreise“ mit Götz George, beide noch ungesendet.

Einen starken Eindruck hinterließ die Serie „Boomtown“, in den USA seit 2002 produziert von NBC und DreamWorks, Regie: John Avnet. Der Titel „Boomtown“ meint das Los Angeles der Gegenwart, stilistisch verdankt die Serie dem Spielfilm „Pulp Fiction“ einiges. Ständig wechselnde Erzählperspektiven und Erzählweisen, Vor- und Rückblenden, Träume und Fantasien, die von der Realhandlung für den Zuschauer nicht zu unterscheiden sind – „Boomtown“ enthalte so viel Stil, sagte der Moderator des Festivals, dass die Serie fast ohne Plot auskomme. Das ist übertrieben. „Boomtown“ wirkt bei allem Manierismus hoch spannend, der Ehrgeiz ist spürbar, die amerikanische Gesellschaft zu beschreiben, eine Art „Fegefeuer der Eitelkeiten“ fürs Fernsehen zu machen.

Gutes Fernsehen? Großbritannien ist dabei fast immer vorn. Diesmal kommt die Büroserie „The Office“, die von ihrem Regisseur, Autor und Hauptdarsteller Ricky Gervais lebt. Er spielt einen mittleren Manager, der alles verinnerlicht hat, die Regeln der politischen Korrektheit, die Corporate-Identity seiner Firma, die Sprüche aus den Managerschulen, die Regeln der modernen Menschenführung. Er bleibt aber trotzdem ein Kotzbrocken. „The Office“ spielt mit dem Widerspruch zwischen der liberalen Fassade und den realen Machtverhältnissen in der Arbeitswelt und ist dabei verdammt komisch.

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