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Laute Action, genuschelte Dialoge, diese Kritik muss sich Schauspieler Til Schweiger nicht nur als „Tatort“-Kommissar gefallen lassen.

© NDR/Gordon Timpen

Schlechte Tonqualität im TV: Das große Nuscheln

Akustisch kaum zu verstehen: Die ARD-Krimis „Tatort“ und „Polizeiruf“ stehen besonders in der Kritik. Die Privatsender mit ihren Kinofilmen sind weniger betroffen.

Das wurde vergangenen Sonntagabend – neben viel Lob – parallel zum laufenden „Tatort“ getwittert: „Ich muss mich voll anstrengen zuzuhören. Die intonieren so, dass ich nicht nebenbei twittern kann. Der wahre #Tatort-Skandal.“ Und: „Geht das nur mir so oder sind die Schauspieler im #Tatort wg. Nuscheln oder Flüstern wirklich oft nur schwer zu verstehen?“ Aus der Woche davor, das war der 25. Fall der bayerischen Kommissare, ist nur noch dieser Kommentar übrig: „Irgendwie ist der Geburtstags-#Tatort bisher eher wie der Tag nach der Party. Man kann Zusammenhänge nur schwer herstellen & hört schlecht.“

Die Zwischenrufe via Twitter kommen im Ton locker daher, rufen aber ein Thema auf, das viele Fernsehzuschauer und Gebührenzahler durchaus in Rage zu versetzen vermag: die Tonqualität im deutschen Fernsehen. Die Klagen, grob zusammengefasst, heißen: Dialoge zu leise, Filmmusik zu laut. Es werde immer schlimmer, schrieb ein Tagesspiegel-Leser, er verstehe immer weniger und nicht nur er. „In meinem Bekanntenkreis beklagen viele dieses Phänomen. Warum ist es offensichtlich den Fernsehoberen gleichgültig, was von ihren Sendungen beim Publikum akustisch ankommt?“, fragt er auch in seinem Brief – und hat damit den Kern des Problems benannt: Es geht um selbst gemachte Sendungen.

Die schlechte Tonqualität zeichne vor allem die Eigenproduktionen der öffentlich-rechtlichen Sender aus, sagt Professor Ingo Kock, Dekan der Fakultät Ton an der Filmuniversität Potsdam-Babelsberg. Er stelle das bei den seltenen Malen, in denen er überhaupt ARD oder ZDF anschaue, regelmäßig fest (und suche deshalb viel lieber in den Privatsendern nach den viel besser produzierten Kinofilmen). Kock sieht vier Gründe für das Problem und kennt auch die Lösung.

Ein Grund ist laut Kock das Gerät selbst, jedenfalls wenn es ein Flachbildschirm ist. Die neuen Geräte seien so dünn, dass sie dem Ton im wahrsten Sinn des Wortes keinen Raum, keine Tiefe mehr zur Entfaltung böten (siehe Kasten). Der Eindruck, „früher“, also zu Zeiten der wuchtigen Röhrenfernseher, sei alles besser gewesen, stimmt in diesem Fall.

Ein zweiter Grund seien die Schauspieler. Oft direkt als Fernsehdarsteller ausgebildet, hätten die eher Mikro- als Sprechschulungen, da rangiere in der Wertigkeit authentisch vor verständlich, das erweise sich besonders bei Til Schweiger alias „Tatort“-Kommissar Nick Tschiller.

Dann sei da noch die Arbeit am Set. Wegen des allgemeinen Kostendrucks würden so wenig Drehtage wie möglich genehmigt, alles muss schnell gehen – und fürs eventuell nötige Nachsynchronisieren ist erst recht keine Zeit.

Alte Zuschauer, junge Tontechniker

Und als Viertes seien die Zuschauer von ARD und ZDF im fortgeschrittenen Alter, fast die Hälfte von ihnen ist über 65 Jahre alt – und der Zenit der Hörfähigkeit ist beim Menschen in der Regel mit dem 30. Geburtstag überschritten. Ab dann geht es bergab. Die besondere Misere am TV-Filmmischpult entsteht vor allem dann, wenn junge Tontechniker den Ton für ältere Zuschauer mischen.

Kock erinnert sich an eine Diplomarbeit von zwei seiner Studenten, für die sie den Ton eines „Polizeiruf“-Krimis unter der Maßgabe „Wie hören Hörgeschädigte?“ abgemischt haben. Das Fraunhofer Institut habe eine Simulation entwickelt, mit der das Hören älterer Menschen nachempfunden werden konnte.

Zum Sendetermin dieses Spezial-Krimis habe er, sagt Kock, seine öffentlich-rechtlichen Abstinenz unterbrochen, und siehe da: „Selten habe ich einen Krimi so gut verstanden.“ Das Projekt der Studenten sei dann zwar von der ARD nicht weiterverfolgt worden, aber Kocks Lösung für das Tonproblem steht seither fest: „Setzt 70-jährige Tonmeister an die Mischpulte“, sagt er, „die mischen den Sound so, wie das Publikum hört.“

Dass der Ton im Fernsehen Probleme hat, weiß auch der Verband Deutscher Tonmeister. Er hat im Oktober 2015 zu „Sprachverständlichkeit in Film und Fernsehen“ ein Seminar angeboten. Seminarleiterin Hannah Baumgartner hat selbst als Tontechnikerin gearbeitet, bevor sie zum Fraunhofer Institut in die Forschung ging. Sie kennt neben den von Kock genannten Gründen des Sounddesasters noch die Probleme der Praxis. Wenn ein schöner Drehort gefunden sei, der aber beispielsweise in der Nähe einer Hauptverkehrsstraße liege, dann müsse deren Rauschen, Brummen, Knattern aus dem Filmton raus. Er wird „maskiert“, wie die Tonleute sagen – und zwar meistens mit Musik. So ist also das oft monierte Hintergrundgedudel im Film weniger eine doofe Idee der Regisseure als eine Zwangsmaßnahme gegen den allgemein steigenden Lärmpegel des Alltags, die „akustische Umweltverschmutzung“, wie Hannah Baumgartner es nennt.

Dass für den TV-Zuschauer inakzeptable Tonmischungen überhaupt durch die Endabnahmen kommen, erklärt sich die Expertin mit der besonderen Abnahmesituation: meist in Räumen mit hervorragender Akustik und in Idealabständen platzierten Lautsprechern, was zu Hause selten jemand hat. Aber hier setzt ihr Tipp an für alle, die jenseits der austarierten Zusatzsoundanlage ihren Krimi verstehen wollen. „Alles, was dämpft“, ins Fernsehzimmer bringen. Teppiche, Schrank- und Bücherwände, Vorhänge. Bloß nicht den Fernseher auf dem gefliesten Boden vor die wandhohe Fensterfront stellen, dann geht der Ton ganz flöten.

Mehr Verstehen durch Technik

Vor dem Siegeszug der Flachbildfernseher war der Ton besser – diese Kritik ist so alt wie berechtigt. Während die Bildqualität durch gestochen scharfe HD-Displays mit satten Farben immer besser wird, klingt der Sound wie aus der Konservenbüchse.

Abhilfe schaffen sogenannte Soundbars, die unter den Fernseher gestellt werden. Sie sorgen für kräftiges Volumen bei Action-Passagen und der Musikwiedergabe. Durch unterschiedliche Profile wird per Knopfdruck zwischen Anwendungsfeldern wie Filmen, Sport, Spielen oder Musik umgeschaltet.

Einige Hersteller wie Sony oder Bose haben in ihre Soundbars (ab 250 Euro) eine Voice-Funktion integriert, mit der speziell die Dialoge verstärkt werden. Dabei wird jener Frequenzbereich hervorgehoben, den ältere Menschen nicht mehr so gut hören.

Die Probleme auf der akustischen Ebene lassen sich zudem durch Mittelklasse- Hörgeräte mit Bluetooth- Funktechnik überwinden. Damit werden Sprache und Musik aus anderen bluetoothfähigen Audioquellen wie Telefon, Handys, Fernseher oder Computer auf kurze Entfernungen drahtlos auf das Hörgerät übertragen. An die Quelle, in diesem Fall den Fernseher, wird dazu ein Streamer angeschlossen, der als Sender fungiert. sag

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