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CSU-Chef Horst Seehofer und ZDF-Moderator Claus Kleber.

© dpa

Seehofers ZDF-Interview: Viereinhalb Minuten Ehrlichkeit

Im Internet ist der Auftritt von CSU-Chef Horst Seehofer im "Heute Journal" ein Hit. Im Interview nach dem Interview sagte Seehofer schlicht, was er dachte. Wird das nun Schule machen?

Das Interview hat Potenzial. Politisch auf jeden Fall, denn der CSU-Chef hat am Montag im ZDF-Interview Klartext geredet, überraschend, offen, und allem Anschein nach ehrlich. Im Gespräch mit Moderator Claus Kleber ging es um die Nachlese der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und die Lage der schwarz-gelben Bundesregierung. Vor allem den NRW-Spitzenkandidaten der CDU, Norbert Röttgen, kritisierte der CSU-Chef in dem Nachgespräch mit scharfen Worten.

Am Ende des für die „heute journal“-Ausgabe um 21 Uhr 45 vorab aufgezeichneten Gesprächs stimmte Seehofer von sich aus zu, dass auch die Minuten nach dem eigentlichen Interview gezeigt werden dürfen. „Sie können das alles senden, was ich gesagt habe, weil ich da wirklich entschlossen bin, dass wir da was ändern“, sagte Seehofer zu Kleber vor rund 3,5 Millionen ZDF-Zuschauern. Der Moderator, dem seine Enttäuschung über das offizielle Frage-und-Antwort-Spiel wahrlich ins Gesicht geschrieben stand, öffnete sich, er hatte Fragen und Nachfragen zum „Pseudogespräch“ parat.

Vielleicht war es mehr Seehofers Bedürfnis, seine Kernbotschaft über das diffuse Erscheinungsbild der Union, die ihn zur Freigabe des zweiten Interviewteils drängte, als Klebers maue Reaktion auf die ersten Antworten, aber egal, das Publikum bekam den Eindruck, es bekomme einen authentischen Seehofer präsentiert. Kleber sagte dem Tagesspiegel am Dienstag: „Ich finde, es war die besondere Qualität dieses Gespräches, dass es mit allem drum und dran vollkommen transparent war.“ Seehofer meinte, es sei ihm nicht um Reaktionen gegangen, sondern um den Erfolg der Union. Die „nicht beabsichtigten Reaktionen“ seien aber alle positiv und zwar in „gigantischer Zahl“.

Sehen Sie hier das ungekürzte ZDF-Interview

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Ein Politiker hat viereinhalb Minuten lang aus seiner Überzeugung keine Mördergrube gemacht. Ist das sensationell? Bemerkenswert ist das vor allem, weil es eine Umkehrung des Gewohnten und der Gewohnheit ist: der eigentlichen Frage des Journalisten ausweichen, taktieren, vernebeln, andeuten statt aussprechen. Moderator und Zuschauer bleiben unbefriedigt zurück. Gerade hat Klebers Kollegin im „heute journal“, Marietta Slomka, beklagt, dass die Randgespräche mit Politikern oft interessanter seien als das eigentliche Interview. „Bei diesen Nachgesprächen ist der Politiker plötzlich wieder Mensch. Redet völlig normal, der ganze Duktus, ja selbst die Körperhaltung ist wie ausgewechselt“, sagte sie in ihrer Dankesrede zum Medienpreis für Sprachkultur. Der Vorgang am Montag hat vorgeführt, wie ritualisiert, wie abgezirkelt die tagtäglichen Gespräche zwischen Politikern und (Fernseh-)Journalisten sind. Beide Seiten wollen ihre Rollen, ihr Gesicht wahren. Der Journalist geht in die Vorwärts-, der Politiker in die Seitwärtsbewegung. Schattenboxen statt Schlagabtausch.

Sehen Sie hier Mikrofon-Pannen anderer prominenter Politiker:

Vielleicht, hoffentlich wird das Kleber-Seehofer-Gespräch eine Änderung herbeiführen. Gerade die Politik muss bemerkt haben, dass die Wähler in jüngster Zeit Politikerinnen und Politiker bevorzugt gewählt haben, die sich unverstellt, mit einem echten Überzeugungskern, möglichst deckungsgleich in Wort und Tat präsentiert haben. Als da sind Hannelore Kraft (SPD) und Christian Lindner (FDP) in NRW, Wolfgang Kubicki (FDP) in Schleswig-Holstein. Die Aura des Authentischen, wie sie auch bei Entertainern hochgeschätzt wird, ist die gewünschte Tugend in der politischen Klasse.

Claus Kleber hat einen Scoop gelandet, glücklich, denn die Aufzeichnung des Nachgangs war gar nicht geplant. Zugleich hat er die Messlatte für die eigene Gilde höher gelegt. Das Publikum erwartet mehr Pas de deux wie der zwischen Kleber und Seehofer. Der Zuschauer erwartet mehr ehrliche Interviews, und er erwartet vom Politiker wie vom Journalisten, dass sie wie am Montag und nicht anders geführt werden.

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