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Medien: Sag’s zu Jay oder Jon

Immer mehr US-Politiker gehen in Comedys und Late Night Shows: Dort informieren sich die jungen Wähler

Von Johanna Rüdiger,

Washington

Das Verlesen der so genannten „Top Ten“-Liste ist inzwischen ein Sketch mit Kultstatus in der Sendung des Late Night-Talkers David Letterman. Mit der Liste macht sich „Dave“, wie ihn seine Zuschauer liebevoll nennen, über die neuesten Eskapaden von Stars wie Britney Spears lustig oder kommentiert das wichtigste Ereignis des Tages. Dabei nimmt der Komiker auch Politiker aufs Korn. „Die Top Ten Beschwerden von George W. Bush über England“, titelte er beispielsweise rechtzeitig zum Bush-Besuch in Großbritannien. Beschwerde Nummer eins war für den Präsidenten laut Letterman das linksseitige Autofahren, „weil es mich an meine Zeit als Trinker erinnert“. Doch wer wenige Tage nach den Vorwahlen der Demokraten in Iowa die „Late Show“ einschaltete, konnte nicht Letterman, sondern Präsidentschaftskandidat und Iowa-Verlierer Howard Dean bewundern, wie er die „Top Ten“ präsentierte – unter der Fragestellung: „Zehn Wege, wie ich, Howard Dean, die Situation noch retten kann.“ Darunter Aussagen wie „den Mitarbeiter feuern, der vorgeschlagen hat, anstelle von echtem Wahlkampf die dumme Top Ten Liste zu machen“.

Ein Präsidentschaftsanwärter, der sich in einer Talkshow über sich selbst lustig macht? Was in vergangenen Jahren ein gewagter Schritt gewesen wäre, ist heute Normalität im US-Fernsehen. Der Kampf ums Weiße Haus wird inzwischen wie selbstverständlich auch in den Comedy- und Late- Night-Shows ausgetragen. Ein solcher Auftritt lässt den Kandidaten nicht nur weniger verbissen, ja, menschlicher wirken, der Politiker erreicht damit auch die wichtige – weil meist unentschiedene – Zielgruppe der jüngeren Wähler. Denn immer mehr Amerikaner, die jünger als 30 sind, beziehen ihre Informationen nicht mehr über die traditionellen Quellen wie Nachrichtensendungen und Zeitungen, sondern sie informieren sich durch Unterhaltungsprogramme. So fand eine vor kurzem veröffentliche Studie des Pew Research Centers heraus, dass über sechzig Prozent der jungen Leute sich über die Präsidentschaftskandidaten in Comedy- Shows und Late-Night-Sendungen auf den letzten Stand bringen lassen.

Im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren verdoppelte sich die Zahl der Zuschauer, die sich regelmäßig über die Kandidaten durch Comedys informieren, sogar. Das ist ungefähr so, als ob deutsche Zuschauer zur Bundestagswahl statt der „Tagesschau“ Harald Schmidt eingeschaltet hätten, um zu entscheiden, ob sie für Schröder oder Stoiber stimmen. Und nach dieser Logik müsste jetzt der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust bei Stefan Raabs „TV total“ um seine Wiederwahl kämpfen.

Doch nur in Deutschland ist das noch eine absurde Vorstellung. Obwohl man vergebens nach Präsident George W. Bush in den US-Unterhaltungsshows suchen wird, haben sich die demokratischen Kandidaten ganz klar auf die neue Wahlkampf-Plattform eingestellt. Zwar bergen die Comedy-Auftritte besonders für unerfahrene Politiker die Gefahr, einen Schritt zu weit zu gehen und sich vor einem Millionenpublikum der Lächerlichkeit preiszugeben. Bis jetzt ist aber noch keiner der Präsidentschaftskandidaten auf diese Weise unangenehm aufgefallen. Als Beispiel für einen sehr gelungenen „Show“-Wahlkampf steht der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger, der seine Kandidatur in der „Tonight Show“ von Jay Leno bekannt gab.

Auch für die Präsidentschaftskandidaten ist es nicht unter ihrem Niveau, den Wahlkampf in einer Comedy zu beginnen. So gab Senator John Edwards aus North Carolina seine Kandidatur in der Satire-Nachrichtensendung „The Daily Show“ bekannt. Dieser Schritt schien selbst Moderator Jon Stewart unheimlich: „Vielleicht sollte ich Sie jetzt darauf hinweisen, dass das hier keine echte Nachrichtensendung ist“, entgegnete der Komiker seinem politischen Gast. Das tägliche, halbstündliche „fake“-Nachrichtenjournal hat mit Stewart quasi einen echten „Anchorman“, der echte Nachrichtenbilder und O-Töne des Tages präsentiert, die verblüffend schnell interpretiert werden – „fake“ eben.

Schalten die jungen Amerikaner also Comedys wie die „Daily Show“ wegen der angenommenen Nachrichtenkompetenz ein? Carroll Doherty, Herausgeber der Pew-Studie, glaubt nicht an diese These. „Die Zuschauer wollen nur unterhalten werden, und stolpern dabei zufällig über die nachrichtlichen Elemente“, sagt Doherty. Denn Untersuchungen des Pew Research Centers haben ergeben, dass das politische Interesse der jungen Amerikaner in den vergangenen zehn Jahren stetig gesunken ist. Zumindest aber für die Politiker ist die großteils hohe Qualität des Formats ein ausschlaggebender Faktor für ihre Entscheidung zur Teilnahme.

„Die Sendung ist harte, beißende Satire. Ich glaube, Ziel der ,Daily Show‘ ist es, wenn auch auf eine leichtherzige Art, nachzuforschen, wie die traditionellen Medien mit der politischen Berichterstattung umgehen“ – so lobte im Gespräch mit einer Lokalzeitung Senator John Sununu aus New Hampshire die „Daily Show“, nachdem er dort selbst zu den Vorwahlen in seinem Staat aufgetreten war.

Die Comedy-Shows geben auch den Kandidaten eine Chance, die es sonst kaum in die Abendnachrichten schaffen. So ließ Bill Maher, Moderator der politischen Satire „Real Time“ den „Green Party“-Präsidentschafskandidaten aus dem Wahljahr 2000, Ralph Nader, in seiner Sendung zu Wort zu kommen. Maher fragte Nader in einer Live-Schalte, ob der grüne Politiker sich auch dieses Mal zur Wahl stellen würde. Nader erklärte, er sammle noch Reaktionen, und warb ausführlich für seine Website. Ein Public-Relations- Kunstück, wie es für Nader sonst wohl kaum möglich gewesen wäre.

Dass die Auftritte von Politikern in Shows allerdings auch zu viel des Guten sein können, zeigt das Beispiel des Präsidentschaftskandidaten Al Sharpton. Dem schwarzen Pastor räumen die traditionellen Nachrichtensendungen wegen seiner geringen Chance, gewählt zu werden, nicht viel „Air-Time“ ein. Als Sharpton wenige Wochen vor den Vorwahlen für „Saturday Night Live“ mit Sketchen, die ihn unter anderem als Michael Jacksons Vater zeigten, eine ganze Sendung bestritt, weigerten sich einige Lokalsender, die Comedy-Show vom Muttersender NBC zu übernehmen. Der Grund: Sie fürchteten, gegen die „equal time“-Richtlinie zu verstoßen, nach der die Sender während eines Wahlkampfes allen Kandidaten gleich viel Zeit in ihren Unterhaltungssendungen, Debatten oder bei der Werbung einräumen müssen.

Eine Angst, die unbegründet war. Denn schon während des Schwarzenegger-Wahlkampfes entschied die zuständige Behörde, die Federal Communications Comission (FCC), dass Interviews in Comedy- und Late-Night-Shows den „equal time“-Regeln nicht unterliegen, da es sich bei den Auftritten nicht um „Nachrichten“ handeln würde.

Inzwischen zahlt sich für die Shows ihre zunehmende Politisierung aus: So gewann die „Daily Show“ im vergangenen Jahr mehrere Preise, und Moderator Jon Stewart landete im Dezember wegen seiner Wahlberichterstattung als einer der „People 2004“ auf dem Cover des Nachrichtenmagazins „Newsweek“.

Ob auch in Deutschland Kandidaten wie Ole von Beust sich in Comedy-Shows wagen, hängt daher weniger von der Einstellung der Politiker als vielmehr von der Qualität der Sendung ab. So kann man „TV Total“ trotz eines gewissen Aktualitätsanspruchs, den Stefan Raab sich stellt, kaum als Nachrichten-Satireshow bezeichnen. Was das betrifft, sind die Amerikaner den Deutschen immer noch weit voraus.

Johanna Rüdiger[Washington]

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