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Anne Will behauptet sich am Mittwochabend.

© NDR/Andreas Rehmann

Reden ist Gold: Talkshows: Gradmesser fürs Gemüt

Eine Replik auf die Kritiker: Warum die vielen Talkshows viel besser sind als ihr Ruf.

Talkshows haben selten eine gute Presse. Aus irgendwelchen Gründen glauben viele Fernsehkritiker, auf diesen Formaten pausenlos und folgenlos herumkloppen zu können. Seitdem es das Erste gewagt hat, an fünf Tagen hintereinander Talkshows zu präsentieren, wird allseits genörgelt: Das sei zu viel. Zumal ja auch im ZDF kräftig getalkt wird. Und dann gelangte durch Indiskretion ein ARD-Geheimpapier, das sich die Talkshows zur Brust genommen hatte, an die Öffentlichkeit. Da erfuhr man, was schon seit langem in der Zeitung stand. Diese Shows seien zu großen Teilen überflüssig, journalistisch nicht gut genug durchgeführt, immer dieselben Gäste, immer dieselben Themen. Kurz, man sollte es besser machen oder es besser lassen.

Die verbreitete Talkshow-Schmähung hat ihre Ursache in falschen Erwartungen. Ein gepflegter Debatten-Club, in dem die Beteiligten ausreden können und tiefgründige Gedankengebäude errichten, die sie sodann gegen argumentativ ebenfalls hochgerüstete Angreifer verteidigen, ist nicht gemeint, wenn auf der Programm-Liste „Talkshow“ steht. Solch einen Club hat das „Philosophische Quartett“ vorgestellt, ebenso das „Nachtstudio“ – beide wurden kürzlich geschlossen. Talkshows haben eine andere Aufgabe. Sie reflektieren und sezieren das Tagesgeschehen, die Gesprächskultur bewegt sich durchaus auf Stammtisch-Niveau: Wer am lautesten brüllt und am kräftigsten fuchtelt, dringt durch. Es gibt aber auch diskursive Strecken; die Stammtischbrüder und -schwestern sind zwischendurch bereit, sich dem sanften oder auch nachdrücklichen Regime des Moderators zu beugen, schon um unter Verweis auf die eigene Fügsamkeit den Standardsatz zu wiederholen: „Jetzt lassen Sie mich aber auch mal ausreden.“

Frank Plasberg geht gut auf Distanz.
Frank Plasberg geht gut auf Distanz.

© WDR/Herby Sachs

Eine Show, in der es hoch hergeht, hat meist bessere Quoten als ein disziplinierter Schlagabtausch. Letztlich ist es der Sinn der Talkshow, dass sie möglichst überraschend verläuft. Ihr Ende ist offen, wenn sich ordentlich Emotionen an die Argumente angelagert haben, gilt sie als gelungen. Insofern sind Talkshows ein gutes Beispiel dafür, dass sich in Stammtischrunden Argumente, also Resultate von Denktätigkeit, mit Leidenschaften, also Resultaten von Herztätigkeit, mischen. Was bei diesem Mix rauskommt, ist so etwas wie Zeitstimmung. Dafür sind Talkshows ein prima Gradmesser.

Für die Macher heißt das: Sie brauchen Talkmaster, die sowohl das I-Gen für Information = journalistisches Gespür, besitzen, als auch das U-Gen für Unterhaltung = Instinkt für den Spaß, den Streit machen kann. Die Gäste müssen ähnlich doppelt gestrickt sein: möglichst als Experten, die etwas Interessantes zu erzählen haben, zugleich aber jenes Minimum an Witz und Personality mitbringen, das es den Zuschauern erleichtert, dranzubleiben.

Im I-U-Doppelstrickmuster liegt die Malaise der Talkshow-Kritik beschlossen. Der Kritiker, der vorab entschlossen ist, dem Talkshow-Wesen eins reinzuwürgen, kann dann, wenn eine Show in Krawall ausartet, den Informationsgehalt bemängeln. Er kann, wenn in einer Show Tatsachen und Analysen auf den Tisch gekommen sind, den trockenen Charakter der Veranstaltung rügen. Etwas zu meckern gibt es immer. Genau damit sollte die Talkshow-Kritik aufhören. Sie sollte beschreiben, klären und meinetwegen auch kritisieren, was Talkshows wirklich leisten: Sie liefern Zeitstimmung auf allen Ebenen – Themen sowie Profil und Temperament des Talkmasters, Wissen und Format der Gäste, Diskussionsstile und Umgangsformen.

Sind die Einsprüche des ARD-Programmbeirats gänzlich gegenstandslos?

Günther Jauch ist im Ersten wieder bei der Unterhaltung gelandet.
Günther Jauch ist im Ersten wieder bei der Unterhaltung gelandet.

© picture alliance / dpa

Hier sehen und hören wir viel über die Gemütsbewegungen, denen sich Mehrheiten im Land durch Krisen, Ängste, soziale Verwerfungen oder Versagern auf Regierungsbänken ausgesetzt sehen. Talkshows spiegeln diese Stimmungen, was der Grund dafür ist, dass sie trotz ihrer TV-„Inflation“ so beliebt sind. Was das Publikum sehen will, ist die Art, wie Frank Plasberg seinen Kopf zur Seite dreht und so seinen Talkgast Nikolaus Blome aus einer dezent arroganten Perspektive zum Thema Griechenland befragt. Er bezieht womöglich aus dieser Geste und der Antwort des Gastes eine Bestätigung seiner eigenen Euro-Skepsis. Bei Sandra Maischberger interessiert zum Thema „Horoskope und Handlesen“ die leicht distanzierte Neugier, mit der die Moderatorin ihre Gäste vorstellt.

Anne Will, die strengste und zugleich toleranteste unter allen Talk-Gastgebern, schüttelt öfter den Kopf, wenn sie zum Thema Staatsschulden das Wort erteilt, ihr Lächeln arbeitet sich mit einer sehenswerten Zeitlupe durch ihre Züge, wenn sie auf die Ausführungen Günther Verheugens horcht. Als Lächelnde ist sie keineswegs immer einverstanden, sie zeigt damit eher innere Distanz. Wenn Reinhold Beckmann das „Leben am Limit“ moderiert und dabei sein Verständnis für die Macken der Menschen auf Extremsportler ausdehnt, fühlt sich das Publikum eine Spur herausgefordert. Schließlich Günther Jauch. Er wollte seinem I-Gen eine Chance geben und hat nun gelernt, dass sein U-Gen einfach stärker ist. Das Publikum lauscht ihm aus alter Verbundenheit, fragt sich aber zwischendurch, welcher seiner Gäste Millionär wird.

Sind denn nun die Einsprüche des ARD-Programmbeirats gänzlich gegenstandslos? Ja, sofern ein Mangel an Themenvielfalt, ein Ausblenden zum Beispiel von Außenpolitik oder Wirtschaft gerügt wurde. Vielfalt: Wohin soll man denn nach „Handlesen“, „Baumarkt“ und „Leben am Limit“ noch ausschweifen? Ausland/Wirtschaft: Kaum konnte der Talkshow-Gucker sich mal zu Hause fühlen, ständig wurde er nach Griechenland, Afghanistan, Syrien oder sonst wohin entführt. Und so viel Euro, Fiskalpakt oder Bankenwesen wie in Talkshows gab es sonst nirgends.

Sandra Maischberger setzt auf amüsierte Neugier.
Sandra Maischberger setzt auf amüsierte Neugier.

© WDR/Max Kohr

Die Kritik war auch insofern verfehlt, als das Papier thematische Neuigkeiten anmahnte. Stimmungsbarometer probieren keine Themen von morgen aus, sie bündeln das Vorgefundene und drehen es im Kaleidoskop des Pro, Contra und Dazwischen derart, dass der Zuschauer sich mit seiner eigenen Meinung, mit seinen eigenen Befürchtungen und Hoffnungen darin wiedererkennt. Sie wollen zwar informieren, und das tun sie auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten, aber nicht aufklären, das wäre zu viel verlangt oder besser: Das ist ein falscher Anspruch.

Eine abwechslungsreichere Gästeliste wäre allerdings von Vorteil. Hier muss man den Redaktionen sagen, dass nicht nur Gregor Gysi, Arnulf Baring und Hans-Ulrich Jörges unterhaltsam sind. Auch ein schüchterner Experte kann gut „funktionieren“ – es faszinieren nicht nur Schlagfertigkeit und Pointensicherheit, sondern manchmal erst recht ein verlegenes Grienen. Kritisiert wird an und durch Talkshows ja auch die Senderpolitik mit ihrer quotenfixierten Unbeweglichkeit. Diese Kritik ist nur zu berechtigt. Da stopft man die an ihrem übermäßig entwickelten U-Gen leidenden Showgrößen wie Gottschalk und Jauch in für sie völlig neue Formate, die ein weit stärkeres I-Gen erfordert hätten und wundert sich, wenn es schiefläuft. Talkshows sind eine feine Sache und typisch fürs Fernsehen, sie machen sein Grundrauschen aus, brauchen aber Moderatoren mit vor allem journalistischem Standing. Das Showmäßige kommt von selber dazu, wenn erst die Runde eröffnet ist.

Was die Gäste betrifft: Es ist das Sicherheitsbedürfnis der Redaktionen, das dazu führt, dass wir immer dieselben Nasen in den Studios zu sehen kriegen. Talkshows aber bringen Quoten, weil sie mit einem attraktiven Unsicherheitsgrad ausgestattet sind oder sein sollten. Man darf nicht vorher wissen, wie sie ausgehen, wer was sagt und wo die Kontroverse entlangläuft. Auch die Moderatoren werden besser, wenn sie sich selber mal wundern. Für Tiefsinn und für Problemlösungen gibt es andere Orte.

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