zum Hauptinhalt
Wieder zu spät.  Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) finden ein weiteres Opfer.

© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler

Schweizer "Tatort": Luzern kann sehr tot sein

"Freitod", der neue "Tatort“ aus der Schweiz, bewegt sich zwischen den Gegnern und den Befürwortern der Sterbehilfe.

Die Tochter reist mit der Mutter aus Deutschland an. Denn hier, in der Schweiz, in Luzern, geht, was in Deutschland nicht geht: Die Mutter, schwer erkrankt und des Lebens deswegen überdrüssig, kann hier freiwillig und selbstständig sterben. Die Tochter, Daniela Aichinger (Susanne-Marie Wrage), akzeptiert den letzten Wunsch der Mutter. Der Sterbetermin in Luzern steht fest, sie haben ihn mit der Organisation „Transitus“ schon vereinbart.

In einem Apartment-Haus hat „Transitus“ eine Wohnung angemietet. Daniela Aichinger begleitet ihre Mutter, drei Mitglieder der Organisation, darunter die junge, sehr engagierte Nadine Camenisch (Anna Schinz), warten auf sie. Die Einwilligung muss noch unterschrieben werden, dann wird das tödliche Medikament in einem Becher mit Strohhalm auf den Tisch neben das Bett gestellt. Sie solle sich Zeit lassen, sagt die Sterbebegleiterin Helen Mathys (Ruth Schwegler) zu Mutter Aichinger. Sie allein bestimme den Moment, wenn es so weit sein soll.

Dann trinkt Frau Aichinger und wird auf das Bett gelegt. Dabei läuft die Videokamera von „Transitus“ mit, man müsse alles aufzeichnen, aus juristischen Gründen, heißt es. Als der Sarg aus der Wohnung gebracht wird, mit Tochter Aichinger und den drei „Transitus“-Mitgliedern, da demonstriert einmal mehr der dieses Tun vehement kritisierende religiöse Verein „Pro Vita“ vor dem Haus.

Vorwurf des "Sterbe-Tourismus""

Josef Thommen (Martin Rapold), alerter Leiter des Vereins, ist der Ansicht, dass das Leben gottbestimmt sei und dass also einzig Gott über den Tod des Menschen bestimme, und nicht der Mensch Gott spielen könne. Er spricht vom Schweizer „Sterbe-Tourismus“. Noch am selben Abend ist Helen Mathys, sie gehört zur Geschäftsführung von „Transitus“, tot. Sie wurde erst mit einem harten Gegenstand geschlagen, dann mit einer Plastiktüte erstickt. Es bleibt nicht bei diesem einen Mord.

Der Schweizer „Tatort“, der stets etwas behäbig und spröde daherkommt, hat sich mit „Freitod“ eines Themas angenommen, bei dem es offenbar nur Schwarz oder Weiß gibt, keine Grautöne, kein Dazwischen. Regisseurin Sabine Boss inszeniert das Drehbuch von Josy Meier und Eveline Stähelin; es hätte ein sehr guter elfter Luzerner Fall mit den beiden eigensinnigen Ermittlern Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) werden können, wenn nicht Nebenhandlungsstränge wie etwa der um Daniela Aichingers bipolar gestörten Bruder Martin Aichinger (Martin Butzke) die Dramaturgie empfindlich stören würden. Martin Aichinger, ohne seine Medikamente gewaltbereit und geradezu wahnhaft, rennt durch die Stadt, spuckt auf den Boden und schreit den Passanten „Pest! Pest! Pest!“ ins Gesicht. Die zehn ägyptischen Strafen sollen die „Transitus“-Leute holen und seine Schwester Daniela gleich mit, die doch nur ans Erbe der Mutter wolle, der Mutter, die doch weiterleben wollte, immer weiterleben.

Befürworter und Gegner der Sterbehilfe

Weniger, viel weniger wäre deutlich mehr gewesen in diesem „Tatort“. Denn den eigentlichen Antagonismus zwischen strikten Befürwortern und nahezu militanten Gegnern von Sterbebegleitung und Sterbehilfe, der bis an die Grenzen des Fanatismus führt, arbeitet der Film auf den anderen Handlungsebenen durchaus gut heraus.

Da ist nicht zuletzt der morbide Moment, in dem sich ein Mensch ermächtigt, unter Todkranken den alles erlösenden Gott zu spielen. Auch hier – Stichwort: Todesengel der Charité – ist die Fiktion von der Realität nicht allzu weit entfernt.

„Tatort: Freitod“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

Zur Startseite