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Medien: Recherchieren auf eigene Gefahr

Fast alle Korrespondenten bleiben trotz explodierender Gewalt in Bagdad, trauen sich aber kaum noch vor die Tür

Von Susanne Fischer,

Bagdad

Es gibt Anrufe, die machen einen sehr nachdenklich. „Wir möchten Ihnen dringend empfehlen, das Land zu verlassen“, sagt der freundliche Herr von der Deutschen Botschaft in Bagdad. Die Sicherheitslage im Irak verschlechtere sich täglich, zunehmend müssten gerade ausländische Journalisten damit rechen, Opfer von Entführungen zu werden. Die Ausreise sollte nur auf dem Luftweg erfolgen, die Straßen außerhalb von Bagdad gelten nicht als sicher.

Es ist die zweite Ausreiseempfehlung der Botschaft binnen einer Woche. Und wieder steht die Frage im Raum: Gehen oder Bleiben? Noch harrt eine – kleine – Schar deutscher Journalisten in Bagdad aus, obwohl die Arbeit für sie und die anderen internationalen Medienvertreter mit jeder neuen Nachricht von einer Entführung schwieriger wird.

Entsprechend groß war die Freude, als die Nachricht von der Freilassung der drei japanischen Geiseln die Runde machte. Vor der japanischen Botschaft in Bagdad versammelten sich etwa 30 ausländische Journalisten, zum einen natürlich in der Hoffnung auf ein Foto von oder ein kurzes Interview mit den Freigelassenen. Aber auch aus Freude über die gute Nachricht: Denn jeder Hiergebliebene sucht ständig nach Bestätigung für seine Entscheidung zu bleiben, nach Hinweisen, dass die Lage doch noch nicht hoffnungslos ist.

Gefangen im Büro

Deutsche Geschäftsleute und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen gibt es nur noch wenige in Bagdad, viele Firmen haben ihre Mitarbeiter evakuiert und jenen, die noch da sind, Ausgehverbot erteilt.

Unter den verbliebenen Journalisten werden im Gespräch mit Kollegen immer wieder aufs Neue die eigenen Grenzen ausgelotet. „Was muss passieren, damit du nach Hause fährst?“, wollen sie voneinander wissen. Denn die Zeitungen und Fernsehsender, für die sie arbeiten, stellen den meisten frei, ob sie gehen oder bleiben wollen. Vor drei Wochen hieß die Antwort fast immer: „Wenn sie anfangen, Journalisten zu entführen, bin ich hier am nächsten Tag raus.“ Inzwischen sind mehrere Journalisten entführt worden, manche für Stunden, andere für Tage; die tschechischen Journalisten sind zum Glück wieder frei. Trotzdem gab es bislang keine Massenflucht der Medien aus dem Irak. Einige Kollegen berichten aus Amman im Nachbarland Jordanien, einzelne haben sich in den kurdischen Norden nach Sulimaniya zurückgezogen. Andere sind in Bagdad geblieben, gehen aber kaum noch aus dem Haus, sondern sammeln ihre Informationen mit Hilfe einheimischer Mitarbeiter.

Die meisten Geiseln gerieten bislang außerhalb von Bagdad in die Hand ihrer Entführer, oft im Westen auf der Straße nach Falludscha. Doch auch in der Hauptstadt selbst ist die wachsende Spannung, die Angst vor spontanen Aufständen oder Gewaltausbrüchen zu spüren. Zum Beispiel vor ein paar Tagen im „Palestine Hotel“, das zusammen mit den im selben Sicherheitsgürtel liegenden „Hotels Sheraton“ und „Fanar“ einen Großteil der ausländischen Journalisten beherbergt: Als US-Soldaten dort einen Vertrauten des radikalen Schiiten-Predigers Muqtada Sadr verhafteten, der zu einer Versammlung führender Scheichs gekommen war, brach fast Panik im Hotel aus. Das würden sich die Schiiten gewiss nicht gefallen lassen, fürchteten die Journalisten und rechneten jeden Augenblick mit dem Aufmarsch einer wütenden Menge vor dem Hotel. Zum Glück blieb alles ruhig, nach ein paar Stunden wurde der Festgenommene wieder freigelassen, und alle atmeten auf.

Was ist noch sicher? Ist diese Einladung, jener Recherchetipp eine Falle? Wem kann man trauen? Wem verrät man, wo man wohnt, wem besser nicht? Jeden Tag aufs Neue beschäftigen Sicherheitsfragen aller Art die Journalisten, und jeder löst sie auf seine Art. Viele westliche Journalistinnen gehen inzwischen nur noch mit Kopftuch aus dem Haus, einige werfen sogar die den ganzen Körper verhüllende schwarze Abaia über. Ein japanischer Journalist läuft in Dischdascha, dem traditionellen langen Männerkleid, und Koffiye, einem hier weit verbreiteten karierten Troddeltuch, durch Bagdad.

Viele falsche Franzosen

Besonders schwierig ist die Lage für Amerikaner: Weil kaum einer von ihnen noch wagt, seine wahre Herkunft anzugeben, ist die Zahl „irischer“ und „kanadischer“ Journalisten im Irak in den letzen Tagen sprunghaft gestiegen. Deutsche und französische Presseausweise stehen ebenfalls hoch im Kurs, da beide Länder keine Truppen in den Irak entsandt haben.

Je bedrohlicher die Lage wird, um so enger arbeiten die Kollegen zusammen. Dabei hilft das neue irakische Handynetz, zumindest innerhalb der Stadtgrenzen Bagdads, die ohnehin nur noch wenige westliche Journalisten verlassen. Jede neue Entführung, aber auch jede Freilassung verbreitet sich so blitzschnell unter den Journalisten. Per SMS oder Kurzanruf tauschen sie Nachrichten aus wie „Auf der Jadiria-Brücke wird geschossen, besser eine andere Strecke nehmen“ oder „Flughafenstraße gesperrt wegen Überfall auf Konvoi“.

Auch für die irakischen Mitarbeiter amerikanischer Medien wächst das Risiko: Einige haben Morddrohungen erhalten, ein Mitarbeiter des „Time“-Magazine wurde bereits im März auf dem Weg zur Arbeit von Unbekannten erschossen.

Noch ist die Ausreise einigermaßen unkompliziert mit dem Flugzeug möglich. Vom Bagdader Flughafen, der allerdings auch regelmäßig unter Beschuss gerät, starten täglich zwei Maschinen nach Amman. „Noch“, betont der freundliche Mann aus der Botschaft.

Susanne Fischer[Bagdad]

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