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Medien: Reality-TV: Geistiges Tiermehl

Das echte Leben zieht nicht mehr. Weder mit, noch ohne Sex, nicht im Container und auch nicht auf der Insel.

Das echte Leben zieht nicht mehr. Weder mit, noch ohne Sex, nicht im Container und auch nicht auf der Insel. Die Quoten sinken, der Reality-Boom, den "Big Brother" ausgelöst hat, scheint beendet. Hat das Fernsehen seine Kinderkrankheiten überwunden? Wie sehen das die Medienaufseher, die für Sendelizenzen und Programmaufsicht zuständig sind, und die die Reality-Formate von Anfang an stark kritisiert haben? Norbert Schneider, der Vorsitzende der Düsseldorfer Landesanstalt für Rundfunk, die gegenwärtig die Geschäfte der Medienaufsicht führt, ist geteilter Meinung. "Dass die Formate an den Rand ihrer Möglichkeiten gelangen, kann zweierlei bedeuten: Das Publikum meint, die Sendung ist uns bei aller Sexualität zu kompliziert, oder - und das finde ich die schönere Annahme - es hat wirklich kein Interesse an diesen Dingen." Aber auch wenn Reality-TV nur eine Mode gewesen wäre, Schneider beruhigt das nicht, denn jede Mode, jeder Trend, schraubt sich in ein neues Programmprofil mit hinein: "Da gibt es dann einige Bedenken weniger, ein paar Grenzen werden poröser. Reality-TV ist nichts, was vorübergeht wie Windpocken."

So gesehen bei "Big Brother". Der Start der Serie im vergangenen Jahr löste noch einen Riesenwirbel bei den Kritikern aus. Trotz Verschärfung der Regeln und neuer Sendungen hält sich die Aufregung nun in Grenzen. Schneider erklärt das so: "Es sind keine neuen Gesichtspunkte zu erkennen, nur Zuspitzungen. Und es gibt keinen Fall, bei dem eine Verletzung der Menschenwürde fraglos zu erkennen sei, obwohl einiges sehr nahe heranreicht." Dennoch sei es ein gutes Zeichen, dass endlich wieder über die Grenzen des Fernsehens diskutiert worden ist.

Im vergangenen Jahr haben Gutachter Schneider bescheinigt, dass "Big Brother" nicht die Menschenwürde verletzt. Das hat ihn damals sehr frustriert. Dennoch glaubt er, dass rechtlich noch überhaupt nichts geklärt ist, denn es ist nie gegen RTL geklagt worden. Obwohl die Medienanstalt bei "Big Brother" kurz davor war, sagt Schneider. Das Problem: Hätte RTL 2 Recht bekommen, hätte das einen unglaublichen Auftrieb für solche Formate bedeutet. Auf der anderen Seite verdrießt Schneider, dass Dinge so lange für nicht geklärt gehalten werden, bis sie juristisch geklärt werden: "Die Übereignung der Mediendebatte an den juristischen Diskurs ist eine problematische Verengung. Die Kern-Fragen lauten immer noch: Erlaubt die Quotenmaximierung eigentlich alles? Darf die Kommerzialisierung des Fernsehens ein Maß annehmen, bei dem der ökonomische Gedanke jeden anderen Gedanken an die Wand drückt?"

In der neuen "Big Brother"-Staffel besteht die Regelverschärfung darin, dass auf verschiedenen Ebenen ein Mangel hergestellt wird. Schneider sagt, er könne nicht ausschließen, dass sich das Thema Menschenwürde auf diesem Wege noch einmal zurückmeldet.

Dass die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) versagt habe, will Schneider damit aber nicht sagen. "Die FSF ist eingerichtet worden zur Überprüfung fiktionaler Programme. Die FSF ist dann rasch und unvermittelt für die Talkshow-Debatte in Anspruch genommen worden und jetzt das neue Reality-TV: Da fehlen noch die Instrumentarien, um zu einer sicheren Einschätzung der Programme zu gelangen. Das geht uns, der Medienaufsicht, in gewisser Hinsicht auch so."

Fernsehen, bedauert Schneider, habe sich in den letzten Jahren von einem Fenster der Welt zu einem Schlüsselloch zurück entwickelt? Schneider mag Fernsehen, und was ihn immer fasziniert hat, ist, dass man auf sehr unangestrengte Weise über Dinge ins Bild gesetzt wird, die man womöglich sein Leben lang nie hätte zur Kenntnis nehmen können. Er sorgt sich nun aber, dass das Image des Leitmediums Fernsehen mit den Live-TV-Formaten Schaden nimmt. "Für mich ist Fernsehen ein Lebensmittel, und seine Wirkungen sind genauso mitzubedenken wie die Tiermehl-Produktion auf einem anderen Feld."

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