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Sat.1-Umzug: Sei Stadt. Sei Wandel. Sei München

Sat.1 verlässt Berlin - nun fürchten die Produzenten und Studiobetreiber der Hauptstadtregion um die Aufträge. Experten rechnen damit, dass deutlich mehr als 1000 Arbeitsplätze von dem Umzug betroffen sind.

Angst wäre ein zu großes Wort, Sorgen passt besser. Diese aber sind groß, wenn es um die Fernsehproduzenten in Berlin und Babelsberg geht. Der Entschluss der Konzernführung der Pro Sieben Sat 1 Media AG, Sat 1 von Berlin nach München zu verlegen, treibt die Geschäftsführer der Studio unisono um. Insofern wollen Helge Jürgens (Berliner Union-Film) und Christoph von Borries (Studio Berlin) für die gesamte Branche sprechen: „Sat 1, der größte TV-Sender Berlins, verlässt die Hauptstadt, zurück bleiben Unsicherheit, Verwirrung und Ärger, aber auch eine hervorragende Infrastruktur für TV-Produktionen.“ Beide erinnern an die positiven Effekte, die mit dem Beschluss des damaligen Sat-1-Eigners Leo Kirch verbunden waren, die Aktivitäten des Senders in Berlin zu bündeln: „Die Hauptstadt entwickelte sich zum wichtigsten TV-Medienstandort neben Köln und München.“ Die Berliner Dienstleister hätten in den Ausbau der Studiokapazitäten, in Sende- und Aufzeichnungstechnik massiv investiert.

Schon ein Auszug aus den Produktionsportfolios für Sat 1 von Studio Berlin und Berliner Union-Film legt die Volumina offen. „Verliebt in Berlin“/„Unter den Linden“ (Soap), „Akte – Reporter decken auf“ (Magazin), „Die Hit-Giganten“ (Show), „Die Aids-Gala“ (Event), „Ich liebe den Mann meiner besten Freundin“ (TV-Film), kaum ein Fernsehgenre, das nicht aus Berlin für das nationale Vollprogramm Sat 1 bedient wurde und wird. Das liege, stellen Jürgens und von Borries fest, am unerschöpflichen Potenzial der Stadt und an der im Verhältnis zu anderen deutschen Medienstädten einzigartigen Bündelung von Kultur, Künstlern und Kreativität. Somit habe die Entscheidung, Sat 1 zu verlegen, „nur rein wirtschaftliche, konzerninterne Gründe“. Zugleich sei es immens wichtig, dass Sat 1 und andere Sender auch weiter auf Berlin als Produktionsstandort setzten. „Geschieht dies nicht, verliert der Medienstandort den wichtigsten wirtschaftlichen Motor“, prophezeien die Studiochefs. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg, MTV/Viva, die Zentralredaktion von Sat 1, der Nachrichtensender N 24 – nice to have, sie können weder Studios füllen noch sorgen sie für die Auslastung der Dienstleister.

Die wichtigsten Player der Produzentenszene sind sich einig über den engen Zusammenhang zwischen Standort und Auftragsvergabe. Christoph Fisser ist Geschäftsführer von Studio Babelsberg, das nach seinen Angaben vom Umzugsbeschluss kaum betroffen sein wird, da Studio Babelsberg zu 90 Prozent für den Film produziert. Fisser sagt es frei heraus: „Die Bavaria in München kann sich freuen, sobald Sat 1 in Unterföhring Quartier genommen hat.“ Er sieht die Produktion dort, wo die Wege kurz seien. Der Weggang sei „ein Schlag ins Gesicht des Standortes Berlin“, die Effekte würden mittel- und langfristig für die Hauptstadt zu spüren sein. Fisser will nicht glauben, dass 350 Mitarbeiter der Media AG nach München wechseln und 450 Mitarbeiter in der Zentralredaktion (Frühstücksfernsehen/Sat-1-Magazin) und beim Nachrichtensender N 24 verbleiben. „Das könnte ins Rutschen kommen“, sagt Fisser

Was geht, was bleibt? Robin Houcken, Geschäftsführer von Studio Hamburg (Mutter von Studio Berlin), erinnert an die Erfahrungen, die Hamburg gemacht hat, als Sat 1 1999 nach Berlin wechselte: „Damit blieb mit dem NDR nur ein großer auftraggebender Sender in der Hansestadt, was für die Produktionsbranche ein Nachteil ist.“ Für den Medienstandort Berlin sei die Verlagerung von Sat 1 nach München eine noch kritischere Entwicklung, „denn naturgemäß sucht die Zulieferindustrie auch die räumliche Nähe zum Kunden.“ Houcken rechnet damit, dass allein in der gesamten Unterhaltungsindustrie deutlich mehr als tausend Arbeitsplätze in der Region Berlin-Brandenburg vom Sat-1-Umzug beeinflusst würden, betroffen wären die großen wie die kleineren Unternehmen. Zum Beispiel die Park Studios in Babelsberg, die als Full-Service-Dienstleister an Produktionen von „Eva Blond“ (Sat 1) über „Gülcans Traumhochzeit“ (Pro 7) bis „Olm unterwegs“ (Pro 7) engagiert waren.

Houckens Kollegen Jürgens und von Borries machen die Rechnung auf, nach der die Dienstleister bei TV-Produktionen den größten Anteil an Mitarbeitern stellten. Vom Kameramann über den Bildtechniker bis zum Beleuchter, von der Maskenbildnerin zur Garderobiere, mehr als 50 Mitarbeiter benötige man im Durchschnitt für eine Fernsehproduktion. Hinzu kämen umfangreiche externe Dienstleister für Bühnenbau, Licht, Catering, Sicherheit und vieles andere mehr. Bei einem Rückgang der Fernsehproduktionen wären „also viel mehr Arbeitsplätze bedroht als der bisher bekannte Mitarbeiterabbau bei Sat 1 selbst“.

Es müsse jetzt, sagt Robin Houcken von Studio Hamburg, Aufgabe des Senats sein, dass Teile des Produktionsvolumens, für das Pro Sieben Sat 1 steht, in Berlin verblieben. Der Senat ist der eine Adressat der Produzentengilde, der Fernsehkonzern der andere. „Die Berliner Studiodienstleister in der Region Berlin-Brandenburg warten auf ein positives Signal der Pro Sieben Sat 1 Media AG für den Produktionsstandort Berlin.“ Petra Müller, die Geschäftsführerin des Medien boards Berlin-Brandenburg, gibt einen Zwischenbescheid heraus: „Berlin hat mit allen Kräften versucht, das Blatt zu wenden, aber die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten.“ Jetzt gelte es, Lösungen für die Sat-1-Mitarbeiter zu finden und das Produktionsvolumen zu sichern.

Alle Betroffenen und Beteiligten weisen auf das unverändert hohe Anziehungspotenzial der Hauptstadtregion auf die Kreativen hin. Was sie eben fürchten, ist neben allen kommerziellen Einbußen eine Schwächung dieses Potenzials, ein Abbau der hervorragenden Infrastruktur und ein Schwinden der Fachkräfte. Nur wenn diese Gefahren abgewendet würden, „kann der Anspruch, ein großer Kino- und Medienstandort zu sein, weiter Bestand haben“.

Ein bisschen Entspannung in die Diskussion kommt ausgerechnet von einem Unternehmen, das eine gemeinsame Produktionsgesellschaft der Pro Sieben Sat 1Media und des Produzenten Christian Popp ist: Producers at Work, beheimatet in Potsdam. Geschäftsführer Günter Knop sieht die Standortfaktoren in der Region weiter intakt, zugleich befürchtet er durch den Umzug keine negativen Auswirkungen auf die Auftragslage. Aktuell werden „Anna und die Liebe“, „Dr. Molly & Karl“ und „Plötzlich Papa“ für Sat 1 produziert. „Was wir aber erwägen, ist die Gründung einer Zweigniederlassung am künftigen Senderstandort von Sat 1 in München“, sagt Knop. Der kluge Auftragsproduzent baut vor.

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