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Medien: Sebnitz: Der Fall Joseph und die Folgen

Als "Medien-GAU" bezeichnete der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Sebnitz die Berichterstattung über den Tod des sechsjährigen Joseph. Die Dresdener Kommunikationswissenschaftlerin Anja Willkommen hat jetzt nachgewiesen, dass mangelnde Recherche und reißerische Aufmachung der Stadt einen nachhaltigen Imageschaden zugefügt haben.

Als "Medien-GAU" bezeichnete der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Sebnitz die Berichterstattung über den Tod des sechsjährigen Joseph. Die Dresdener Kommunikationswissenschaftlerin Anja Willkommen hat jetzt nachgewiesen, dass mangelnde Recherche und reißerische Aufmachung der Stadt einen nachhaltigen Imageschaden zugefügt haben.

Im Auftrag der Sächsischen Staatskanzlei hat Willkommen knapp 500 Zeitungsartikel ausgewertet. In weniger als zehn Prozent der Berichte fand sie unreflektierte Mordvorwürfe und Anschuldigungen gegen die Sebnitzer Bevölkerung. Doch obwohl die Medien nach wenigen Tagen eine Kehrtwendung gemacht und zum großen Teil auf "Schadensbegrenzung und Wiedergutmachung" abgezielt hätten, habe das die pauschale Verurteilung der Stadt und ihrer Bevölkerung nicht aufheben können: "Der Leser wird Sebnitz auch nach der endgültigen Klärung des Falles mit den Klischees Rechtsradikalismus und ostdeutsches Provinznest in Verbindung bringen." Der sechsjährige Joseph Abdulla war im Juni 1997 im Sebnitzer Freibad unter nicht restlos geklärten Umständen ums Leben gekommen. Die "Bild"-Zeitung machte sich am 23. November vergangenen Jahres den Verdacht der Eltern zu eigen, Rechtsextremisten hätten den Jungen aus ausländerfeindlichen Gründen getötet: "Neonazis ertränken Kind am hellichten Tag im Schwimmbad. Eine ganze Stadt hat es totgeschwiegen". Fast alle Zeitungen schlossen sich der pauschalen Verurteilung der Sebnitzer an. Die schlimmsten Verletzungen der journalistischen Sorgfaltspflicht werden der Boulevardpresse nachgewiesen, doch für die überregionalen Zeitungen ist das Ergebnis genauso beschämend: Wesentlich intensiver als die Regional- und Lokalzeitungen haben sie das Klischee von der ostdeutschen Provinzstadt mit hoher Arbeitslosigkeit und schwelendem Fremdenhass bedient. Verdachtsmomente wurden als Tatsachen ausgegeben, in vermeintlich objektiven Berichten mischten sich Fakten und Bewertungen. Das beste Augenmaß beim Umgang mit dem "Fall Joseph" bewiesen laut der Studie die ostdeutschen Zeitungen.

Annika Ulrich

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