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© Repro: Tsp

Revolution am Kiosk: Rückkehr der Irdischen

Die „Brigitte“ verzichtet auf Profimodels – nicht nur, um ein Zeichen gegen Magerwahn zu setzen.

Die rotblonden Haare sind zur kunstvollen Frisur auftoupiert, die Augen dramatisch geschminkt, ein dünnes Seidenkleid umspielt den Körper des Models – eine nahezu perfekte Aufnahme. Doch das Model auf den Bildern ist kein Model. Sibylle Zschaber, 29, ist Lehrerin, unterrichtet Geschichte, Politik und Deutsch an einem Gymnasium in Hamburg. Für die „Brigitte“ ist sie vom Klassenraum ins Fotostudio gewechselt. Nicht etwa, um bei einer „Vorher-nachher“-Geschichte mehr aus ihrem Typ zu machen, sondern um Mode von Marken wie Michalsky und French Connection zu präsentieren. Ein paar Seiten später posiert Giuseppina Minopoli, 21, auch sie hat keine Sedcard und Agentur, sondern ist Rezeptionistin auf Capri. Und Franca Cuneo, 28, die Kleider im Mustermix zeigt, betreibt ein italienisches Restaurant in Hamburg-St. Pauli.

Alle drei sind ganz „normale“ Frauen – und gerade deshalb dürfen sie Teil einer Revolution sein. So nennt zumindest die „Brigitte“ den Weg, den sie mit ihrem an diesem Samstag erscheinenden Heft einschlagen will: Nicht nur auf Magermodels, sondern komplett auf Profimodels will die Frauenzeitschrift fortan verzichten und Mode im Heft stattdessen von „echten“ Frauen zeigen lassen.

Die Idee dazu hatte Chefredakteur Andreas Lebert beim Mittagessen. Beim Gedanken an dürre Models verging ihm scheinbar der Appetit – und die Lust darauf, den Magerwahn mit dem eigenen Blatt weiter zu unterstützen.

Zwar sind Schlagzeilen von Models, die sich zu Tode hungern, selten. Aber der Blick auf die Catwalks in Paris und Mailand zeigt, dass kaum mehr als Haut und Knochen gefragt ist. „In der Modebranche wird das Schönheitsbild zunehmend zum Krankheitsbild“, sagt Lebert.

Aber der Kampf gegen den Magerwahn ist nicht der einzige Grund für die Initiative: Die ersten 50 Seiten der „Brigitte“ sind mit Mode und Beauty gefüllt – es sind die Seiten, die mit dem größten Aufwand produziert werden. „Ausgerechnet hier haben wir bisher Frauen gezeigt, die keinen Namen und keine Identität hatten, sondern wesenlose Modelle. Das erschien uns nicht mehr zeitgemäß“, sagt Lebert. Trends würden heute nicht mehr nur auf dem Laufsteg gesetzt, sondern vor allem auf der Straße – und genau hier sollen die neuen „Brigitte“-Models deshalb künftig gecastet werden. Auf brigitte.de können sich Leserinnen zudem selbst bewerben. 20 000 Frauen haben bereits mitgemacht, sagt Lebert. „Brigitte“ als Alternative zu „Germany’s Next Topmodel“? „Es geht nicht darum, dass normale Frauen jetzt plötzlich Model werden sollen“, sagt Lebert. „Sondern sie sollen kurz aus ihrem normalen Leben heraustreten und für uns als Persönlichkeiten Mode präsentieren.“

Die Idee, Laienmodels zu fotografieren, ist nicht neu. Immer wieder zeigen Magazine Mode an normalen Frauen, darunter sind auch ältere oder dickere Damen. Bei der „Brigitte“ soll die Ausnahme jetzt aber zur Regel werden: die Models haben künftig nicht nur Gesicht und Körper, sondern Namen, Alter und Beruf. Individualität statt Austauschbarkeit. Doch entzaubert so viel Echtheit nicht die Mode? Soll sie nicht Sehnsüchte wecken und muss deshalb von Menschen getragen werden, die diese Träume verkörpern? „Ja“, schreibt auch die „Brigitte“ im eigenen Dossier – aber solche Träume könnten nicht von 14-Jährigen ohne Po und ohne Busen in Kindergröße 32 verkörpert werden. Zumal, wenn sie später am Computer fülliger retuschiert werden müssten, damit Leserinnen wüssten, wie die Kleidung an einer Frau aussieht.

Allerdings: Niemand wird „Brigitte“ bisher gezwungen haben, nur dünne Models zu buchen. Für jeden Typ, von dünn bis dick, gibt es Profis, deren Job es ist, Mode für normale Menschen perfekt zu präsentieren. Die „Brigitte“ sperre jetzt einen ganzen Berufszweig aus, sagt Designer Michael Michalsky, der den Verzicht in dem Magazin kritisiert.

Patricia Riekel, „Bunte“-Chefredakteurin und Herausgeberin der Burda Style Group mit Zeitschriften wie „Elle“ und „InStyle“ lobt den Schritt. Viele Modeschöpfer hätten verlernt, sich mit den realen Figuren der Frauen auseinanderzusetzen. Size-Zero-Models würden von den Designern geschätzt, weil Kleider an dünnen Frauen immer perfekt sitzen würden. „Deshalb finde ich es gut, wenn die ,Brigitte‘ den Magerwahn nicht weiter unterstützen will“, sagt Riekel. Ein Gesetz werde die „Brigitte“ allerdings nicht ändern können: „Das Schönheit etwas mit Schlanksein zu tun hat“.

Zum Extrablatt für Moppelchen will die „Brigitte“ auch gar nicht werden. Bei den Laienmodels ist zwar hier ein Bauch runder, dort eine Wade kräftiger, aber dick ist keine der Frauen. Auch künftig werden die Models eher schlank sein, aber die Vielfalt wird größer: Mehr Frauen mit Größe 38 oder 40, ab und an auch fülligere Models. Make-up und Photoshop kommen aber weiter zum Einsatz. Und ganz verbannen wird „Brigitte“ Profimodels aus dem Heft ohnehin nicht können. Die meisten Anzeigenkunden bevorzugen weiterhin Profis. So wie auch Magazine wie „Elle“ und „Vogue“ – schon aus praktischen Gründen. Viele Designer liefern ihre Musterkollektionen nur in Größe 34. Darin sieht die „Brigitte“ kein Problem. Wenn eine der Frauen nicht ins Kleid passe, dann trage sie es fürs Shooting eben in der Hand, sagt Chefredakteur Lebert. Zudem hätten einige Marken zugesagt, größere Muster anzufertigen .

Doch auch die Bedingungen am Set ändern sich. Profimodels können auf Knopfdruck Gesten und Emotionen abrufen, Laien dürften ein Weilchen brauchen, bis sie ein Gesicht machen wie die Diva vom Dienst. Weil Fotografen und Stylisten mit ihnen mehr Zeit brauchen, rechnet die „Brigitte“ mit höheren Kosten. „Nach einiger Zeit wird sich das einspielen und die Kosten werden wieder im gleichen Rahmen sein wie zuvor“, sagt Lebert. Das Honorar für die Laien soll so hoch sein wie für Profis, etwa 300 bis 400 Euro pro Tag. Abzüge für Sommersprossen, Tattoos oder Falten gibt’s nicht – getreu dem Motto: Du darfst so bleiben wie du bist.

Tatsächlich? Gleich in den ersten Ausgabe ohne Models wirbt die „Brigitte“ mit einem neuen Diät-Special. Lebert sieht darin keinen Widerspruch: „Warum soll ein Mensch, der sich zu dick fühlt, nicht abnehmen wollen.“ Die „Brigitte“ selbst will dagegen zulegen – an Auflage. Um knapp acht Prozent auf etwa 691 000 Exemplare war ihre verkaufte Auflage im dritten Quartal 2009 im Vergleich zum Vorjahresquartal gesunken. Auf Models zu verzichten, dient daher wohl nicht allein dem Kampf gegen den Magerwahn, sondern ist für „Brigitte“ auch ein Weg, um am Kiosk mehr aufzufallen. Das dürfte gelingen.

Doch die Modebranche mit ihrer Vorliebe für dünne Models wird die „Brigitte“ kaum revolutionieren – allein schon deshalb, weil sie kein relevantes Modemagazin ist wie die „Vogue“, sondern ein Magazin für Frauen. Eines wird die „Brigitte“ ohne Profis aber zeigen: Dass Schönheit nicht nur eine Größe hat.

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