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Retro-TV: Mit der Kutsche zum Konzert

Ein Pianist im Selbstversuch. Martin Groh reist mit Hammerklavier und Kutsche über die Dörfer von Konzert zu Konzert. Wie vor 150 Jahren.

Er hat es ja so gewollt: Jetzt sitzt Markus Groh neben dem Kutscher, und der Regen peitscht ihm ins Gesicht. Ganz so wie den reisenden Virtuosen vor 150 Jahren. Unter ihm reist sein Flügel mit, mehr schlecht als recht in das historische Gefährt gezwängt. Der 40-jährige Pianist hat die Bremse gezogen, zumindest für zwei Wochen. Er will seine Auftritte mit dem Vierspänner erreichen. Das bedeutet bis zu zehn Stunden Fahrerei für 80 Kilometer. Wer sich ein bisschen auskennt im Musikbusiness, weiß, welchem Extremexperiment sich Groh da aussetzt. Erfolgreiche Künstler sind heutzutage das ganze Jahr unterwegs, quer durch die Zeitzonen. Auch Markus Groh lebt so ein Leben in globaler Mobilität, als Wohnsitz gibt er an: New York und Berlin. Es gehört darum zu den kunstvollen Kniffen in Ralf Plegers Dokumentarfilm, wenn er die Konzertreise des Pianisten über die brandenburgischen Dörfer mit Bildern von einem Amerika-Abstecher des Künstlers kontrastiert. Es fällt Markus Groh alles andere als leicht, sich einzustellen auf den ungewohnten Rhythmus des Retro-Reisens, auch das verschweigt der sensibel beobachtende Film nicht. Hier geben andere den Takt vor. Nämlich die Fuhrleute Christine und Jürgen Reimer, die Regisseur Ralf Pleger darum zu gleichberechtigten Protagonisten macht: Sie haben die Ruhe weg, auch wenn das Publikum schon in die Konzertscheune strömt.

Doch letztlich fällt kein Konzert aus, Markus Groh kann Chopin und Schumann spielen, historisch korrekt auf dem Nachbau eines Hammerklaviers von 1836. Der Auftritt in Stettin soll zum Höhepunkt werden – doch als die drei Reisenden ins Stadtgebiet einfahren, erscheint ihnen das urbane Treiben geradezu furchteinflößend. Früher war alles besser? Müsste man mal drüber nachdenken. Wenn Zeit ist. Frederik Hanssen

„Konzertreise mit 4 PS“, 23 Uhr 45, RBB

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