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Satire-TV im Internet: Dieter Hildebrandt kommt, um zu stören

„Das ist ja eine völlig neue Sportart hier, aber es erinnert doch sehr an Fernsehen.“ Kabarettist Dieter Hildebrandt macht nun Subversives im Internet – mit 85 Jahren.

Zu Fuß braucht Dieter Hildebrandt zwei Minuten zu seinem neuen Arbeitsplatz im gutbürgerlichen Münchner Vorort Waldperlach. Er wohnt um die Ecke. „Mit dem Auto sind es exakt 37 Sekunden“, sagt der 85-jährige Großmeister unter den deutschen Kabarettisten. Sein neuer Arbeitsplatz, das ist das Arbeitszimmer seines Freundes und Kollegen, des Karikaturisten Dieter Hanitzsch. Eine Bücherwand, ein Zeichentisch und ein Computer – das Arbeitszimmer eines Zeichners. Und die Zentrale des Internetkanals „Störsender“, der am Ostersonntag für jeden empfangbar startet.

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Ein paar Tage vor Ostern sitzt Dieter Hildebrandt am Tisch der „Störsender“-Zentrale. Es ist Ende März, auch in München herrscht noch tiefster Winter. Um Hildebrandt herum schwirrt das Produktionsteam: Kameramann, Assistent, Tonfrau, Redakteur. Hildebrandt soll von einem Teleprompter ablesen, eine Premiere für den 85-Jährigen. Die Teleprompter-App auf dem Ipad ist gerade abgestürzt. Hildebrandt frotzelt: „Das ist ja eine völlig neue Sportart hier, aber es erinnert doch sehr an Fernsehen.“ Dann ist alles vorbereitet und Hildebrandt kann loslegen – er spricht einen bissigen Monolog über die Finanzkrise in Zypern, reiche Russen und die Rolle von Kanzlerin Angela Merkel. Dieter Hildebrandt, wie ihn seine Fans kennen und lieben. Er macht keine Fehler – die Szene muss trotzdem wiederholt werden, die Katze der Familie Hanitzsch hat während der Aufnahme an die Scheibe des Arbeitszimmers geklopft.

Die Idee für den Störsender hatte Stefan Hanitzsch im November 2011 bei einem Treffen mit Hildebrandt – einem alten Freund der Familie. Hanitzsch hatte gerade eine neue Webseite für seinen Vater entworfen. Hildebrandt sah das Produkt – und wollte auch so etwas. Doch für Hildebrandt wollte Hanitzsch etwas anderes als eine typische Künstlerhomepage mit Neugikeiten, Fotos und Tourdaten. „Ich wollte etwas machen, das ihm mehr entspricht“, sagt er. Daraus sei die Idee der Plattform entstanden: „Eine Mischung aus Journalismus, Kabarett und politischem Aktivismus. Ein Portal gegen die Aushöhlung der Demokratie.“ Hildebrandt konnte sich gleich etwas darunter vorstellen: „Eine Art Störsender also?“, fragte er. Der Name der Seite war geboren.

Das Herzstück des „Störsenders“ ist ein politisches Fernsehmagazin. 20 Folgen sollen in diesem Jahr produziert werden. Alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge im Internet. Der 35-jährige Journalist und „Störsender“-Erfinder Stefan Hanitzsch beschreibt seine Schöpfung so: „Der Störsender verbindet Kabarett, Wissenschaft, Journalismus und soziales Engagement. Das macht uns einzigartig. Es gibt Protestplattformen wie ,weltnetz.tv’, die ‚heute show’ macht Comedy, ‚Quer’ vom Bayerischen Rundfunk macht Kabarett und Journalismus. Wir verbinden alles. Wir sagen: ‚Empört euch!’, aber vor allem: ‚Engagiert euch!’"

In der ersten Folge des Magazins dreht sich alles um das Thema Casino-Kapitalismus. Dafür hat sich Stefan Hanitzsch mit Professor Helge Peukert getroffen. Der ist Anhänger der sogenannten postautistischen Ökonomie und kritisiert das aktuelle Wirtschaftssystems. Wem das Interview zu langatmig wird, der muss nicht wegzappen, er kann die Szene einfach überspringen und landet bei: HG.Butzko. Der Kabarettist klärt die Zuschauer über die interessanten Nebentätigkeiten des ehemaligen Finanzstaatssekretärs Jörg Asmussen auf. Liedermacher Konstantin Wecker steuert einen Song über das Lächeln der Kanzlerin bei. Sigi Zimmerschied und natürlich Dieter Hildebrandt liefern gewohnt scharfe Satire dazu.

Knapp 150 000 Euro darf die Produktion der ersten „Störsender“-Staffel kosten. Das Geld haben die Macher auf der Crowdfunding-Plattform Startnext.de eingesammelt. Dort können angehende Unternehmer ihre Geschäftsidee vorstellen und ein Finanzierungsziel angeben. Wer von der Idee überzeugt ist, der kann Geld investieren und wird so zum Unterstützer. Für den „Störsender“ kamen 120 000 Euro schon in wenigen Wochen zusammen. Einen Überblick über die Unterstützer hat Hanitzsch nicht, aber Startnext hat während der Finanzierungsphase einen spürbaren Anstieg im Durchschnittsalter der Spender auf der gesamten Plattform festgestellt. Für Kabarettfans in fortgeschrittenem Alter könnten Hildebrandt und Co. zu Internetbotschaftern werden. Sehen kann die Sendungen übrigens jeder – auf dem Youtubekanal des Störsenders. Offizielle Unterstützer des Projekts können die Folgen schon ein paar Tage vorher und in HD-Qualität anschauen.

Schramm, Polt, Butzko, Barwasser, alle helfen ehrenamtlich.

Dieter Hildebrandt sieht sich nicht als Frontmann des „Störsenders“. Ihm ist bewusst, dass seine Kontakte und sein bekanntes Gesicht für das Projekt hilfreich sind. „Aber wenn wir in der Fußballsprache bleiben, dann bin ich höchstens ein Schweinsteiger, und davon haben wir ja inzwischen auch zwei oder drei. Und wenn ich einer von den drei Schweinsteigers sein darf, dann bin ich sehr zufrieden“, sagt Hildebrandt.

Hanitzsch junior und Dieter Hildebrandt, das sind Motor und kreativer Leiter von „Störsender TV“ – die Liste der weiteren Mitstreiter ist ein Who’s who der deutschen Kabarettszene: HG.Butzko, Georg Schramm, Gerhard Polt und viele mehr wollen mithelfen. Frank-Markus Barwasser, Erfinder der Figur Erwin Pelzig, und Urban Priol haben dem Störsender je 2222 Euro gespendet und treten ohne Gage auf. „Die Produktion kostet natürlich Geld, die Kameraleute werden bezahlt“, sagt Redaktionsleiter Hanitzsch. „Und ich zahle mir ein Gehalt, die Künstler verzichten aber auf ihre übliche Gage.“

Der Passauer Kabarettist Sigi Zimmerschied hat gerade vier Wochen lang in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft sein neues Programm gespielt. Bevor es in den Urlaub geht, nimmt er noch eine Szene für den „Störsender“ auf. Als „Sigi Wutbürger“ wird er in jeder Folge auf Anraten seines Psychologen etwas zerstören. Diesmal trifft es einen Osterhasen. Die Idee hatte er vor einer Woche, am Dienstag vor Ostern wurde gedreht. Nach einer Stunde war alles im Kasten. „Beim Bayerischen Fernsehen hätte das drei Wochen gedauert“, sagt Zimmerschied. Nicht nur für ihn ist das ein wichtiger Grund für sein Engagement beim „Störsender“ – die Unabhängigkeit von den Sendeanstalten. Das größte Problem sei die Formatfixierung der Fernsehsatire. Ein Stuhl, ein Tisch, ein Publikum, außerhalb dieses Set-ups sei nichts möglich. Experimente? Fehlanzeige. Zimmerschied dagegen hat Ideen für richtige Satire-Kurzfilme, filmisch anspruchsvoll, visuell herausfordernd. Auch deshalb hofft der Passauer, dass der „Störsender“ ein echte Alternative werden kann. Eines allerdings ist ihm ein bisschen unangenehm: „Für uns, also für die ganze Kabarettszene ist es peinlich, dass das ein 85-Jähriger machen muss.“

Dabei ist Dieter Hildebrandt eigentlich kein Freund des Internets: Facebook und Twitter sind für ihn Fremdworte, wichtige E-Mails liest ihm seine Frau vor. Aber er hat Hoffnung: „Wenn wir mit dem ’Störsender’ dafür sorgen könnten, dass im Internet etwas Sinnvolles passiert, das wäre doch was.“

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