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Sendung: Nie wieder Schulden

Am liebsten trägt er Aktentasche. Finanz-Coach Peter Zwegat ist in der Krise erfolgreich und überrascht damit auch seinen Haussender RTL.

Einmal musste Peter Zwegat ein so knallig buntes Hemd tragen, dass er fast aussah wie ein Papagei. Kurz vorher hatte sich der Schuldnerberater aus Kreuzberg bei einem Casting der Produktionsfirma Probono durchgesetzt, die im Auftrag von RTL ein niederländisches Erfolgsformat ins deutsche Fernsehen bringen sollte: Eine Reality-Show über einen Schuldnerberater. Der mit seinen Klienten ein Sparprogramm erarbeitet, Behördengänge und Privatinsolvenzen in die Wege leitet, den Betroffenen sagt, wo ihre eigene Schuld an der Misere liegt und ihnen einen heftigen moralischen Tritt in die für motivationsfördernde Tritte vorgesehene Körperregion verpasst.

Peter Zwegat war der Beste im Casting. Kompetent, authentisch, dazu noch erfahrener Sozialpädagoge. Ein grauer, älterer Herr mit Brille, Tränensäcken und Erbsenzählermanier. RTL hatte deshalb die Idee mit dem bunten Hemd, um vielleicht zu retten, was zu retten ist. Aber als Peter Zwegat dann das Papageienhemd trug, wirkte er grotesk. Das fand auch RTL und sagte: Gebt dem Mann seinen Anzug und den Aktenkoffer zurück. Dann muss es halt so versucht werden. Mit diesem kantigen Mann. Mit dem Gegenteil von Kai Pflaume.

RTL glaubte anfangs nicht richtig an die Sendung „Raus aus den Schulden“. Nicht nur wegen der Person Peter Zwegat, sondern weil man dachte, das Thema Schulden sei zu düster, zu unangenehm für das RTL-Publikum. Mittlerweile kann sich Peter Zwegat in der vierten Staffel erlauben, acht Minuten am Stück über die Vorteile eines Haushaltsbuches zu schwadronieren und niemand schaltet ab.

Bis zu 28 Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe der 14– 49-Jährigen erreicht Zwegat wöchentlich. Auch die aktuelle, vierte Staffel läuft gut. In Zeiten der Finanzkrise hat sich Zwegat bei stabilen 20 Prozent Marktanteil eingependelt und war auch vergangenen Mittwoch wieder meistgesehene Primetime-Sendung des Tages. Möglich, dass die Finanzkrise dafür hätte sorgen können, dass Zwegats Quoten noch weiter steigen, allerdings schläft die Konkurrenz nicht: Zwegat muss sich inzwischen gegen „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“ durchsetzen, die Sozialschmarotzerjagd von Sat1, die in einem ähnlichen Themenspektrum operiert und seit August läuft.

Sowieso ist Zwegat nicht allein mit strenger TV-Beratung in schwierigen Zeiten: Alle anderen RTL-Formate dieser Art haben oder hatten gute, meist sehr gute Quoten mit Millionenpublikum: „Die Ausreißer“, in dem der Sozialarbeiter Thomas Sonnenburg Anfang 2008 obdachlose Jugendliche auf den rechten Weg bringen wollte. Die „Super-Nanny“ Katharina Saalfrank, die Help-TV-Übermutter, die seit 2004 Eltern erklärt, wie man Kinder so erzieht, dass sie ihre Mutter nicht „Arschloch“ nennen. Oder „Teenager außer Kontrolle“, ein Format, das kriminelle, drogensüchtige oder sonst wie aus dem Ruder gelaufene Jugendliche mit einer Art Resozialisierungswanderung unter Anleitung von Therapeutin Annegret Fischer Noble therapieren will und dessen dritte Staffel gerade vorbereitet wird. Der aktuellste Quotenkracher ist „Rach, der Restauranttester“, in dem Sternekoch Christian Rach kurz vor der Pleite stehende Restaurants zu retten versucht.

RTL konzentriert sich damit in seinen Primetime-Formaten auf gesellschaftliche Probleme, nicht mehr auf rührselige, isolierte Einzelschicksale und reagiert damit geschickt auf das, was viele Menschen scheinbar bedrückt: Arbeitslosigkeit, sinkende Leistungen des Sozialstaats, steigendes Ungerechtigkeitsgefühl innerhalb der Bevölkerung, Jugendkriminalität. Der Erfolg dieser Sendung zeigt, dass in Zeiten, in denen öffentliche Hilfsangebote und Sozialleistungen sinken, nicht mehr Behörden oder Politiker als vertrauensvolle Ansprechpartner wahrgenommen werden, sondern das Fernsehen. „Peter Zwegat ist die Personifizierung dessen, was die Menschen in unserer kälter gewordenen Gesellschaft heute vermissen“, sagt Friedrich Küppersbusch, Chef der „Raus aus den Schulden“-Produktionsfirma Probono.

Der TV-Schuldnerberater und seine Kollegen vom Beratungsfernsehen als strenge, aber gerechte Autoritätsfiguren. Sie führen sich eben nicht wie eine Art Gott auf, in dem sie einer in der Patsche sitzenden Familie ein neu renoviertes Haus mit Deko-Lampen und Blumengestecken vorsetzen, sondern vermitteln ein Gefühl von: „Ok, du hast Mist gebaut, aber ich lasse dich nicht fallen, und wenn du dich jetzt richtig ins Zeug legst, dann bekommen wir das wieder hin.“

„Wer sich bewirbt, weil er denkt, es kommt jemand und macht, dass alles wieder gut ist, liegt falsch“, sagt Küppersbusch. Und wenn die hochverschuldete Frau in einer „Raus aus den Schulden“-Folge weint, weil Zwegat anrät, sich bei 70 000 Euro Schulden vielleicht vom Hund, von den zwei Kaninchen, den drei Katzen oder den zwei Pferden zu trennen, streichelt er ihr nicht über den Kopf und sagt, dass er schon alles richten wird, sondern: „Frau Forster: Ich habe nicht gesagt, dass wir morgen Pferd essen.“

Die Sendungen gaukeln nicht unglaubwürdige Ruck-Zuck-Lösungen vor, wie es andere Formate tun. „Wenn wir Glück haben, sind Sie in sieben Jahren schuldenfrei“, ist das höchste Happy-End-Gefühl, das Zwegat erzeugen kann.

Früher, erzählt Peter Zwegat, habe er oft Vorträge an Berufsschulen gehalten. Von 30 Auszubildenden hätte er 20 rausschicken, fünf ohrfeigen und mit den übrigen fünf reden können. Tauche er heute irgendwo auf, höre ihm jeder zu. Weil er ein Überzeugungstäter sei, was seine Arbeit betrifft. Man glaubt Peter Zwegat sein Engagement, seine Ereiferung, wenn man sieht, wie er bei beratungsresistenten Kandidaten die Fassung verliert und wie ein an Hospitalismus leidender Zootiger auf und ab gehend vor der Tür eine Zigarette rauchen muss. Zwegat diskutiert, erklärt, sitzt mit den Kandidaten vor den Bankberatern, er rechnet mit ihnen durch, erklärt wieder, verhandelt mit Gläubigern.

Die zahlreichen Bewerber, die es nicht bis in Zwegats Sendung schaffen, müssen sich mit Adressen von Beratungsstellen in ihrer Nähe zufrieden geben. Wenn diese Betroffenen dort Hilfe suchen, bemerken sie, dass diese Schuldnerberater meist keine Hausbesuche machen und bei den Gläubigern keine Sonderkonditionen mit Promibonus herausschlagen können. Sie ordnen auch keine Unterlagen für die Klienten. In der Wirklichkeit warten die Betroffenen in Großstädten manchmal eineinhalb Jahre, bis ihr Fall überhaupt behandelt wird. Diese Betroffenen sind dann die Ersten, die bemerken: Irgendwie ist es doch nur Fernsehen.

„Raus aus den Schulden“, 21 Uhr 15, RTL

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