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"Tatort"-Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) verliert die Fassung. Sein Chef (Jean-Pierre Cornu, rechts) kann ihn kaum stoppen.

© ARD Degeto

Selbstjustiz im Schweizer "Tatort": Rächer der Entrechteten

So brutal ist ein ARD-"Tatort" selten. Und so viel Verständnis für einen Täter bringen auch die Schweizer Kommissare sonst nicht auf.

Regisseur Florian Froschmayer mag keine weichgespülten Krimis. Gewaltverbrechen sollten besser ehrlich und abschreckend dargestellt werden, sagte er, als er auf die Brutalität im Schweizer „Tatort“ angesprochen wurde. Daran hat sich Froschmayer gehalten. In „Ihr werdet gerichtet“, der ersten „Tatort“-Folge nach der Sommerpause verübt ein Mann mehrere Morde. Von einem Ex-Scharfschützen aus dem Balkankrieg weiß er, wie man Dum-Dum-Geschosse so manipuliert, dass sie bei einem Kopfschuss noch größeren Schaden anrichten.

Zuerst trifft es in dem Selbstjustizdrama zwei Albaner. Sie werden von der Wucht der Geschosse nach hinten geschleudert. Man sieht viel Blut, aber auch den Blick auf das bloßgelegte Gehirn erspart Froschmayer dem Zuschauer nicht. Selten wurde ein Mord so ungeschminkt um kurz nach 20 Uhr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt.

Die beiden Albaner bleiben nicht die einzigen Mordopfer. Kurze Zeit später trifft eine weitere Kugel aus dem Gewehr des Rächers sein Ziel. Dieses Mal einen Treuhänder. Die Kommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) wissen nun, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben.

„Ihr werdet gerichtet“ ist kein klassischer „Whodunit“-Krimi, der seine Spannung durch die Suche nach dem Täter bezieht. Wer die Verbrechen verübt, erfährt der Zuschauer sehr früh. Der Mann heißt Simon Amstad und sieht mit Bauch und Bart alles andere als gefährlich aus. Liebevoll kümmert er sich um seine junge Frau (Suly Rüthlisberger), die irgendetwas aus der Bahn geworfen hat, wovon erst später die Rede sein wird, und die nun apathisch in der gemeinsamen Wohnung sitzt. Simon Amstad wird von Antoine Monot Jr. gespielt, den die TV-Zuschauer nicht nur als Schauspieler aus vielen Kinofilmen oder als Rechtsanwalt Benni Hornberg aus der Serie „Ein Fall für Zwei“ kennen, sondern auch als Werbefigur „Tech-Nick“. Monots Figur ist ein zuvorkommender, liebenswerter Mann, der den Menschen nichts Schlechtes will, nun aber zum Rächer aller Entrechteten wird, weil die Justiz seiner Meinung nach ihrer Aufgabe nicht gerecht wird.

Dieser "Tatort" bringt die Kommissare an ihre Grenzen

Tatsächlich bringt der Fall die Kommissare an ihre Grenzen. Allerdings anders, als vielleicht gedacht, denn die Opfer sind zugleich Täter. Die beiden Albaner haben einen jungen Mann zum Krüppel geschlagen. Der Treuhänder hat eine Mutter und ihr Kind auf dem Gewissen. Die beiden starben bei einem von ihm provozierten Verkehrsunfall. Dass die Albaner und der Treuhänder noch frei herumlaufen konnten, hat mit einer Änderung der Strafgerichtsordnung in der Schweiz zu tun. Seither sind die Staatsanwaltschaften so überlastet, dass die Verfahren erst Jahre später verhandelt werden. Eine Ungerechtigkeit, die Amstad nicht länger erträgt.

Durch die Morde sieht sich die Polizei plötzlich in der Situation, dass sie Menschen schützen muss, für die sie keinerlei Sympathien hegt. Wie für den Restaurantbesitzer, der eine junge Angestellte vergewaltigt haben soll. Die Frau hatte sich später das Leben genommen. Flückiger war an den Ermittlungen beteiligt. Verständnis bringt dieser „Tatort“ darum auch eher der anderen Seite entgegen. Schade nur, dass man nicht mehr über die Hintergründe dieser offensichtlich unrühmlichen Rechtsreform erfährt.

Während der erste „Tatort“ der neuen Saison somit in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich ist, geht es mit dem „Tatort“ als TV-Format eher ruhig weiter. In diesem Jahr gibt es weder neue Teams, noch treten altbekannte Ermittler ab. Solche Bewegungen stehen erst wieder im kommenden Jahr an. 2016 startet in Leipzig ein sehr weibliches Ermittlergespann, das sich aus den Schauspielerinnen Karin Hanczewski, Alwara Höfels und Jella Haase zusammensetzt. Ein vorerst einmaliges Gastspiel wird 2016 Heike Makatsch in Freiburg haben. Ihr „Tatort“-Debüt wird an Ostern zu sehen sein. Der einzige bislang bekannte Abgang steht dem Bodensee-Team um Schauspielerin Eva Mattes und Sebastian Bezzel bevor.

Eine Besonderheit gibt es aber dennoch in der neuen Saison: Gleich dreimal wird die Sängerin Helene Fischer eine Rolle spielen. Sowohl im Frankfurter „Tatort“ am kommenden Sonntag als auch in der Woche darauf in München auf dem Oktoberfest wird sie mit „Atemlos“ zu hören sein. Und in der Doppelfolge Ende November mit Til Schweiger wird sie sogar eine Gastrolle übernehmen.

„Tatort: Ihr werdet gerichtet“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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