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Medien: Schwarzer Regen

„Hiroshima“, ein Dokudrama zum 6. August 1945

Wendepunkte in der Geschichte eines Krieges wie den Abwurf der Atombombe „Little Boy“ über Hiroshima kann man auf zweierlei Weise ins Fernsehen holen. Einmal aus der Perspektive der politischen und militärischen Entscheider, der Ingenieure und Soldaten; zum anderen aus der Sicht der Opfer, hier der Stadt Hiroshima und ihrer Bewohner. Der Ehrgeiz des britischen Dokumentarfilmers Paul Wilmshurst für das Dokudrama „Hiroshima“ war es, beide Blickrichtungen zusammenzuführen und so ein Panorama zu erzeugen, in dem die Rationalität der Militärs, die Genialität der Techniker, die Disziplin der Bomberpiloten sowie das Leid und der Tod der Zivilbevölkerung sich wechselseitig kommentieren.

Das Dokudrama in Spielfilmlänge bringt die Schrecken jener Augusttage wirklich zurück. Der politische, militärische, moralische Konflikt steht so unlösbar da wie einst, und die Qualen der verbrannten und verstrahlten Opfer erheben einmal mehr ihren Einspruch gegen das Kalkül der Generäle. „Wenn eine so verheerende Waffe eingesetzt wird, sind Menschen so machtlos wie Insekten“, sagt die Bankangestellte Takakura, Überlebende des 6. August 1945.

Die BBC hat für diese Produktion mit dem ZDF zusammengearbeitet (der Name Guido Knopp taucht bei den Credits auf, die Redakteure Peter Hartl und Jens Monath zeichnen mitverantwortlich) und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass womöglich ein paar Experten zu viel an „Hiroshima“ beteiligt waren. Bei allem Sachverstand, der hier gewaltet hat, fällt eine Neigung zum Herumwühlen im Fundus des Action-Knüllers auf, die der Film nicht nötig gehabt hätte und die ein wenig nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner schmeckt. Wie auch immer, „Hiroshima“ befleißigt sich einer reißerischen Machart, die den gewogenen Zuschauer irritiert, sie bietet aber dann wieder eine so kühne Verschränkung von Handlungssträngen, Materialien und Techniken, dass auch der nicht so gewogene Rezipient hineingezogen wird.

Das Archivmaterial ist der Ausgangspunkt. Da gibt es Aufnahmen des Präsidenten Truman, des Tenno, des Aufbruchs der Bomberstaffel mit „Little Boy“. Es gibt Bilder der Stadt Hiroshima, als sie noch stand, doch keine von der Zerstörung. Es gibt Überlebende des Feuersturms – Akiko Takakura zum Beispiel hielt sich zufällig im erdbebensicheren Trakt der Bank auf, als die Bombe fiel. Der Arzt Shuntaro Hida war in der Nacht zuvor zu einer Patientin außerhalb der Stadt gerufen worden und konnte so aus der Ferne beobachten, was er sonst wohl kaum überlebt hätte. Diese und andere Zeugen erzählen, und was sie vor sechzig Jahren durchmachten, wird in nachgestellten Spielszenen glaubhaft vorgeführt.

Die britisch-deutschen Macher waren um starke und stärkste Bilder besorgt und haben dabei womöglich des Guten zu viel getan. Sie arbeiteten mit einer enormen Dehnung der Sekunden während des Abwurfs, immer und immer wieder sieht man die atomare Fracht trudeln, bevor sie detoniert. Und die Schockwellen danach werden – technisch brillant gelöst – in nicht enden wollenden Zerstörungslawinen über den Schirm gejagt.

Doch dann sind da die immer wieder aufs Neue faszinierenden Kontraste zwischen der außergewöhnlichen Welt der Kriegführer und der Welt der gewöhnlichen Sterblichen, die plötzlich unter eine Feuerwalze gerät. Schauerlich die Szene, in der die Überlebenden im heißen Schutt ihrer Wohnquartiere den „schwarzen Regen“ trinken, der sie erst recht radioaktiv verseucht. Niemand wusste damals, wie der Fallout tatsächlich wirkt. Diese Rückhol-Arbeit eines unvorstellbaren Desasters in die Vorstellbarkeit und Anschaulichkeit darf als großes Verdienst von „Hiroshima“ gelten. Man versteht jetzt besser, wie der atomare Schlussakt des heißen Krieges zum Menetekel werden konnte, das den folgenden Jahrzehnten des Kalten Krieges als Losung diente. B.S.

„Hiroshima“, 20 Uhr 15, ZDF

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