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Schweighöfer spielt Literaturkritiker: Der junge Reich-Ranicki

Wenn Matthias Schweighöfer nicht gerade Filmkarriere macht, sitzt er unterm Apfelbaum. Der junge Schauspieler spielt in der Verfilmung der Autobiographie "Mein Leben" den jungen Marcel Reich-Ranicki.

In ein paar Wochen wird Matthias Schweighöfer zum ersten Mal Vater. Er ist nervös – und gut vorbereitet. Er hat einen Namen ausgesucht, bei Ikea eingekauft und sich Gedanken um Kita und Grundschule gemacht. Ihm gefällt, dass sein Leben sich woanders hinbewegt. Am Schiffbauerdamm in Berlin fließt die trübe Spree und befördert voll besetzte Ausflugsschiffe mit Namen wie „Carola“ oder „Franziska“. Die Frühlingssonne lockt die Menschen auf die Straßen und Bänke der Stadt. Matthias Schweighöfer zieht seinen Mantel aus, schaut aufs Wasser. „Ist das nicht herrlich hier?“ Er rubbelt seine blonden Haare nach oben. Er trägt einen weinroten Pullover und den Schal wie ein Dichter. Ein Ende baumelt vorn, das andere hinten.

„Ich hätte mehr verlieren können, als gewinnen“, sagt er und meint damit den Film „Mein Leben“, in dem er den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki verkörpert. So eine biographische Figur gerät leicht zur Persiflage oder Karikatur, sagt Schweighöfer. Für die Rolle haben sie ihm die Haare schwarz gefärbt, die Sommersprossen mit Schminke abgedeckt und eine Brille aufgesetzt. Auf das rollende R haben sie verzichtet, das hätte der Schauspieler nicht mitgemacht. „Vor dem Film kannte ich Reich-Ranicki wie alle anderen eigentlich: so meckernd.“ Nachdem er seine Biographie gelesen hatte, war er begeistert. „Ich fand es toll, was er für eine Geschichte hat. Was er erlebt hat, das finde ich echt erzählenswert.“ Matthias Schweighöfer ist 28 Jahre alt und redet über die Vergangenheit wie über einen Popsong.

Mit seiner Rolle des von Liebeskummer geplagten Musikredakteurs Ben in dem Film „Soloalbum“ ist er 2003 bekannt geworden. Mit dieser Figur hatte er der Mittzwanzigergeneration, die sich zwischen Party und Sehnsucht, Werden und Sein bewegt, zum ersten Mal ein Gesicht gegeben. Sein Antlitz ziert die Wände von Mädchenzimmern. Die Zeitschrift „Max“ wählte ihn zum „Best Dressed Man“. Matthias Schweighöfer ist ein Teenageridol, der zugleich Mütterherzen bewegt. Er hat volle Lippen und eine Narbe an der rechten Augenbraue, ist sinnlich und wild, ein Schöngeist und ein Draufgänger. Er spielte Friedrich Schiller ebenso wie Rainer Langhans. Genau genommen ist er ein wenig wie ein Lokführer, der die Weichen stellt, ein Mann zwischen den Gleisen und den Jahren. Über seine Zukunft sagt er: „Ich bin in einer Phase der Orientierung. Wohin die Reise geht, weiß ich noch nicht.“

Aufgewachsen ist Matthias Schweighöfer in den 80er Jahren in der DDR. Seine Eltern sind die Schauspieler Michael und Gitta Schweighöfer. Als Junge war er stolz auf sie, weil sie zur „Unterhaltungsindustrie des Ostens“ gehörten. Welche Vorteile ihm seine Familie für die spätere Arbeit auch einbrachte, eines ist unbestritten: Er lernte früh, aufzutreten wie man es von ihm verlangte. Mit drei Jahren stand er mit seiner Mutter auf der Bühne. Schweighöfer hatte mehrere Filme gedreht, als er sich an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin bewarb. „Das schaffst du nicht“, hatten seine Eltern gesagt. Er wurde angenommen. Ein wenig sah es so aus, als wollte er sich damit den Eltern gegenüber beweisen. Nach einem Jahr schmiss er hin. „Das war nicht mein Ding, mir die ganze Zeit eine Meinung einimpfen zu lassen, die ich nicht teilte. Ich wollte nicht mehr warten, keine Zeit verlieren.“

Kurz darauf, 2003, erhielt er für den Spielfilm „Soloalbum“ den „New Faces Award“ und den Adolf-Grimme-Preis für Dominik Grafs Fernsehfilm „Die Freunde der Freunde“. Der Erfolg hat das Verhältnis zu seinen Eltern verändert. „Wenn meine Mutter jetzt sagt: ‚Da fand ich dich nicht gut’, trifft mich das nicht mehr so wie früher. Wir sind familiärer und reden mehr über den Alltag. Wie backe ich Kuchen oder wie mähe ich den Rasen?“

Vor ein paar Monaten ist Matthias Schweighöfer aufs Land gezogen, weg vom Trubel Berlins und den „Latte Macchiatos“. In einer 1200-Seelen-Gemeinde zwischen Olympischem Dorf und Nauen hat er sich einen Ort der Ruhe geschaffen, mit Apfelbäumen, Sonnenblumen und Lavendel. Es gibt „tolle Nachbarn“, eine „coole Bäckerei“ und eine Kneipe. „Es ist so schön dort“, wiederholt er mehrmals. Es klingt, als hätte sich der Schauspieler mit dem Haus von 1880 selbst geerdet. Die Zeiten, in denen er depressiv nach Paris fuhr, um dort Gedichte zu schreiben, sind vorbei. Obwohl man sich auch heute noch sehr gut vorstellen kann, wie er mit seinem über die Schulter geworfenen Schal und einem Glas Rotwein an der Seine sitzt. Im Brandenburgischen steht er um sieben Uhr morgens auf, läuft anderthalb Stunden durch den Wald, erfreut sich am Raureif und den Rehen. Das Haus ist seine Basis. Von hier aus geht es in die ganze Welt.

Seine internationale Karriere hat er einem Flop zu verdanken. In dem Kinofilm „Der Rote Baron“ spielte er den deutschen Jagdflieger Manfred von Richthofen. Tom Cruise lobte den Film. Seitdem hat er eine Agentin in London und eine in Los Angeles. Inzwischen dreht er auch in Amerika. Gerade hat er in San Francisco vor der Kamera gestanden, für den Film „Friendship“, der die Geschichte zweier Freunde aus dem Osten nach der Wende erzählt. Er begreift, wie amerikanische Filmindustrie funktioniert: Spiel mal so! Spiel mal so! Gut, alles im Kasten, ab in den Schnittraum. Die Arbeit, sagt er, verändere seine Einstellung zum Leben. Er genießt es, dass nicht immer alles gleich beredet wird. Dass einer einfach sagen kann: „Gut siehst du aus“ und Punkt. Zeit ist in diesem Lande Geld. Bei so viel kommerziellem Denken kommen einem keine zusätzlichen Gedanken.

Ein Schauspieler will in seinen Rollen vielseitig sein, der Zuschauer sucht das Vertraute wiederzuerkennen. Wie das Melancholische in Crash, dem Sanitäter aus „Kammerflimmern“, der beide Eltern verloren hat und von seiner Traumfrau träumt. Oder das Trottelige bei Moritz, dem Boulevardfotografen in „Keinohrhasen“, der nach der großen Liebe jagt, aber wie ein Sancho Panza hinterher läuft, bittersüß und komisch zugleich. Matthias Schweighöfer – der Unglückliche, der Träumer, der Sehnsüchtige.

Vor Kurzem besuchte er in München ein Mädchen, das Krebs hat und sich über den Verein „Wünsch’ dir was“ ersehnte, ihn zu treffen. Sie erzählte ihm, dass sie sich jedes Mal zwischen den Chemotherapien den Film „Keinohrhasen“ auf DVD angeschaut hat, und das hätte ihr viel Lebenskraft gegeben. „In so einer Situation“, sagt Matthias Schweighöfer, „weißt du, dass du ja wirklich etwas gemacht hast.“

Marcel Reich-Ranicki zu spielen, war für ihn eine große Herausforderung. Jemandem gerecht zu werden, der noch lebt. Als er ihn zur Vorbereitung traf, gab es so etwas wie gegenseitigen Respekt. „Die Karten lagen offen, es war klar: Man will etwas voneinander.“ Im Film gibt es eine Szene, in der er als junger Reich-Ranicki zum ersten Mal seiner späteren Frau Tosia begegnet. Sie hat ihren Vater verloren. Seine Mutter schickt ihn, sie zu trösten. Er steht in einer Ecke, Hände in den Taschen, findet keine Worte. Dann fallen ihm die von Emil Jannings ein: „Wir sind nicht in dieses Leben geschickt worden, um ihm zu entfliehen, sondern um es zu bezwingen!“

Wie er das sagt, wirkt es cool: der Literaturpapst als Popstar. Nach der Filmpremiere in Köln saß Matthias Schweighöfer zusammen mit seiner Freundin auf dem Rückweg im Auto und hörte im Radio zufällig ein Interview mit dem Kritiker. Darin befragt, was er denn von der Leistung des Schauspielers halte, antwortete Reich-Ranicki: „Das ist ein Talent, das wird mal ein Großer.“

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