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Ungewöhnlich: Die Geschichten um den LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur), der mit seinem Gehirntumor spricht, im neuen „Tatort“ des Hessischen Rundfunks. Foto: HR

© HR/Johannes Krieg

Schreiben fürs Fernsehen: „Brauche ich einen Kommissar?“

Drehbutor Christian Jeltsch über gute Krimis, "Kreutzer kommt", Ulrich Tukurs Kommissar und den Wahnsinn in US-Serien.

Herr Jeltsch, wie war Ihre Stimmung nach der Ausstrahlung von „Kreutzer kommt“ bei ProSieben?

Die war gut. Gemessen an den Zuschauerzahlen, die meine Filme in ARD oder ZDF erreichen, sind 2,72 Millionen natürlich nicht viel. Doch ProSieben rechnet anders und ist sehr glücklich mit den Quoten, insbesondere dem Anteil an jungen Zuschauern. Der Sender sieht „Kreutzer kommt“ außerdem als Imagegewinn fürs Haus.

Da sollte einer Fortsetzung nichts im Wege stehen?

Es ist noch nichts entschieden. Aber wie ich die Reaktion für mich interpretiere, sieht es gut aus.

Sie haben mit Ihrem „Kreutzer“-Konzept jahrelang die Klinken der Sender geputzt. Was waren die Gründe für die Ablehnung?

Viele Redakteure haben gesagt, sie fänden die Figur Kreutzer super, aber sie würden das im Sender nicht unterkriegen. Hauptgegenargument: „Das gab es noch nie.“ Bedenken gab es auch wegen der Einheit des Ortes. Wird das nicht zu viel Kammerspiel? Will das der Zuschauer sehen? Es fehlte der Mut, das auszuprobieren. Bei den Öffentlich-Rechtlichen setzt man lieber auf Bewährtes in Variation. Oft heißt es: „Wollen wir nicht etwas machen wie …?“

Was würden Sie bei einer Fortsetzung am Konzept gern beibehalten?

Auf jeden Fall die Einheit von Raum und Zeit. Und auch den Anspruch Kreutzers, den Fall in dieser Rekordzeit von vier Stunden und 37 Minuten 48 Sekunden zu lösen. Wichtig ist, dass wir mit weiteren Geschichten nicht nur das Milieu wechseln und dieselbe Geschichte noch mal erzählen. Kreutzer ist da, um zu überraschen. Ich möchte ihn anderen Situationen aussetzen, ihn eventuell mehr unter Druck setzen, ihn nicht nur von einem Verhör zum anderen gehen lassen.

Harter Schnitt: Am Mittwoch läuft „Rosannas Tochter“ nach dem Roman von Amelie Fried in der ARD. Das ist knapp am Problemkitsch vorbeigeschrammt.

Ich fand im Roman dieses Mädchen spannend, das ja eigentlich ein Opfer ist und sich in eine Ehe einschleicht und sie zu sprengen droht. Das konnte ich mir als Kern eines Films vorstellen. Und die Redaktion ist mitgegangen.

War der Einfluss der Produktionsfirma Degeto für Sie spürbar?

Ich hätte das eine oder andere gerne etwas dunkler gezeichnet. Aber es gibt nun mal bestimmte Ansprüche der Degeto, was die Düsternis von Geschichten und die Abgründe von Figuren angeht – zumindest im Drama-Melodram-Bereich. Unlängst bei dem Krimi-Thriller „Wolfsfährte“ ging es ja auch anders.

Sind Sie bei diesem Film froh, sich hinter Veronica Ferres verstecken zu können?

Nein, ich muss mich nicht hinter Frau Ferres verstecken. Es war eine interessante Erfahrung, zu sehen, wie weit man mit einem populären Roman und mit populären Schauspielern gehen, wie tief man so Figuren und Geschichte ausloten kann.

Beim „Tatort“ mit Ulrich Tukur, der am 28. November im Ersten läuft, haben Sie noch weniger Grund, sich zu verstecken. Was war Ihr Anteil?

Als ich dazukam, stand die Besetzung mit Tukur als Ermittler Murot fest, auch der Tumor der Figur war gesetzt – genauso wie das LKA, was bedeutet, dass in ganz Hessen ermittelt werden kann. Alles andere kam von mir. Der Edersee als Schauplatz. Ein Einzelgänger, der mit seiner privaten und beruflichen Vergangenheit konfrontiert wird. Und das Thema RAF. Eine Grundüberlegung für mich war, dass man durch so eine sehr persönliche Erzählung, eine Figur, die mit dieser Krankheit geschlagen ist, dem „Tatort“ eine neue Farbe geben kann. Es ist ja ungewöhnlich, wenn ein Kommissar mit seinem Tumor spricht.

Was für Versprechen für die Zukunft auf Murot & Co gibt es?

Was mir auch wichtig war, ist die Figur seiner Assistentin, die einen wunderbar schwarzen Humor besitzt. Wie beide miteinander umgehen – das ist erfrischend direkt, mit einer tiefen, platonischen Zuneigung füreinander. Weil sie sich so nahe sind, so gut verstehen, können sie sich auch so gut anpflaumen. Dieses Verhältnis auszubauen, das könnte ein Versprechen auf die Zukunft sein.

Hat Tukur Einfluss auf die Rolle gehabt?

Er war in die Gespräche miteinbezogen, hat sich auch immer wieder eingebracht. Sehr aktiv wurde er natürlich bei der Musik, die seine große Liebe ist. Tukur hat sich sehr für die Brüche der Figur interessiert und die Abgründe, er war keineswegs daran interessiert, als der strahlende Held dazustehen.

Ist der „Tatort“ tatsächlich dieses thematische und ästhetische Experimentierfeld, von dem oft geredet wird?

Auf jeden Fall. Ich habe einige „Tatorte“ für Radio Bremen gemacht, bei denen wir uns gesellschaftspolitische Themen gesucht haben und die ziemlich gewagt waren, bis hin, dass wir am Ende einer Geschichte keinen Täter hatten. Natürlich haben die klassisch erzählten Krimis genauso ihre Berechtigung. Mir macht es Spaß, Grenzen auszutesten. Es ist Wahnsinn, was für seltsame Hauptfiguren in US-Serien auftauchen. So weit sind wir noch nicht. Bei uns lässt sich nur über das Gewohnte schleichend etwas verändern. Da ist „Tatort“ ideal, weil das Format stabile Zuschauerzahlen garantiert.

Damit hängt auch zusammen, dass Sie gerne neue „Tatorte“ konzipieren?

Das ist das Schönste, was man machen kann. Weil man eine neue Figur, eine neue Farbe setzt. Es ist aber genauso spannend, zu sehen, was die Kollegen noch alles mit einem wie beispielsweise Tauber angestellt haben.

Wenn’s nach Ihnen ginge, wie sähe der Krimi von morgen aus?

Ich würde zunächst mal ganz grundsätzliche Fragen an das Genre stellen. Brauche ich einen Kommissar? Wenn ja, wie lege ich ihn an? Muss ich unbedingt kontinuierlich A, B, C erzählen oder kann ich nicht C, D, B, A erzählen? In den USA oder in Skandinavien macht man sich über solche Fragen schon länger Gedanken. Es wird in Zukunft sicher auch Formate, Reihen geben, die auch ohne Kommissar auskommen und trotzdem spannende Geschichten erzählen.

Seit ein paar Wochen läuft in der ARD der sehr ambitionierte Krimi „Im Angesicht des Verbrechens“, vor nur etwas mehr als zwei Millionen Zuschauern.

Dass diese Serie gemacht und gesendet wurde, bei allem Hickhack drum herum, das finde ich großartig, weil es zeigt, wozu das Fernsehen in der Lage ist. Ich glaube nicht, dass das dazu führt, dass jetzt die Quotendiskussion aufgemacht wird – mit dem Ergebnis, so etwas nie wieder zu machen.

Das Interview führte Rainer Tittelbach.

Christian Jeltsch,

einer der gefragtesten Autoren der deutschen TV-Landschaft. Sein neuer „Tatort“ mit Ulrich Tukur startet am 28. November. Zuletzt lief der Krimi „Kreutzer“ auf Pro7.

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