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RBB: Rentenanstalten mit Sendebetrieb

Radio Multikulti: Im Äther abgestellt, im Internet neu angerichtet. Das Radioprogramm wird abgeschafft, damit die Verwaltung weiter machen kann. Henryk M. Broder zum Abgang im RBB.

Schaltet man in diesen Tagen Radio Multikulti des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) ein, hört man vor allem Moderatoren, die sich gegenseitig interviewen: Wie es so war, bei diesem Sender zu arbeiten, warum sie es schade finden, dass es Radio Multikulti demnächst nicht geben wird und wo sie nach der Schließung der Multikulti-Welle landen werden. Man hört den Moderatoren die Wehmut und die Trauer über das Aus an. Sie verlieren nicht nur ihre Jobs, sie verabschieden sich auch von einer Idee, mit der sie sich identifizieren konnten – im Gegensatz zu den Allzweck-Profis, die morgens das Wetter, mittags die Politik und abends eine Charity-Gala moderieren können.

Radio Multikulti hat in 20 Sprachen gesendet (darunter Albanisch, Persisch, Polnisch, Vietnamesisch), es war ein Vergnügen, Moderatoren zu hören, die mit einem schwedischen, russischen oder spanischen Tonfall arabische Musik präsentierten. Radio Multikulti war die ganze Welt in einer Nussschale – ein tönender Globus, auf dem man im Bruchteil einer Sekunde von Alaska nach Patagonien reisen könnte.

Als die Welle vor 14 Jahren etabliert wurde, waren der SFB und der ORB noch nicht vereinigt, die Fusion der beiden Anstalten fand erst 2002 statt. Wie bei solchen Zusammenlegungen üblich, war das neue Produkt weniger als die Summe seiner Einzelteile. Es wurden Programme gestrichen und Mitarbeiter „sozialverträglich“ entlassen. Das war nötig, denn sowohl der SFB wie der ORB mussten aus dem Topf der ARD subventioniert werden. Aus zwei defizitären Häusern entstand eines.

Vor sechs Jahren stand Radio Multikulti nicht zur Disposition, es war eine Perle im Programm, eine Spezialitäten-Handlung unter dem Dach eines großen Warenhauses. Der RBB leistete sich die Multikulti-Welle, so wie sich fast jedes große Unternehmen eine Nische leistet, in der die Regeln von Angebot und Nachfrage nicht gelten. Denn ein Quoten-Hit war das Multikulti-Programm nie. Es hatte Charme, Intelligenz und Witz – aber kaum Hörer. Zuletzt waren es etwa 40 000 täglich, weniger als ein Prozent. Nach kommerziellen Gesichtspunkten hätte die Welle längst geschlossen werden müssen. Das Informations-Interesse der Migranten wie der Eingeborenen an bosnischer Folklore oder der Situation illegaler Einwanderer in Deutschland war nicht so ausgeprägt, wie man vermuten konnte.

Aber kommerzielle Überlegungen können nicht entscheidend sein. Schließlich leben die Öffentlich-Rechtlichen von Zwangsgebühren, die auf die einzelnen Anstalten verteilt werden. Als die RBB-Intendantin im Mai 2008 die Schließung von Radio Multikulti ankündigte, klang das wie ein Hilferuf: Gebt uns mehr Geld oder…Wenn es tatsächlich so gemeint war, dann hat sich die Chefin verrechnet. Auf einen Nischensender mehr oder weniger kommt es nicht an, egal ob er sich an Migranten oder an Modelleisenbahner richtet.

Denn der RBB rechnet trotz aller Sparmaßnahmen für die kommenden vier Jahre mit einem Finanzierungsloch von über 50 Millionen Euro. Radio Multikulti hat etwa drei Millionen jährlich gekostet. Das macht eine Ersparnis von rund zwölf Millionen aus. Aber so einfach ist die Rechnung nicht. Die meisten Mitarbeiter von Multikulti sollen im Haus weiter beschäftigt werden. Gespart wird, wenn überhaupt, an den Lizenzen für die gespielten Musiken und an den Kosten für die Berichte der Korrespondenten, soweit diese nicht ohnehin ARD-Mitarbeiter sind. Erst wenn in vier Jahren Kassensturz gemacht und ein neuer Finanzbedarf errechnet wird, wird man wissen, wie viel tatsächlich durch den Fortfall von Radio Multikulti eingespart wurde.

Was jetzt schon klar ist: Bei der ARD geht es zu wie bei einer Familie, die angesichts fixer Miet- und Energiekosten eines Tages beschließt, den Wellensittich abzuschaffen, weil das Vogelfutter zu viel kostet. Alle ARD-Häuser sind Rentenanstalten mit angeschlossenem Sendebetrieb. Die Ausgaben für die Altersversorgung der Mitarbeiter können nicht gekürzt werden, also wird am Programm gespart, der einzigen Variablen im Budget. Wie so etwas endet, ist absehbar: Wie in der Geschichte vom Bauern, der seinem Esel immer weniger Futter gibt. Kurz bevor er dem Tier das Essen ganz abgewöhnt hat, stirbt der Esel. Und der Bauer wundert sich. „Beinah wäre es gut gegangen.“

Die Einstellung von Radio Multikulti ist ein symbolisches Opfer. Und eine etatistische Maßnahme. Denn Geld ist genug da, es kann nur nicht von einem Topf in einen anderen umgeleitet werden. Der Unterhalt des stillgelegten Flughafens Tempelhof kostet eine Million Euro monatlich, also zwölf Millionen jährlich. Bald könnte auch die ARD so weit sein: Das Programm wird abgeschafft, damit die Verwaltung weiter machen kann.

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