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Sphärisch. Die Elfen tanzen, wenn im Kulturradio Musik spielt. Mancher Hörer aber träumt von anderen Klassikern, Marlene Dietrich oder Bob Dylan zum Beispiel. Foto: RBB

© rbb

Schöner hören: Bisschen wacher, bitte

Das Kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg wird zehn. Vieles zeugt von großer Kompetenz, doch die Musikauswahl ist arg begrenzt.

Eine kleine Blitzumfrage: „Natürlich hör ich den, vor allem, wenn mir der andere Sender mit einer ähnlichen Struktur wegen seiner Werbung auf die Nerven geht.“ – „Ja, öfter. Der ist gut.“ – „Ich höre überhaupt kein Radio.“ – „Zu dröge und elitär.“

Nun ist aber gut. Letzterer Kritiker gehört nun gerade nicht zu den 111 000 kulturinteressierten Klassikfreunden, die, nach Senderangaben, das Kulturradio des RBB jeden Tag einschalten. Vereint im Walzerschritt oder beim Walkürenritt von Berlin nach Brandenburg und wieder zurück. Vorneweg reitet Intendantin Dagmar Reim und jubiliert: „Kulturradio erzeugt in unseren Köpfen ein vielfarbiges Bild der Welt: intellektuell anregend, differenziert und überraschend. Ein Leben ohne Kulturradio wäre ärmlich, weil klassische Musik, Hörspiele, Features, Dialoge und Diskurse, Theater-, Buch- und Konzertkritiken keine Luxusgüter, sondern Überlebensmittel sind.“

Solch übertriebenes Selbstlob gibt es immer, wenn jemand Geburtstag hat oder wenn der millionste Hörer mit einer CD von einem Streichquartett beehrt wird. In unserem Falle findet am 1. Dezember der zehnte Jahrestag der Geburt des Kulturradios vom Rundfunk Berlin-Brandenburg statt. Die Feier steigt in der Akademie der Künste ab elf Uhr mit einer Matinee, Karten gab es nicht zu kaufen, sondern beim Sender zu gewinnen, die Hörer gratulieren sich selbst, indem sie als Hörerchor frei von der Leber weg als Überlebensmittel die kulturelle Menschheit der Stadt beglücken, man darf annehmen, dass bei so viel Enthusiasmus der „Wach auf!“-Chor erklingt. Vielleicht wachen die Macher des Senders gleich mit auf: Die Freude, die das Programm seinen Stammhörern macht, sei ebenso unbestritten wie die fachliche Kompetenz der Damen und Herren am Mikrofon und an den Tonreglern der Radio-Wundertüte. Aber, so frag ich mich manchmal: Könnte die Musikauswahl nach zehn Jahren nicht einmal eine inhaltliche Auffrischung gebrauchen? Muss es immer wieder ein Satz aus dieser und jener Sinfonie oder Suite sein? Mit Oboe? Oder ein Klaviersatz, der uns zum Träumen verführt – aber bitte doch nicht früh zwischen sieben und acht Uhr die „Kleine Nachtmusik“, mit der man gleich wieder ins Bett steigen möchte, statt hellwach in den Tag zu rennen.

Klassik müsste eigentlich in so einem Sender sehr weit gefasst sein. Ist Marlene Dietrich nicht längst ein Klassiker? Dürfen ihre hingehauchten oder feschen Berliner Lieder nicht auch mal den Tag beginnen? Udo Jürgens, Gitte, Catarina Valente – wieso wird das jenem RBB-Schlagersender überlassen, der sich hundert Mal damit brüstet, „die besten Sechziger und Siebziger“ abzuspulen? Wer nach Süden fährt und den MDR-Kultursender Figaro mit unserem Kunstsender vergleicht, dem fallen die Ohren ab ob so viel sächsischer Radioideenfreude: Die lockern ihre „Formate“ schon früh mit einem Blick in die Feuilletons auf, geben Fernsehtipps, streichen schon mal eine Jam-Session auf die Marmeladen-Frühstücksbemme, machen eine Sprachsprechstunde, lassen Satchmo und Bob Dylan los oder Frank Sinatra und Leonard Cohen. Und vergessen Brahms, Bach und Beethoven trotzdem nicht.

Wer bei Google das Stichwort „Kulturradio vom RBB“ eingibt, bekommt jene Damen und Herren zu Gesicht, von denen wir nur die Stimmen kennen. Ev Schmidt, Shelly Kupferberg, Monika van Bebber und ihre Kollegen haben einen Fragebogen ausgefüllt und die Frage ergänzt, weshalb Kultur zum Leben gehört. Kritiker Kai Luehrs-Kaiser antwortet: „... weil wir sonst unseren Laden zumachen könnten“.

Bloß nicht!

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